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Wie sich herausstellte, war das Panda Hell tatsächlich eine Hölle. Nicht jedoch für flauschige schwarz-weiße Bambusfressende Tiere, sondern für Wesen jeglicher Art. Unsauber war noch eine Beschreibung, die zu nett war. Ich fragte mich ernsthaft, wieso man freiwillig in solch eine Bruchbude kommen würde, geschweige denn dort arbeiten konnte. Dabei war das Personal überwiegend in meinem Alter, wie es schien. Mit genauso zwielichtigen Erscheinungen.

»Wir hätten gern einen Sekt und zwei Bier«, bestellte ich an der Theke und spürte Daniels Arme um meine Hüfte, sowie seinen Atem in meinem Nacken.
Dass es ihm hier genauso wenig gefiel, erkannte ich schon an dem Schweigen. Dass er dennoch blieb, und das an einem für ihn umsatzstarken Freitag, bedeutete mir viel. Andererseits hatte er auch noch immer einiges wiedergutzumachen.

Die Frau mit den türkis-rot-gestreiften Haaren wandte sich an ihren Kollegen. »Zwei Pandas und einen Gay.«

Nathalie, die gerade hinter uns erschien, runzelte die Stirn, als sie fragte: »Wenn die Getränke hier so heißen, wie wird es dann serviert?«

Die Frage wurde umgehend beantwortet, als der rothaarige Mann drei Gläser vor sie hinstellte, denen man das Kaufdatum deutlich ansah. Und es war nicht in diesem Jahrzehnt gewesen. Während unsere Biergläser nur verkratzt und mit abgebrochenen Rändern war, war Nathalies Sektglas komplett pink und mit scharfkantigen Boden.

»Lass – uns – gehen«, raunte Nathalie sofort und sah sich um. Das Publikum bestand überwiegend aus jüngeren Leuten und ich wusste auch wieso. Die Preise waren so erschwinglich, dass man wohl auch diese unhygienischen Zustände in Kauf nahm.

»Ich stimme deiner Cousine zu. Ich will keine Krankheiten, die man sonst nur mit ungeschütztem Sex bekommt.«

Ich drehte mich zu meinem Anhang um, nicht minder angeekelt. Doch ich musste bleiben. Musste warten, bis Louisa das Gedicht vortragen hatte. Louisa, die bezahlte Schauspielerin, die an diesem Abend mich spielen würde. Weil ich aber kein Unmensch war, schlug ich den beiden vor, dass sie ruhig verschwinden konnten. Niemals würde ich sie zwingen, mit mir hier zu bleiben.

Doch Daniel seufzte bloß und Nathalie wischte ihr Glas mit einem Taschentuch ab, bevor sie daraus trank. Ich nahm an, dass dies ihr Zeichen war, zu bleiben.

Zum Glück mussten wir nicht sehr lange warten. Der angepriesene Poetry Slam war nicht einmal annähernd so wie ich ihn mir vorgestellt hatte. Es gab nur einige Künstler, die antraten. Das Gedicht mit dem meisten Applaus gewann am Abend einen Gutschein für eine Fast Food Kette in Höhe von 20€.

Louisa war die Vierte, was mir die Gelegenheit gab, nach Noah Ausschau zu halten. Wir hatten uns in eine der hinteren Ecken verkrochen und beobachteten alles aus gebürtigem Abstand. Ich wollte ihm nicht gegenübertreten, noch nicht.

»Also, hallo«, sagte Louisa ins Mikrofon und winkte in die Runde. Sie hatte ihre braunen Haare zu einem Zopf hochgebunden und sah leicht nervös aus, was ich so nicht erwartet hatte. Immerhin wollte sie eine professionelle Schauspielerin werden. Gehörte das Auftreten vor Publikum da nicht dazu?

»Ich fang dann mal an.« Sie räusperte sich, faltete den Zettel auseinander und las vor: »Das Gedicht trägt den Titel 'Für Noah'.«

Ich hatte es erst am Nachmittag dahin gekritzelt, denn ich war nicht poetisch veranlagt, mir fehle das Talent dafür. Doch gerade deswegen war ich stolz auf mich.

»Wenn ich dich seh, wird mir ganz flau
Mit dir zusammen fühl ich mich ständig blau
Drum möcht ich für immer bleiben mit dir,
gemeinsam,
nur du, Bier und ich, wir!
Dein Ja-Wort will ich haben,
drum muss ich wohl fragen:
Willst du mich heiraten?
A.«

»Das«, brachte Daniel hervor und stellte sich vor mich, wie wir es zuvor abgesprochen hatten. So sollte Noah, wenn er sich nach mir umsah, nur den Rücken von Daniel sehen. Der zwar beeindruckend, aber nicht unbedingt zu erkennen war.

»Das war eins der berührendsten Gedichte, die ich je gehört habe«, erklärte Nathalie und fing an zu lachen. Ähnlich wie ich am Morgen, als ich auf sie und Colin gestoßen war.

Verübeln konnte ich es den beiden nicht. Ich besaß einfach kein Talent für Gedichte und war froh, dass das überstanden war und ich mich endlich wieder spaßigeren Dingen zuwenden durfte. Es warteten noch einige Anträge darauf, vorbereitet zu werden.

***

Am Wochenende schaffte ich es, gleich drei Anträge von meiner Liste zu streichen. Ich hatte Noah eine Blumenlieferung zukommen lassen, im Kaufhaus wurde mein Antrag durch die Lautsprecher verteilt, als er einkaufen war und durch Freikarten für eine von Daniels exklusiven Abenden im Club, hatte ich Katja dazu bewegt, sich ein bedrucktes T-Shirt anzuziehen und Noah besuchen zu fahren. Auf dem Shirt stand meine Frage, sowie der obligatorische Hashtag.

Ich konnte es mir nicht so recht erklären, aber all diese Heiratsanträge vorzubereiten, machte mir mehr Spaß, als sie auch tatsächlich auszuführen. Es war witziger und interessanter, zuzusehen, wie Fremde reagierten, wenn man selbst nicht aktiv werden musste. So konnte ich endlich einmal beobachten, statt selbst zu handeln. Es zeigte mir auch aufs Neue, wieso ich damals zugestimmt hatte, das durchzuziehen. Es ging nicht nur darum, an kostenloses Essen und Gutscheine zu kommen. Nicht nur.

Es ging auch nicht darum, Zeit mit Noah zu verbringen. Viel eher war es wichtig, dass es etwas in mir auslöste. Einen Endorphin-Ausstoß, den ich sonst kaum bekam. Die Angst, erwischt zu werden, gemischt mit der Freude darüber, anderen Leuten eine Show zu liefern. In Wahrheit war ich wohl eine Rampensau, wie schon immer. Noah hatte mir eine Bühne gegeben. Und ich vermisste meinen Co-Schauspieler schmerzlich.

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