Kapitel 4

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Mr. Ich-bin-die-Unfreundlichkeit-in-Person blieb verwirrt im Flur stehen und sah mich fragend an. ,,Was?", raunzte ich ihn genauso unfreundlich an, wie er vorhin mich. Er starrte mich wütend an. ,Auge um Auge, Zahn um Zahn, mein Lieber', dachte ich. Im nächsten Moment erschrak ich mich vor mir selbst. Ich weiß auch nicht, was heute mit mir los war.

Zum Glück kamen, just in der Sekunde, Carolin und Gran um die Ecke und entschärften die Situation. ,,Oh, hallo Will. Tut mir leid mein Schatz, ich hab einfach die Zeit hier bei Elise vergessen", flötete Carolin fröhlich. ,,Schon ok Mom, wollte nur wissen, wo du bist", brummelte dieser zurück. Anscheinend steckte er jeden mit seiner nicht vorhandenen, überschwänglichen Freundlichkeit und Weltoffenheit an. Ich musterte ihn erneut, dieses mal genauer. Stylische, schwarze Jeans. Rotes Flanellhemd im Used-Look, wodurch man seine Muskeln erahnen konnte. Schlichte, schwarze Lederjacke ohne Schnickschnack. Sonnengebräunte Haut. Volle, weiche Lippen. Kräftige Augenbrauen. Mondgraue Augen und schwarze, seidige Haare. Alles an ihm schrie nur förmlich nach sexy Badboy, der den Mädchen reihenweise das Herz brach. Und er wusste es. Er wusste, dass er gut aussah und trug es selbstsicher nach Außen. Ich lauschte dem Gespräch nicht, da ich viel zu sehr damit beschäftigt war, ihn nicht allzu offensichtlich anzustarren, um sein übergroßes Ego nicht noch mehr anzufeuern.

,,Fängst du gleich an zu sabbern!?" Mir wurde gerade bewusst wie sehr ich ihn dann doch angestarrt haben musste. Alle starrten jetzt mich an, was mir ziemlich unangenehm war und ich spürte, wie mir Hitze in die Wangen schoss. ,,Willst ein Taschentuch!?", fragte Will mich unfreundlich. Ich öffnete den Mund um ihm eine saftige Erwiederung zu geben, da mir jedoch auf die Schnelle nichts einfiel, schloss ich ihn wieder und funkelte ihn wütend an. Also drehte ich mich um, um wenigstens noch einen würdevollen Abgang hinzulegen, rutschte jedoch auf den glatten Fliesen aus und legte mich der Länge nach hin. Na toll! Jetzt war also nicht nur die Notgeile, sondern auch noch die unglaublich Tollpatschige morgen in der Schule. Also würden sie sich morgen in der Schule wieder das Maul über mich zerreißen. War ja nichts neues. Ich rappelte mich wieder auf und stürmte aus dem Flur, ohne mich noch mal umzudrehen. Super Tag!

Ja ich weiß. Die meisten Euphorias unbeschwert, glücklich und stecken alle mit ihrem sonnigen und fröhlichen Wesen an. Ich nicht. Ich bin sarkastisch, verletzend und egoistisch. Also alles, was eine Euphoria eigentlich nicht sein sollte. Laut Gran war meine Mutter genauso ihrer Teenagerzeit. Bis sie sich verwandelt hat. Da hat sie sich stark verändert und war genauso laut und fröhlich, wie alle anderen. Ich vermute, dass man sie entweder nur permanent unter Drogen gesetzt hat oder sie sich einfach angepasst hat. Mir gefällt die erste Variante jedoch besser... allerdings habe ich bisher jeden Auftrag gut gemeistert und die Leute denen ich helfe, springen meist sogar besser auf meine Aufbauversuche an, als auf die von Lil. Warum? Ich habe eine Vermutung: Ich bin niemand, der besonders optimististisch oder fröhlich wirkt. Eher im Gegenteil. Wenn also schon eine Pessimistin zuversichtlich ist, muss es doch gut gehen, oder?

Immer noch wütend auf mich selbst, stürmte ich hinauf in mein Zimmer und schmiss mich auf mein riesiges Doppelbett. Mein Zimmer war groß und quadratisch. Drei Wände waren weiß gestrichen und eine in einem hellen, freundlichen Blauton. Ich hatte außerdem noch einen großen Schrank (der nur einem Viertel gefüllt war), drei Bücherregale (die fast überquollen), einen Schreibtisch, einen Fernseher mit Wii, Playstation (die ich eigentlich nur für Filme benutzte) und Chromcaster (das ist ein Ding mit HDMI-Anschluss, dadurch kann man seinen Ferseher übers Handy bedienen). Eine der weiß gestrichenen Wände war mit Fotos fast komplett bedeckt. Fotos von Gran, Jano, Orador, Diabolo, Enzo und ein paar andere Pferde, die wir im Lauf der Zeit bekommen, trainiert und wieder abgegeben haben. Meine Gran arbeitete nämlich als Pferdetrainerin und ich half ihr manchmal dabei. Ich habe jedes einzelne Pferd, dass irgendwann mal bei uns trainiert wurde, an dieser Wand verewigt.
Jano und Orador sind meine Pferde, weshalb ich sie auch bis zu ihrem Lebensende behalten werde.

Ich schmiss mich auf mein Bett mit einem zutiefst verletztem Stolz. Meine Total-Blamage hatte ziemlich an meinem Ego gekratzt. Ich hasste es, wenn die Leute in der Schule über mich redeten, auch wenn es nicht das erste Mal war und auch nicht das letzte Mal sein würde. Ich drehte mich auf den Bauch und ohne es wirklich zu wollen dämmerte ich langsam aber sicher ein.

Euphoria (Abgeschlossen)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt