Kapitel 6

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**Vorwarnung: dieses Kapitel enthält Beleidigungen und Selbstverletzung. Wer sich damit nicht wohlfühlt, sollte dieses Kapitel überspringen.**

,,Eskada", meldet meine Mutter sich in unterkühltem Ton, ,,ihr habt euch lang nicht mehr gemeldet." ,,Wie kommt es, dass jedes Wort aus deiner Futterluke, ein verdammter Vorwurf ist!?", antwortete ich nur in eisigen Ton. ,,Nicht in diesem Ton, Fräulein!", erwiderte meine Erzeugerin scharf.

Ich verließ rasch das Zimmer und das Krankenhaus und diskutierte draußen weiter. ,,Ach ja!? Und du meinst etwa, dass du noch irgendein Recht hättest, auf deine Erziehungsversuche!? Da hast du dich geschnitten Alice! Aber heftig!" ,,Was erlaubst du dir!", kreischte sie, ,,Ich bin deine Mutter! Ein bisschen mehr Respekt, wenn ich bitten darf!" ,,Ach auf einmal bist du wieder meine Mutter!? Ich behandele dich so wie du es verdienst!! Respekt bekommen bei mir nur diejenigen, die ihn sich verdienen!! Und das hast definitiv nicht!!!" ,,Du dreckiger, kleiner Bastard, ich hätte dich ersaufen sollen, als ich es noch konnte!! Ich habe dir dein Leben geschenkt und du hast nichts besseres zu tun, als mir erfundene Sachen vorzuwerfen..."

,,Erfundene Sachen. ERFUNDE SACHEN!!! Ist das dein fucking Ernst!!! Du willst mir also sagen, du hast mich nicht bei Gran abgeladen, wie alter Müll, nachdem ich dir das erste Mal wirklich widersprochen habe!?!?", brüllte ich sie aufgebracht an. ,,Du willst mir also sagen, dass du mich, als ich noch bei dir gelebt habe, mich nicht wegen jeder Kleinigkeit angeschrien hast!? Oder mich als Fußball für deine Laune benutzt hast!? Du willst mir weiß machen, du würdest Gran nicht dafür bezahlen, dass sie mich aufgenommen hat und mich auch bei sich behält!? Du willst mir allen Ernstes Glauben machen, du würdest mir nicht vorwerfen, ich wäre nicht erwachsen genug!? Ich weiß ja nicht, wer von uns beiden lügt, ich bin es jedenfalls nicht!!!"

Stille. Dann: ,,Ich habe zehn Jahre meines Lebens für dich geopfert, weil dein Vater abgehauen ist!! Ich habe so viel Zeit in dich investiert, nur um festzustellen, was für eine Missgeburt du bist!! Wie konnte ich nur so etwas unfähiges, unreifes wie dich kriegen, warum hasst Gott mich so sehr!?", keifte sie los. ,,Mein Vater ist abgehauen, weil du die einzige Missgeburt hier bist und er das gerade so noch rechtzeitig erkannt hat und sich in Sicherheit gebracht hat, als er begriffen hat, was für eine Schlampe du bist!! Du hast zehn Jahre in mich ,,investiert"!? Gran hat fünfzehn Jahre darauf geachtet, dass du meine Seele nicht zerbrichst!! Ich kann verstehen, dass Gott dich hasst; du springst mit jedem so um, wie es dir passt!! Wie kann man sein eigenes Kind nur so sehr hassen!!!", fauche ich wütend zurück. Inzwischen umklammerte ich Grace' Handy so fest, dass meine Fingerknöchel weiß hervor traten.

,,Ich muss mir das nicht mehr von dir anhören!! Ich bin die oberste Richterin des Kreises und deine Mutter obendrein!! Du wirst nicht mehr mit mir so sprechen, haben wir uns verstanden!?!?" Sie gibt mir keine Zeit zu antworteten und fährt in gewohnt eisigen Ton fort: ,,Außerdem werden du und deine Großmutter mich in zwei Wochen besuchen kommen, weil dann eine wichtige Veranstaltung ist und, du Madam, du wirst dich benehmen! Sonst kannst du dich bald von deinem Hengst verabschieden!!" Zähneknirschend gab ich nach. ,,Ich werde es Gran ausrichten", erwiderte ich ungehalten und legte auf. Mir entfuhr ein lauter Wutschrei und ich musste mich beherrschen, um Grace' Handy nicht einfach durch die Gegend zu werfen.

Meine Mutter und ich drehten uns im Kreis, jedes Gespräch lief genauso ab: jedes Wort von ihr ein Vorwurf, ich hielt ihr wütend die Sachen vor, die sie mir angetan hat, sie wird auch wütend und beleidigt mich, ich beleidige sie zurück, sie wirft mir vor, dass ich nicht so bin, wie sie es gern hätte und dann wird sie eiskalt, sagt, was sie von mir will und droht mir immer damit Jano weg zu nehmen, wenn ich es nicht tue. Es läuft immer so ab.

Ich glaube, jetzt kann jeder verstehen, warum ich meine Erzeugerin hasse und gerne herausfinden würde, wer mein Vater ist. Ich hoffe, dass er ein besserer Mensch ist, als meine Mutter.

Auf dem Weg zurück ins Krankenhaus spüre ich ein Kribbeln an meinen Fuß- und Handgelenken, die Anzeichen für einen Ruf. ,Oh nein, nicht jetzt', denke ich noch, dann umhüllt mich die Schwärze des Rufes.

Ihr müsst euch das so vorstellen: Ich bin in dem Moment dabei, wo mich die Person braucht und sehe meistens auch wofür. Manchmal ist es nicht ganz eindeutig und man muss sich an die Person rantasten, damit man es herausfindet. Und diesmal war es, als könnte mein Tag nicht schlimmer werden, ein unbekanntes Mädchen. Und man sah auch sofort, warum sie mich brauchte: sie hielt eine blutverschmierte Nagelschere in ihrer rechten Hand. An ihrem linken Unterarm waren tiefe Wunden, sowohl frische als auch alte, die sie sich eindeutig selbst zugefügt hatte. Tränen liefen ihr die Wangen herunter, doch ich war mir zu fast 100% sicher, dass es Tränen der Traurigkeit waren und nicht wegen dem Schmerz.

Obwohl sie nicht die erste Depressive war, der ich half und sie mit Sicherheit nicht die Letzte sein würde, spürte ich Mitleid in mir aufsteigen. ,Wie verzweifelt muss man sein, um sich so etwas entsetzliches anzutun', fragte ich mich stumm.

Doch dann war der Ruf schon vorbei und ich erwachte und blickte in die besorgten Augen eines Arztes. Verdammt, ich war ja vor einem Krankenhaus umgekippt... Nicht die beste Idee...

,,Miss geht es ihnen gut?", fragte er mich. ,,Jaja geht schon wieder, danke", erwiderte ich leicht genervt. ,,Sollen wir jemanden kontaktieren?", fragte er mich. ,,Ja, meine Gran. Sie ist auf der Krebsstation und besucht eine Freundin von uns. Sie heißt Elise Morningstar." Der Arzt nickte und wechselte ein paar Worte mit der Schwester. Er führte noch ein paar unnötige Untersuchungen durch und kurz darauf tauchte die Schwester mit Gran im Schlepptau wieder auf. ,,Katy, alles ok? Wieder die Krankheit?", fragte sie mich und reichte dem Arzt das Artest. Er las es sich durch und nickte verstehend. ,,Scheint seine Richtigkeit zu haben und die Symtome passen auch. Ich würde Sie dann entlassen Miss Morningstar", meinte er zu mir und gab Gran das Artest zurück. Erleichtert sprang ich von der Liege auf. Ab nach Hause! Ich hatte schließlich eine neue Aufgabe.

Euphoria (Abgeschlossen)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt