Kapitel 9

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Ich folgte Leanne zum Auto und Schritte hinter mir verkündeten, dass Lil dies ebenfalls tat. Als wir näher kamen, hörte ich ein weiteres Auto starten. Ich drehte mich um und konnte gerade noch so Wills Gesicht im Rückspiegel seines teuren, schwarzen Sportwagens erkennen, bevor er mit röhrendem Motor um die Ecke raste und aus meinem Sichtfeld verschwand. Angeber!

Leannes Auto war eine kleine rote Knutschkugel und ich mochte das Auto auf Anhieb, obwohl ich überhaupt keine Ahnung von Autos hatte. Leanne und Lil nötigten mich schon fast vorne bei Leanne einzusteigen, obwohl ich lieber hinten saß und Lil das auch wusste. Ich ergab mich unter diesem doppelten Druck, weil ich nicht doch noch zu spät kommen wollte. Auf der Fahrt zur Schule quetschte Leanne mich und Lil über uns, unsere Eltern (wir antworteten darauf nicht), die Pferde, die Stadt, die Leute in der Schule usw. aus und wir beantworteten jede Frage so ausführlich, wie es ging.

Plötzlich hielt Leanne an. ,,So, wir sind da", sagte Leanne und schaltete den Motor aus. Ich schnallte mich ab und seufzte. ,,Danke Leanne, ohne dich wären wir wohl zu spät gekommen." ,,Kein Problem und jetzt raus mit uns, sonst kommen wir doch noch zu spät", sagte diese nur und stieß die Tür auf. Lil und ich ergaben uns unserem Schicksal und mischten uns unter die Schüler. Da wir jetzt auf der Parkplatzseite waren, war bei uns nicht so viel los. ,Nächstes Jahr', dachte ich, ,nächstes Jahr darf ich endlich auch meinen Führerschein machen, dann muss ich mich nicht mehr durch Gedrängel an der Bushaltestelle quetschen. Vielleicht fährt Leanne Lil und mich, wenn ich sie mal nett frage. Sie scheint schwer ok zu sein.' Aber erst mal würde ich jetzt zwei Stunden bei Delam im Unterricht hocken und mich fragen, wofür ich diese Kacke eigentlich brauche.

Nach der Schule wartete ich am Tor auf Lil. Wir würden nach Hause laufen müssen, weil Leanne heute neun Stunden hatte, und wir nur sieben. Sie hatte in der Pause von sich aus gefragt, ob wir bei ihr mitfahren möchten. Ich glaube, ich mag Leanne. Sie ist eine fröhliche und herzliche Person und kein Stück wie ihr Bruder. Man könnte glatt glauben, sie hätte gar keine Probleme, sie sei frei und komplett unbeschwert... Aber wenn dem so wäre, würde sie sich nicht ritzen. Ich glaube nicht, dass Carolin das weiß, denn Leanne ist wirklich gut, in dem was sie tut. Sie könnte glatt Schauspielerin werden.

Ich entdeckte ein vertrautes Gesicht in der Menge, aber es konnte mir keinerlei Begeisterung entlocken: Will. Als er mich entdeckt hatte, kam er auf mich zu. ,,Lil ist krank, ist im Sportunterricht in Ohnmacht gefallen. Deine Großmutter hat sie abgeholt und hat mich mit dem zweifelhaften Vergnügen beauftragt, dir das mitzuteilen", sagte er arrogant und sah glatt an mir vorbei. Im Ernst!? Konnte er mir nicht ins Gesicht sehen!? ,,Du weißt aber schon wo ich stehe!?", blaffte ich ihn an. Jetzt sah er mich endlich an und sagte mir allen Ernstes ins Gesicht: ,,Ja, ganz offensichtlich neben dir! Deine beste Freundin ist in Ohnmacht gefallen und alles, was dich interessiert, ist, dass ich dir in deine hässliche Fresse schaue!? Dir geht es aber schon noch gut, oder!?" Ich starrte ihn wütend an und erwiderte: ,,Hast du mal in den Spiegel geschaut!? Kleiner Tipp: tu das mal und sag das dann nochmal!" Er schnappte sich meine Tasche vom Boden und wühlte darin herum.

,,Hallo!? Geht's noch!?", fauchte ich ihn an und versuchte meine Tasche zurück zu bekommen, aber er hielt sie hoch über meinen Kopf, sodass ich keine Chance hatte, sie zu erwischen und suchte in aller Ruhe weiter. Ich atmete tief durch und fragte dann in leicht ironischem Ton: ,,Suchst du was?" ,,Allerdings", sagte er ruhig und veranstaltete ein noch größeres Chaos. ,,Und was wenn ich fragen darf", erwiderte ich genervt. ,,Einen Spiegel." ,,Einen WAS!?" ,,Hast du was an den Ohren? Einen S-P-I-E-G-E-L!", wiederholte er langsam, so als sei ich nicht zurechnungsfähig. ,,Ich hab keinen Spiegel, du Penner! Gib meine Tasche zurück!", gab ich wütend zurück und grapschte erneut nach meiner Tasche, die er aber rasch aus meiner Reichweite hielt. Inzwischen guckten schon einige interessiert zu uns rüber. ,,Jedes Mädchen hat einen Spiegel, weil sie immer wieder überprüfen müssen, ob ihr Make-Up noch perfekt sitzt, oder sie sich noch mehr Farbe ins Gesicht klatschen muss."

Ich starrte ihn nur sprachlos vor Wut an. Bevor ich mich selbst wieder im Griff hatte, hob ich schon die Hand und klatschte ihm eine. ,, Ich schminke mich nicht, du Spast!", schrie ich ihn wütend an. Ich schnappte meine Tasche und rannte beinahe von der Bushaltestelle. Gefühlt tausend Augenpaare lagen auf mir, alle machten mir Platz. Bevor ich um die Ecke verschwand, sah ich noch einmal kurz Wills Gesicht. Er hatte rote Striemen, von meiner Backpfeife auf der Wange, aber er wirkte nicht sauer, eher im Gegenteil: Er lachte laut. Irgendwie machte mich das noch wütender.

Ich wusste, es würde ein Unglück geben, wenn ich nicht sofort auf Distanz ging, also drehte ich mich weg und rannte (diesmal wirklich) die Straße hinunter. Scheiß auf den Bus, ich gehe zu Fuß!

Euphoria (Abgeschlossen)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt