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»2,65€ zurück. Einen schönen Tag noch.«

Lächeln. Immer lächeln und höflich sein. Das war seit einigen Tagen mein neues Lebensmotto. Seit dem Tag, an dem ich mich bei der Besitzerin des MoonHour  Cafés als Aushilfskellnerin beworben hatte und drei Tage später angenommen wurde.
So schnell konnte das in der Arbeitswelt also gehen, wenn man wollte. Hätte ich das bloß vorher gewusst ... Nein. Bisher hatte mir mein faules Leben gefallen.

Doch eine neue Alyssa musste mit alten Grundsätzen brechen. Aus diesem Grund ging ich auch wieder laufen, nachdem ich es wochenlang hatte ausfallen lassen. Erneut.
Meine Kondition wurde von Tag zu Tag besser und des Öfteren begleitete Nathalie mich sogar. Erzählte mir dabei von Colin, mit dem sie sogar zusammen war. Schon länger, wie sie mir verriet.

»Wieso hast du es mir nie gesagt?«, war meine erste Frage dazu gewesen und Nathalie hatte beschämt den Blick gesenkt.

»Ich wollte nicht, dass du dich an ihn gewöhnst, wie an Jordan. Es bricht mir das Herz, dich leiden zu sehen.«

Es war seltsam, in einer Welt zu leben, in der alle versuchten einen zu beschützen. Als wäre ich ein Küken, das sich nicht aus dem Nest traute. Vielleicht war ich das sogar. Mein Leben lang war ich behütet worden, musste nicht arbeiten, nicht hart schuften, hatte viele Privilegien.
Mein Leben war ein kleines Paradies gewesen, mal abgesehen von den Katastrophen darin. Es war wirklich Zeit geworden, damit zu brechen.


Zu dem neuen Job hatte ich mir auch einen neuen Haarschnitt zugelegt. Nun trug ich die Haare nur noch bis einige Zentimeter unter dem Kinn, sie berührten nur leicht meine Schultern und Daniel hatte mich kaum wiedererkannt. Aber vermutlich erkannte er auch mein Verhalten kaum wieder.

»Du kannst ruhig Pause machen gehen«, rief Zarah, meine Chefin, mir zu und band sich im Laufen eine neue dunkelblaue Schürze um. Sie trug stets einen Dutt, ihre Brille und biedere Kleidung. Was eine täuschende Verkleidung war. Ich hatte sie als charmante, humorvolle Frau kennengelernt, die mit ihrer Partnerin und ihrem vierjährigen Sohn im Apartment über dem Café lebte.

»Eigentlich hatte ich gehofft, früher gehen zu können.« Ertappt biss ich mir auf die Innenseiten meiner Wangen und verlagerte mein Gewicht von einem Fuß auf den anderen.

Zarah seufzte. »Zappel bitte nicht so herum, als müsstest du aufs Töpfchen. Elias macht diese Bewegung schon oft genug. Wieso hast du nicht gesagt, dass du heute nur bis 16 Uhr kannst?«

Weil Harald mich erst vor einer Stunde kontaktiert hatte, um mir mitzuteilen, dass er mich hineinquetschen konnte.

Und das war meine einzige Chance, in den Sender zu kommen.

»Bitte, ich mach das wieder gut! Doppelschichten? Oder Überstunden ohne Bezahlung?«

Ich musste so herzerweichend ausgesehen haben, dass Zarah gar nicht »Nein« sagen konnte. Zumindest bildete ich mir das ein. Denn wieder seufzte meine Arbeitgeberin, nickte und schickte mich mit einer Handbewegung nach hinten, damit ich meine Sachen holen konnte. Ich beeilte mich in die offenen Sandalen zu steigen, die ich der Arbeit wegen gegen Turnschuhe getauscht hatte, und rannte förmlich hinaus in die strahlende Sonne. Ich kam nur wenige Schritte weit, als eine Stimme mich zurückhielt.

»Steig ein!«, rief Daniel und grinste in dem schneeweißen Cabrio, mit dem er im Schneckentempo die Straße entlang tuckerte.

»Woher hast du das Gefährt denn?«, fragte ich verwirrt und beeilte mich, auf der Beifahrerseite einzusteigen. Meine Tasche warf ich auf die Rückbank, schnallte mich an und schon fuhr Daniel viel zu schnell los.

99 MalWo Geschichten leben. Entdecke jetzt