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Verwundert drehe ich mich um und sehe direkt in seine grüne Augen, die meine Mustern.
„Ja, 912.." Murmel ich und halte die Tür etwas weiter offen, um ihn reinzubeten. Kurz überlege ich ob ich ihm einfach voller Enthusiasmus die Tür vor der Nase zuknallen soll, da ich mal wieder wackelpudding Beine habe, aber ich entscheide mich dich dazu höflich zu sein.

„Willst du?"

Ich nicke in die Wohnung und er nickt nur. Harvey scheint sich wirklich beruhigt zu haben, doch was will er plötzlich von mir? Ich habe ihn doch genervt? Langsam betritt er vor mir die Wohnung und reibt sich die Hände. Er zieht sich langsam seinen dunklen Mantel aus und ich beobachte ihn dabei. Ein grauer Pullover kommt zum Vorschein. Mit bedacht streicht er sich durch seine braunen locken und seufzt, während er sich schließlich auf das senfgelbe Sofa setzt. „W-willst du was trinken?" frage ich leicht benommen und hole schon im voraus zwei Gläser aus dem Küchenschrank. „Ja," gibt er von sich und scheint auf sein Handy zu schauen. Mit den beiden Gläsern und einer Flasche Wasser in der Hand haltend, gehe ich ins Wohnzimmer und setze mich, nachdem ich die Sachen mit bedacht abgestellt habe, mit einem gewissen Abstand neben ihn hin. Seine Präsenz macht mich mal wieder viel zu nervös. Seine raue Stimme durchbricht plötzlich die angenehme Stille „Es gibt einen Grund warum ich jetzt hier sitze." Mein Anblick wandert zu seinem Gesicht, welches mir eine gekräuselte Stirn vorzeigt „Oh. Und der Grund ist...?" Insgeheim kann ich mir das schon denken, was der Grund ist, dich ich will das aus seinem Mund hören. Konzentriert reibt er sich seine Hände und starrt auf den Wohnzimmertisch „Erstmal will ich mich bei dir entschuldigen für mein Verhalten eben." Erstmal ist nie gut, oder? Sein Gesichtsausdruck verändert sich nicht, es scheint sich sogar noch mehr zu verhärten „ Aber das du mich belauscht hast Ruby, hat nicht nur mich fast in Gefahr gebracht, sondern vor allem auch dich." Ich schlucke, genau damit habe ich gerechnet. Meine Ausreden kann ich mir echt sparen, aber die Wahrheit kann ich ihm auch nicht sagen. Hey Harvey, ich stehe volle pulle auf dich, stalke dich deswegen. Nein das käme wirklich komisch rüber. „Ja, d-das tut mir leid."  Um die Situation leicht zu überspielen, streiche ich mir eine verlorene Strähne hinter mein Ohr. „Weißt du es gibt Dinge, die musst du einfach nicht wissen und es gibt Dinge die gehen dich einfach nichts an. Und genau das ist so eine Sache." Tatsächlich scheint er sehr aufgewühlt zu sein und legt seinen Kopf in den Nacken „Wirklich, es hätte sonst was passieren können." Nun sieht er zu mir und hat einen ernsten Gesichtsausdruck drauf. Es scheint ihm  wirklich ernst zu sein. Ich überlege was ich darauf antworten soll außer „Ja ich weiß," denn ich weiß, wie gefährlich das hätte werden können. Anscheinend ist dieser Rick mehr als nur ein tätowierter Glatzkopf mit seinem möchtegern Porsche. Doch was genau Harvey mit dem zutun hat, soll wohl keiner erfahren. „Was überlegst du?" kommt es fragend von dem Locken Kopf, welcher mich mustert und bei meinen Händen stehen bleibt. Ja, ich habe sie wieder miteinander verknotet. Mich räuspernd antworte ich „Ich naja.. Ich weiß nicht was ich darauf antworten soll." Skeptisch blickt er mich darauf an. Mein Blick klebt augenblicklich auf dem schwarzen Bildschirm des Fernsehers. Ich weiß nicht wieso, aber im Moment fällt es mir ungemein schwer ihm in die Augen zu blicken. „Hör zu, das einzige was ich von dir möchte ist keine Antwort sondern eine Bitte. Ich bitte dich, mich nie wieder zu belauschen, sonst hat das sowohl für dich als auch für mich schlechte Konsequenzen." Schlechte Konsequenzen? Wie genau meint er das? „Hast du verstanden?"
Nickend beiße ich mir auf die Unterlippe. Ja verdammt, ich habe ihn verstanden. Und wie ich ihm verstanden habe. „Warum bist du eigentlich nicht in der Uni?" fragt Harvey urplötzlich und unterdrückt die Stille. Dasselbe könnte ich ihm auch fragen, doch das wäre ja bestimmt wieder ein zu tiefer Eingriff in seine Privatsphäre, richtig? „Mir ging es nicht gut, deswegen bin ich nach Hause gegangen." Jetzt sehe ich ihn wieder an. Er sieht konzentriert auf den Tisch und nickt, als wäre er gerade zu tief in Gedanken. Das ich mich in der Schule übergeben habe, muss er ja nicht unbedingt wissen. Zu viele Details sind auch nicht immer gut.
„Tja.." Harvey schnappt sich, nachdem ich sein Glas ausgetrunken hat, seinen Mantel. „Ich denke ich muss langsam." Etwas enttäuscht nicke ich und stehe mit ihm zusammen auf „Sehen wir uns morgen?" Seine grünen Augen mustern meine blauen. Meine Herz bleibt für eine Millisekunde stehen. Mein verwirrter Blick scheint er zu erkennen „Uni?" Achso, die Uni. Mir selber an die Stirn hauend lache ich und nicke anschließend. Seine Grübchen stechen kurz raus, als er mir sein amüsiertes lächeln schenkt.
Harvey verlässt die Wohnung und ich schließe die Tür. Wütend scheint er nicht zu sein. Er scheint mich auf eine gewisse Weise zu... Schützen?
~
Später laufe ich alleine durch die Innenstadt, da ich sowieso nichts besseres zutun habe. Außerdem ist die Uni schon längst vorbei, also brauche ich kein schlechtes Gewissen zu haben. Noah habe ich noch nichts davon erzählt, dass Harvey vorhin bei uns war. Irgendwie ist das auch privat.
Gerade telefoniere ich mit meiner Mutter. Wie sprechen über alles mögliche, aber vorallem über Dads Geburtstag in zwei Wochen. „Ja, soll ich denn schon einen Tag vorher kommen?" Schnell überquere ich die Straße. Begeistert stimmt sie zu. Meine Mutter will für meinen Vater, da er 55 Jahre alt wird, ein großes Fest veranstalten mit der ganzen Familie. Sie liebt sowas, organisieren ist ihre Leidenschaft. Schnell am Marktplatz entlang. „Ich schaue was ich für ihn kaufen kann." Vielleicht würde meinem Dad ein Buch seines Lieblingsautors Mark Twain gefallen.
Sie gibt mir ein paar Vorschläge, als sie nach einer kurz gehaltenen Verabschiedung auflegt. Das Handy stecke ich in meine Manteltasche und sehe mich um. Wo kann ich was für meinen Dad kaufen? Plötzlich kommt mir ein Geistesblitz, als ich ein Laden erkenne wo ich doch letztens schon hin wollte, aber meine Zeit hatte, da ich mit Anna und Noah unterwegs war. Constellations and flowerpot. Apropos Anna, hoffentlich verabschiedet sie sich noch, bevor sie heute wegfährt.
Motiviert gehe ich auf den kleinen Laden zu und öffne die Tür..

Wonder~When Impossible things become possible...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt