Ich schloss die Haustür auf und schüttelte schnell meine Sachen ab. Dann ging ich in die Küche, in der Hoffnung, dort Gran zu treffen. Sie war nicht da. Also suchte ich als nächstes im Stall. Die Pferde schauten aus ihren Boxen, als ich den Stall betrat. Naja, alle bis auf zwei: Azura und Golden Eye waren nicht zu sehen. Ich ging wieder hinaus, weil ich eine dunkle Ahnung hatte, wo die beiden sein könnten.
Ich bog um die Ecke, als ich Grans und Mr. Soncez' Stimmen hören konnte. ,,... hätten die beiden auch gerne mitnehmen können. Uns hätte das nichts ausgemacht, nicht wahr Adrina?", fragte Soncez seine Tochter ,,Mmhh", machte diese nur. ,,Meine Enkelin und ich brauchen unbedingt einen Neuanfang. Dazu gehört auch, dass wir beinahe alles loslassen, was hier gewesen ist. Wir werden auch unsere eigenen Pferde leider abgeben müssen", antwortete Gran. ,,Ein Jammer! Ich habe Ihre Pferde kurz sehen können und sie haben mir sehr gut gefallen. Schöne Tiere! Ich bin mir sicher, dass Sie für diese ein gutes Startkapital für Ihren Neuanfang kriegen werden. Ich wünsche Ihnen und Ihrer Enkelin nur das Beste! Vielleicht sieht man sich ja noch mal", verabschiedete sich Soncez freundlich und ich konnte hören, wie er die Autotür öffnete. ,,Ich danke Ihnen und wünsche Ihnen noch viel Spaß mit den Beiden!", erwiderte Gran. Kurz darauf hörte ich die Autotür zuknallen, der Motor startete und Azura und Golden Eye fuhren davon.
Ich hörte Schritte und kurz darauf kam Gran um die Ecke und sah mich da stehen. Sie sah mir Gesicht. ,,Komm lass uns rein gehen, wir haben eine Menge zu besprechen!", sagte sie sanft und ging ins Haus. Ein Tropfen fiel zu Boden und ich blickte zum Himmel, welcher wolkenlos war. Ich berührte mit leicht zitternder Hand meine Wange. Komisch, ich hatte gar nicht bemerkt, wie ich angefangen hatte zu Weinen. Ich wische grob über mein Gesicht und folgte Gran ins Haus.
Das Azura und Golden Eye jetzt weg waren ging mir eigentlich nicht besonders nahe. Warum ich dann geweint hatte, wusste ich selber nicht so genau. Vielleicht wurde mir in dieser Sekunde zum ersten Mal richtig bewusst, dass ich meine Heimat hinter mir lassen musste. Die Stadt, in der zwar nicht wirklich aufgewachsen war aber mich zum ersten Mal wieder glücklich gemacht hatte. Die Stadt, wo ich seit Jahren lebte. Die Stadt, wo meine engsten Freunde waren: Lil, Leanne, Jano, Orador und ganz besonders Will. Die Fotowand, mein Zimmer, meine Schule, der Wald, einfach meine gesamte Heimat. Und all das würde hier bleiben und ich würde gehen müssen. Wahrscheinlich für immer.
Auf einmal war ich in der Küche angekommen und ließ mich mechanisch auf einem Stuhl nieder. Gran fing an zu reden. ,,Katy, du weißt, dass das auch für mich nicht einfach ist. Das hier ist... war schon seit Jahren auch meine Heimat, auch meine Freunde und Bekannte leben hier. Ich habe dich bei sowas nie angelogen Katy und das werde ich auch jetzt nicht tun. Ich sage dir jetzt offen und ehrlich: Die nächsten Tage und Wochen nicht einfach für uns. Wir werden nach Arcadia ziehen, in ein relativ gut betuchtes Viertel. L.A. ist dort viel näher als New York hier. Alice hat mir zwar schon einen anständigen Job, uns ein Haus besorgt und sich um deine Schule gekümmert. Du wirst übrigens dort auf eine Privatschule gehen, die reichen Leute nehmen nur selten jemanden außerhalb ihren Kreisen auf, aber das weißt du ja. Sie heißt Barnhart School und ist nur wenige Minuten zu Fuß von unserem Haus entfernt. Außerdem kannst du in Kalifornien schon deinen Führerschein machen. Dann kannst du nach L.A. fahren wann du willst. Du wirst schnell neue Leute kennenlernen, du wirst schon sehen."
Nach Grans Ansprache, die irgendwie eingeübt klang, schwieg ich erstmal. ,,Ich glaube, ich habe gerade erst wirklich realisiert, dass ich wirklich diesen Ort für die nächsten Jahre verlassen werde. Gib mir bitte ein bis zwei Minuten, das zu verarbeiten", antwortete ich schließlich leise und mir schossen erneut Tränen in die Augen. Gran zog mich vom Stuhl hoch und schloss mich in die Arme. ,,Ich weiß mein Schatz. Es tut mir so leid", flüsterte sie in mein Ohr. Ich zögerte kurz und dann tat ich etwas, was ich seit vielen Jahren nicht mehr getan hatte: Ich schloss die Augen und ließ meinen Tränen bewusst freien Lauf.
Es tat unheimlich gut, nach so vielen Jahren endlich mal alles rauszulassen, was ich immer und immer wieder unterdrückt hatte. Ich zog das volle Programm durch, also inklusive Rotz und Wasser heulen. Ich weiß, dass in letzter Zeit ziemlich weinerlich war, aber naja, was soll ich sagen. Hättet ihr gedacht, dass fünf Tage eure gesamte Lebenssituation verändern können? Die Meisten würden jetzt ganz klar mit ,,Ja!" antworten. Ich hatte es irgendwie nicht so richtig geglaubt. Ich meine: Klar, man liest und hört davon. Aber ist immer so, dass man dieses Gefühl hat, dass das immer den Anderen passiert und man selbst bleibt davon verschont. Allen ist natürlich klar, dass sowas jeden treffen kann. Dennoch glaubt man nicht so richtig daran. Und wenn es dann doch eintrifft, ist man völlig unvorbereitet und erstmal heillos überfordert, genauso wie ich.
Nach ein paar Minuten löse ich mich schließlich von Gran und wischte erneut meine Tränen weg. Ich fing an, ebenfalls ein paar organisatorische Sachen zu besprechen. ,,Wann ziehen wir um?", fragte ich mit schwerer Stimme. Ich ging zur Spüle und füllte mir ein Glas mit Wasser. ,,Ende der Woche", antwortete Gran und ich verschluckte mich heftig an meinem Wasser. ,,Ich würde sagen, dass du schonmal anfängst zu packen. Die Kartons stehen im Abstellraum. Nimm dir so viele, wie du brauchst. Ich habe auch schon einige Sachen aus dem Wohnzimmer rausgeräumt, wenn du also etwas daraus suchst, frag mich bitte." Ich konnte noch nicht antworten, weil ich gerade mit dem verirrten Schluck Wasser in meiner Luftröhre kämpfte. ,,Ende der Woche!? Schon so bald!?", röchelte ich, nachdem ich den Kampf gewonnen hatte.
Gran seufzte. ,,Ich weiß, dass das ein bisschen viel für dich ist Katy..." ,,Ein bisschen ist gut", murrte ich. Gran fuhr jedoch unbeirrt fort. ,, ...aber so ist das Leben einer Euphoria nun mal. Du weißt, dass wir oft und schnell umherziehen und uns erst, wenn wir älter werden uns irgendwo dauerhaft niederlassen." Natürlich wusste ich das. Allerdings zogen die Meisten erst herum, wenn sie erwachsen und mit der Schule fertig sind und ich war weder das eine noch das andere. Ich sagte nichts mehr zu dem Umzugstermin, sondern änderte das Thema. ,,Was ist denn jetzt mit den Pferden? Mitnehmen geht ja nur schlecht." ,,Orador wird Lil übernehmen, ich hab schon mit ihr gesprochen. Für Enzo hab ich schon einen Interessenten; einen netten, jungen Mann, den ich schon seit Jahren kenne. Er würde auch Jano nehmen. Bei Diavolo muss ich noch gucken. Wir werden schon ein gutes Zuhause für ihn finden." Stille. Ich trank, dies mal langsam und bedächtig, mein Wasser aus und verlies dann die Küche. ,,Ich bin in meinem Zimmer und fange an", rief ich Gran über die Schulter hinweg zu. ,,Ja mach das, ich mach auch mal weiter", antwortete sie, erhob sich ebenfalls und verschwand im Wohnzimmer.
In der Abstellraum standen besagte Kartons und schnappte gleich ein paar davon. Dann ging ich langsam durch den Flur und die Treppen hoch, damit ich mich nicht noch maulte. Ich öffnete die Tür, rieb mir die Hände und ließ meine Fingerknöchel knacken. ,Auf in den Kampf!', dachte ich mir grimmig. Nur leider war das eigentlich nicht mein Kampf. Aber ich hatte keine andere Wahl.
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Euphoria (Abgeschlossen)
FantasyEskada, von allen nur Katy genannt, ist eine Euphoria, also jemand, der dafür sorgt, dass die Menschen die Hoffnung nicht aufgeben, egal wie auswegslos die Lage ist. Sie ist dafür verantwortlich, dass es immer einen Ausweg gibt und sie ist nie gesch...