Kapitel 2

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»Die beiden sehen dir sehr ähnlich« stellte Paget fest und ich sah ihn zweifelnd an. Die Lippen hatten sie eindeutig von Paget, aber die beiden schienen meine helle Haut und die dunklen Haare zu haben. Ob man wenige Stunden nach der Geburt überhaupt feststellen konnte, wem sie wirklich ähnlich sahen? Als sämtliche Hebammen, Wachen und Hofdamen den Raum verlassen hatten, wandte ich mich von Paget ab. Ich konnte mich mit meinem halb aufgeschnittenen Bauch kaum drehen, aber den Schmerz war es mir Wert. Ich hörte Paget hinter mir aufseufzen und ballte wütend die Fäuste. Er hatte kein Recht sich über mich zu beklagen. »Ich möchte, dass du mich alleine lässt« flüsterte ich. Weder konnte ich seine Nähe gerade ertragen, noch wollte ich seine Lügen hören. »Lavinia. Ich ließ genauestens überwachen, ob du den Strapazen einer Geburt gewachsen sein würdest. Dieser Entschluss war lange diskutiert worden« versuchte Paget sich heraus zureden. Mein Mann hatte also von Beginn an nicht geglaubt, dass ich seine Kinder zur Welt bringen könnte. Großartig! »Bitte lass mich allein« wiederholte ich, doch einmal in seinem Leben schien Paget entschlossen sich zu erklären. Er nahm an meiner Bettkante platz.

»Geht es noch immer um Bonnebelle?«

»Nein. Du hast beschlossen, dass du mich einer tödlichen Operation auszusetzen, ohne mich ein einziges Mal um meine Meinung zu fragen«

»Ich wollte dich nicht bevormunden, Lavinia«

»Nein. Du wolltest mich umbringen«

***

Ich starrte in die Wiege des Kronprinzen. Mit einer Hand hielt ich sie in einem regelmäßigen Rhythmus, damit Novel nicht aufwachte, mit der anderen stützte ich mich am Fenster ab. Stehen fiel mir selbst nach drei Woche noch schwer. Ich sah nochmal in das Gesicht meines Sohnes, dass mich immer mehr an Pagets erinnert. Bei Avel war das seltener der Fall, weshalb ich ihn lieber bei mir hatte. Dass diese Entscheidung ungerecht war, wusste ich.

Du wolltest mich umbringen. Darauf war er einfach gegangen. Wie ein ertappter Dieb. Wütend ballte ich die Hände auf der Fensterbank zur Faust. Stöhnend schleppte ich mich zur nächsten Sitzgruppe und legte die Hände auf meinen Bauch. Manchmal glaubte ich, die Wunde sei noch offen. Der Arzt wollte mir versichern, dass ich weitere Kinder gebären könnte, aber so recht wollte ich ihm nicht glauben.

»Ich habe die Dokumente über die englischen Gesandten mitgebracht, Majestät« Gräfin Yorker knickste in der Tür, bevor sie sich zu mir auf die Sitzgruppe setzte. Ihr fragender Blick zeigte mir sofort, dass sie gerne nach dem Arzt schicken würde, aber mein Kopfschütteln reichte ihr, um es sein zu lassen. Sie half mir auf die Beine und als ich den Raum verließ, glaubte ich, Novel kurz quengeln zu hören. Die Amme war sofort bei ihm.

»Irgendwelche Neuigkeiten von Seiner Majestät dem Erzherzog?«

»Nein, Majestät. Er soll in den nächsten Tagen vom Grenzgebiet zurück sein«

Ich nickte der Gräfin zu, die kurz meine Hand drückte. Stöhnend ließ ich mich auf der Sitzgruppe nieder und strich über die helle Polsterung, bevor ich die Dokumente überflog. Ich wäre gerne beim Empfang dabei, aber so wie es aussah, würde es noch mehrere Wochen dauern, bis ich gerade in einem Ballkleid stehen könnte. Verärgert über meine eigene Schwäche unterzeichnete ich die Hälfte der Dokumente, ohne sie überhaupt ganz gelesen zu haben. Da waren viel erfahrene Leute als ich am Werk.

»Ihr lasst den Kopf schon wieder hängen« mahnte Maida, als sie die Vorhänge am Abend zuzog. »Ich vermisse ihn, auch wenn das töricht sein mag« gestand ich ihr und meine Hofdame setzte sich zu mir an die Bettkante. Ich drängte die Tränen zurück und versuchte, ihr tapfer entgegenzublicken. »Habt Ihr ihm das gesagt?« fragte sie und ich sie überrascht auf. Das könnte ich nicht. Nicht, nachdem er mein Leben riskiert hatte, ohne mich zu fragen. Ich wollte nicht einsehen, dass es keinen anderen Weg gab.

»Soll ich Seine Majestät her bitten?«

»Ich will nicht länger schwach sein«

»Dann holt ihn her und lasst Eure Dämonen hinter Euch«

Die Gräfin schwieg die nächsten Tage über ihren Vorschlag und ich war dankbar, der Wahrheit weiter aus dem Weg gehen zu können. Mathew hatte sich für heute Abend zum Dinner angekündigt. Da Gwen immer noch auf Kur war, organisierte Princesse Solei den Abend, das sie in helle Aufregung versetzte. Mittlerweile genoss ich es, eine gleichaltrige Person in meinem Umfeld zu haben und es war mir nicht mehr unangenehm, mich in Gwens Haus einquartiert zu haben.

»Die beiden Jungen sind engelsgleich« schwärmte Solei und spielte mit ihrer Perlenhalskette. Sie wollte mir nicht verraten, wer sie ihr geschenkt hatte, aber da kam nur Nemours kleinerer Bruder in Frage. Yorker richtete gerade die letzte Haarpartie und ich wartete ungeduldig. Das würde mein erstes Dinner nach der Geburt werden. Ich war erleichtert, das Kindbett hinter mir zu lassen.

Solei half mir die Treppe hinunter, da ich immer noch ein bisschen wackelig auf meinen eigenen Beinen stand. »Hat Seine Majestät der Kaiser gesagt, was er von Euch möchte?« fragte sie und ich schüttelte stumm den Kopf. Ich redete mir ein, dass es keinen speziellen Grund gab, dass mich Mathew sehen wollte. Denn insgeheim hegte ich die Befürchtung, dass es um Paget gehen könnte und alleine der Gedanke machte mich rasend. Ob vor Wut oder Trauer konnte ich nicht mehr genau feststellen.

Aber Mathew hielt sich das ganze Dinner über bedeckt. Sprach über den Grenzkonflikt und Pagets Unfähigkeit Frieden zu stiften. Dabei warf er mir immer wieder vielsagende Blicke zu, die ich nicht wirklich deuten konnte. Mein Mann konnte mir nicht in die Augen sehen. Es war unmöglich für uns beide, gemeinsam an der Grenze etwas zu bewirken. Princesse Solei plauderte fröhlich weiter, während sich mein Blick in Mathews verhakte. Ich übersah etwas. Als mein Cousin die Augenbraun nach oben zog, traf es mich wie ein Blitz.

Ich sollte Paget nicht helfen.

Ich sollte an seiner Stelle an den Hof meiner Mutter reisen und den Konflikt beilegen.

Erzherzogin Lavinia - das Mädchen unter vielenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt