Kapitel 31

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Ich starrte gefühlte Stunden lang auf mein Handy und versuchte, irgendwie zu begreifen, was mir das Foto zeigte. Schließlich lies ich das Handy sinken. Wow, er hatte es ja lange mit mir ausgehakten! Was hatte ich auch erwartet? Dass jemand, der so ein Mädchenmagnet war, allen Ernstes mit mir zusammen sein sollte? Dass ich ihm wirklich was bedeutete? Eigentlich hatte seine Reaktion auf Jessy gestern in der Schule deutlich genug zeigen müssen, dass weder er noch sie ihre alten Gewohnheiten einfach so ablegen würden, nur, weil ich das gerne so hätte! Wann begriff endlich, dass ich nun mal nichts geschenkt bekam, sondern mir alles hart erarbeiten musste? So langsam begriff ich, was meine Mutter meinte, wenn sie immer gesagt hat, dass Liebe nur etwas für Schwächlinge sei.

Ihre ,,Erziehungsmethoden" andererseits, naja... Sagen wir mal so: Ich wäre lieber ein Schwächling, als die letzten fünf Jahre mit ihr noch mal erleben zu müssen. Trotzdem zwang mein krankes Gehirn mich immer wieder, diese Jahre wieder und wieder zu durchleben: Nachts, in Form von Alpträumen, die aber oft sehr ungenau und verschwommen waren, und manchmal auch am Tag, in Form von Flashbacks, die fast immer sehr genau und detailreich waren. Genau wie dieses Foto, dass keinen Platz für irgendwelche Zweifel lies. Ich spürte, wie ein hysterisches Lachen meine Kehle hochkroch und aus mir raus brach. Minutenlang lachte ich einfach nur. Jepp, ich war definitiv überfordert mit der Situation!

Irgendwann legte ich mein Handy mit schwachen Fingern zurück auf den Tisch und drehte mich zur Seite. Ich wollte einfach nur noch schlafen, einfach mal für eine Minute meine wohlverdiente Ruhe haben, einfach mal für eine Sekunde abschalten, einfach mal für eine Millisekunde niemanden sehen...

Man hört oft, wenn einem das Herz gebrochen wurde, kann man nicht schlafen und muss die ganze Zeit an diese Person denken. Bei mir war das nicht so. Ich bin sogar ziemlich schnell eingeschlafen. Konnte aber auch daran liegen, dass ich einfach nur seelisch und körperlich total ausgelaugt war und einfach nicht mehr wusste, wie diesen beschissen Morgen verkraften sollte. Ich bekam nichts mehr um mich herum mit, weder Grans lautes Gefluche aus der Küche, weil ihr etwas angebrannt war, noch, dass Gran für mehrere Stunden den Strom lahm legte, weil sie aus Versehen mit dem Rasenmäher über dessen Kabel gefahren war; ich war einfach total ausgeknockt. Ich glaube, sie war auch ein bisschen gestresst, wegen dem Umzug und auch wegen mir, denn eigentlich passierten ihr solche Sachen nie. Ich bekam von alledem nichts mit, ich schlief selig ruhig auf der Couch weiter.

Gegen 15:00 Uhr weckte Gran mich dann schließlich doch. Ich hatte, erstaunlicher Weise, während dieser Zeit keine Albträume gehabt und einfach nur tief und fest geschlafen. Gran bugsierte mich in die Küche, machte mir das Essen warm und erzählte von den Pferden, den Leuten, denen sie heute beim Einkaufen begegnet war und von ihren Aktionen mit dem Kabel und dem Angebranntem. Ich lächelte, machte ein besorgtes Gesicht und lachte laut an den richtigen Stellen, während ich mich innerlich total leer fühlte.

Nachdem ich fertig war mit essen, ging ich langsam und hochkonzentriert die Treppen hinauf in mein Zimmer und lies mich auf mein Bett fallen. Verdammt, mein Handy lag immer noch unten! Ich beschloss, es dort liegen zu lassen, wo es war, ich wollte einfach nur noch etwas Ruhe, also zog meine unbequeme Jeans aus und tauschte sie gegen eine deutlich bequemere Jogginghose ein. Ich zog gerade mein Shirt über meinen Kopf, als ich Schritte auf der Treppe hörte. Ich ging davon aus, dass es Gran war. Ich lies mein Shirt achtlos auf den in Chaos versinkenden Boden fallen, tänzelte geschickt nur in BH und Jogginghose um die Kartons herum und öffnete meinen Schrank, um nach einem passenden Hoodie zu suchen. Ich tauchte gerade darin ab und suchte nach meinem Lieblings Hoodie, als die Tür aufschwang und Gran das Zimmer betrat.

,,Hey Gran, kannst du bitte mein Handy holen? Ich glaube, es liegt noch auf dem Couchtisch", fragte ich sie und tauchte noch tiefer in den Schrank ab, weil ich den gesuchten Hoodie gerade irgendwo hatte hervorblitzen sehen. Ich war so vertieft in meine Suche, dass ich mich noch nicht mal wunderte, dass Gran mir nicht antwortete. Ha! Triumphierend hielt ich den Pullover hoch und wandte mich zur Tür und machte vor Schreck einen Satz nach hinten, denn in der Tür stand nicht Gran, sondern Will. Was macht der denn hier? War mein Tag bis hier hin nicht schon beschissen genug gewesen?

Euphoria (Abgeschlossen)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt