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Aufgebracht geht er in das Zimmer und sieht, bevor er die Tür schließt, noch einmal genaustens den Flur hinunter.
Noah und ich werfen uns komische Blicke zu. Was ist mit ihm? Und wer soll hier sein?
„Was ist los?" Während ich das frage, sehe ich auf seine aufgeplatzte Lippe. Er muss sich geprügelt haben. Nur warum? Und mit wem?
„Das ist jetzt unwichtig."
Ich will ihm widersprechen, als er sich an die Bettkante setzt und mich fragt „Wie geht's dir? Hast du noch schlafen können?"
Mein Nicken beantwortet seine Frage. Vom nahen sieht er noch schlimmer aus.
„Noah," ich sehe meinen besten Freund an "Kannst du bitte ein Waschlappen holen?"
Noah selbst steht auf und sagt bevor er die Tür schließt „Bis gleich."

Jetzt sind wir unter uns. Seine Hand hat rote Streifen, keine Kratzer, aber abdrücke. Aus reflex greife ich danach. Als würde er es nicht merken, sieht er weiterhin verträumt aus dem Fenster.
„Harvey."
Immer noch keine Reaktion.
Solange Noah weg ist, muss ich die Gunst der Stunde nutzen und ihn fragen was passiert ist.
„Rede bitte mit mir."
Dabei streicht mein Daumen seinen Handrücken. Kurz wandert sein angespannter Blick auf unsere Hände und dann in mein Gesicht. Ich sehe das er nachdenkt, vermutlich ob er mir davon erzählen soll.
Er kann mit mir reden. Über alles.
„Bitte."
Ein weiteres Mal sehe ich ihn flehend an, bis er seufzt „Gut, zu deinem Schutz erzähle ich dir was vorgefallen ist. Aber nur grob."
Überrascht von seinem Beschluss nicke ich nur und höre ihm zu.
„Ein Mensch der mir Probleme bereitet, ist hier aufgetaucht um noch mehr Ärger zur machen und Menschen mit rein zu ziehen, nicht nichts mit alle dem zu tun haben."
„Und diese Menschen sind wir?"
Er schüttelt den Kopf und sieht auf unsere Hände „Nur du."

Erschrocken sehe ich ihn an. Was?
„Wer ist es?"
„Ruby ich-"
„Sag es mir!" Panisch sehe ich in seine Augen.
„Es-es ist-"
Noah macht plötzlich die Tür auf und kommt mit einem Lappen in der Hand auf mich zu. Mist, er war gerade dabei mir alles zu erklären und da kommt auf einmal Noah.
Ich versuche zu lächeln und nehme das feuchte Tuch in meine Hand und will es Harvey an seine Lippe halten, als er nach meiner Hand greift und sie auf die Bettdecke legt.
„Nicht."
Er schüttelt den Kopf und steht auf. Was hat er plötzlich? Ist das sein ernst? Ich will ihm nur helfen.
„Ich muss jetzt gehen. Meine Mutter braucht mich." Harvey dreht sich zur Tür
„Warte!" Kurz sieht er über die Schulter.
„Ist alles g-"
„Ja alles bestens." Harvey lässt mich nicht mal Ausreden und drückt die Türklinke nach unten. Keine zwei Sekunden später hat er das Zimmer verlassen.
Mein Blick wandert zu dem Stuhl, wo noch sein Mantel drauf liegt.
„Noah, der Mantel!"
„Verdammt." Noah greift danach und rennt zur Tür um zu gucken ob er noch da ist, doch Fehlanzeige. Er ist weg. Der Feigling.
~
Später, nachdem ich Noah zwingen und erpressen musste, ist er nach Hause gegangen, damit er sich ein bisschen ausruhen kann. Schließlich sind bald die Prüfungen.
Ich liege alleine im Zimmer und warte auf ein Wunder. Was ist denn wenn ich über Weihnachten sogar hier bleiben muss?
Das wäre der Blanke Horror. Meine Familie würde ohne mich die schönsten Tage des Jahres zusammen verbringen, während ich auf ein Wunder warte. Worüber ich gar nicht nachdenken möchte ist, daß ich diese ganze Sache möglicherweise gar nicht überlebe.
„Guten Tag," ein Arzt taucht in meinem Zimmer auf und unterbricht gott sei dank meine Gedanken. Wie ein Schlag, trifft mich die Realität und ich Blicke zu dem grauhaarigen Arzt.
„Ich muss mal wieder Blut bei Ihnen abnehmen. Wie geht es Ihnen?"
Seit zwei Tagen wird mir täglich zweimal Blut abgenommen um zu schauen, ob mein Zustand noch stabil ist. Jeden Tag hoffe ich das es noch so ist. „Mir geht es gut." Soweit es einen gut gehen kann, wenn man jeden Tag Angst um sein Leben hat.
Der Arzt, Dr. Marten, schiebt den Ärmel meines Krankenhauskittels nach oben, um die Nadel durch meine Haut zu bohren. Als kleines Kind hatte ich unfassbare Angst vor Nadeln und Spritzen, doch das hat sich mit den Jahren ausgeklingt. „Haben Sie Hunger? Unten in der Küche haben Sie die besten Pfannekuchen vorbereitet." Im Moment geht mir der Enthusiasmus des Arztes gehörig auf die Nerven. Ich schüttele nur meinen Kopf und sehe von der metallischen Probe weg, die mein Blut ins sich transportiert.
„Na schön, sagen Sie bescheid wenn sich das noch ändert." Langsam zieht er die Nadel wieder raus und macht sie mit einem Desinfektiontuch sauber. Vorsichtig klebt er ein Pflaster über die Einstichstelle und steht auf.
„Ich komme später nochmal vorbei." Wieder nicke ich nur und lasse meinen Arm neben mir sinken. Es sind gerade mal zwei Tage vergangen, doch es kommt mir vor wie eine Ewigkeit.
Vorhin, kurz nachdem Noah gegangen war, habe ich mit meinen Eltern gesprochen. Sie haben es am Samstag von Noah erfahren. Natürlich waren und sind sie außer sich. Doch die Erlaubnis zu telefonieren habe ich heute erst bekommen, weshalb ich gleich die Chance ergriffen habe.
Sie so kommen schnell wie möglich die Tage vorbei, auch wenn mein Vater nächste Woche Geburtstag hat.
Ich werde ihm das Geschenk dann vorher geben. Vielleicht bringt Noah das morgen dann schonmal mit.

Was mich seit ich hier bin, aber immer verdrängt habe ist, dass Toby sich noch nicht einmal gemeldet hat. Nicht ein einziges Mal. Warum? Keine Ahnung. Es gibt dafür absolut keine Erklärung. Ich habe ihn auch gestern angerufen, doch rangegangen ist er nicht. Obwohl, eigentlich hätte er mich anrufen müssen und nicht ich ihn. Es wundert mich eben.
Während mich dieser Gedankengang wieder auf trap hält, nehme ich mein Handy und scrolle die Kontakte hinunter. Ich bleibe bei einer Person stehen.
Das er vorhin abrupt abgehauen ist, kann ich nicht verstehen, es ist doch nichts passiert und in was bin ich da mit verwickelt.

Mein Handy lege ich auf die Ablage neben mir und schließe meine Augen. Es soll endlich ein Wunder geschehen.

Wonder~When Impossible things become possible...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt