Kapitel 19

810 55 1
                                    

Mathew schaffte es seine Geliebte und mich die nächsten Tage auf Abstand zu halten. Wofür ich insgeheim dankbar war. Ich versuchte, in das Leben zu finden, dass eigentlich mein Altes und Gewohntes sein sollte. Aber so recht konnte ich es nicht finden. Nemours hielt meinen Hofstaat am Laufen und verhinderte, dass ich auf allzu viele Adelige traf. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Wie ich ihnen begegnen konnte. Sobald der Saalhüter mit dem Stock aufschlug, wollte ich mich kleinmachen und mich unter meinem großen Schreibtisch verstecken.
Niemand sollte bemerken, wie wenig herrschaftlich und überlegen ich mich fühlte. Das, dass ich am liebsten und meisten tat, war Schlafen. Ich schlief länger wie Paget, mied Dinners und schlummerte bereits, wenn er ins Bett kam. Wahrscheinlich waren es gerade meine geschickten Manöver ihm auszuweichen, die ihn in die Arme einer anderen Frau trieben. Stöhnend legte ich die Hände auf meinen Bauch, zog sie aber angeekelt sofort wieder zurück. Meine Bauchdecke sollte sich gerade beginnen zu wölben, anstelle aber war da eine Senkung, die weder hübsch noch gesund war.
»Majestät« Maida blieb wenige Schritte vor meinem Schreibtisch stehen und sah mich weit bekümmerter an, als sie in Malheur getan hat. Wie immer wich ich ihr aus. »Lady Asbury wäre hier« berichtete sie mir mit gedämpfter Stimme. Ich strafte meine Schultern und erhob mich mit Schwung von meinem Stuhl. Sie deutete einen Knicks an und steckte den Kopf durch die Tür. Ich hörte die Rufe, die durch meine überwiegend schmucklosen, aber durchaus prachtvollen Räume hallten und wenige Momente später knickste Asbury in der Tür. »Bitte verzeiht« nuschelte sie so leise, dass ich Mühe hatte, sie zu verstehen. »Gleich als mir Mathew erzählt hatte, dass Ihr zurück seit, wollte ich Euch besuchen, Majestät. Aber Mathew wollte uns beide unbedingt vor den Engländern schützen und ...« - »Das ihm misslungen ist« Ich deutete Lady Asbury platz zu nehmen, die sich mit hochgezogenen Schultern auf leisen Sohlen durch den Raum bewegte.
War es immer schon so angespannt zwischen uns gewesen?
»Ich habe keinesfalls vor, Euch Haddock einfach so zu überlassen. Deshalb ist es wichtig, dass Ihr mir die Wahrheit erzählt, Lady Asbury«
»Es ist wahr, das ich Informationen an Mathew weitergegeben habe« gestand sie, worauf ich langsam Luft ausblies. Das erleichtert die Angelegenheit nicht unbedingt.
»Staatsgeheimnisse?« bohrte ich nach. Die Queen wird sie kaum jagen, wenn sie lediglich den Klatsch weitererzählt hat. »Ich hatte nie das Gefühl, dass ich mit dem, dass ich Mathew erzählte, ihre Herrschaft in Gefahr bringen könnte« - »Niemand bringt so schnell den Kopf des britischen Empires zu Fall, aber damit habt Ihr zumindest ihr Interesse geweckt«
Wir verharrten einen Moment schweigend. Der Queen musste doch klar sein, dass Bonheur ein treuer Verbündeter ist. Warum sollte Mathew dann seine Geliebte als Spionin einsetzen?
»Welche Art von Informationen habt Ihr gesammelt?«
»Alles, dass ich aufschnappen konnte«
»Was kann es sein, dass den englischen Hof dermaßen in Aufruhr versetzt?«
»Ich weiß es nicht«
Seufzend erhob ich mich. Ich konnte mir vorstellen, dass sie eine genaue Vorstellung davon hatte, warum sie von so großer Bedeutung für die englische Krone war. Die Frage bleibt, ob sie Mathew dazu angeleitet hatte, gegenüber mir stillschweigen zu bewahren, oder ob sie den Grund vor uns allen verbirgt.
Die Frage war, ob Mathew mir misstraute oder Lady Asbury.

***

»Kennt Ihr den Grund, warum Lady Asbury das Interesse der Engländer erweckt hat?« fragte ich Mathew und ließ mich unaufgefordert bei seinem Schreibtisch wieder. Ich mochte Lady Asbury. Es sah ihr nicht ähnlich unehrlich gegenüber mir zu sein. Mathew antwortete mir, ohne das Dokument wegzulegen, dass er gerade studierte.
»Wie kommt Ihr darauf, Cousine?«
»Haddock wird nicht nachgeben, bevor er nicht mit Eurer Geliebten gesprochen hat. Bisher hatte ich das Gefühl, Ihr wollt das verhindern«
Mathew schob das Dokument beiseite und funkelte mich böse an. Ich gab mir alle Mühe mich nicht geschlagen zu geben, trotzdem konnte ich dem Drang nicht widerstehen, den Sessel ein Stück zurückzuschieben.
»Deshalb habe ich Euch damit betraut. Ihr kennt die englische Kultur, macht ihm klar, dass Lady Asbury uninteressant für ihn ist«
Ich schmunzelte, als er ihren Titel erwähnte. Paget hatte meistens wenigsten das Rückgrat, seine Betthäschen als solche zu betiteln und die Beziehung nicht hinter Titeln zu verstecken. »Kann ich dem Diplomaten versichern, dass unsere Beziehung zu England intakt und konfliktfrei ist?« - »Natürlich, Cousine!« Die ehrliche Empörung ließ mich zumindest eine Verschwörung ausschließen. Ich nickte ihm zu und erhob mich. Daraus musste ich jetzt eine Antwort für Haddock basteln. Eine, die er glauben wird und ich habe das Gefühl, das wird nicht so leicht.
»Geht ein bisschen unter Leute, Lavinia. Ich mache mir Sorgen« gestand er und erhob sich ebenfalls von seinem Platz. Mit Leuten meinte er Adelige. Aber das konnte ich noch nicht. Der anstehende Hofball reichte mir. Da würde ich wieder die Erzherzogin sein, die sie alle haben wollten, die sie vielleicht sogar brauchten. Aber bis dahin wollte ich mich noch klein machen. »Es wurde ein Konzert Euch zu Ehren geschrieben und wird in einigen Tagen uraufgeführt. Das wäre doch einen Besuch wert« schlug Mathew vor, worauf ich ihm ein schmales Lächeln schenkte. Solange Paget oder Gideon mich begleiten könnten und ich anschließend keine Soiree geben müsste, könnte ich mir das vorstellen. Aber erst nach dem Hofball. Dann hatte ich hoffentlich meine Würde wiedergefunden. 

***

Der Arzt war gerade dabei, dass er meine Verbände wechselte. Bemüht, mich nicht wie ein kleines, wehleidiges Kind zu benehmen, presste ich meine Lippen fest aufeinander. Ich hatte genug geschrien. »Wie geht es der Erzherzogin?« fragte Paget im selben Moment, als er durch die Tür kam. Beschämt wandte ich den Kopf ab. Ich war spindeldürr und hatte einen vernarbten Rücken! Danke der indirekten Nachfrage.
»Ihre Majestät braucht Zeit und nicht nur Kuchen zu Essen« antwortete mein Arzt, und seine Bemerkung brachte mich zum Lächeln. Ich musste meinen Rückstand an Kuchenzufuhr nachholen. »Danke, Herr Geheimrat« sobald die Tür hinter ihm zugefallen war, riss ich mir mein Nachtkleid wieder an Ort und Stelle. Ich hätte Paget gerne angesehen, ihn beruhigt, aber ich konnte nicht. Er hatte es schon wieder gesehen . Diese Narben, die ich in den letzten so gut verstecken konnte.
»Wieso möchtest du nicht mir zu Abend essen? Zur Nachspeise gibt es so viel Kuchen, wie du willst«
»Ich bin kein kleines Kind, Paget«
»Aber du bist verletzt«
Ich fuhr zusammen und spürte einen Moment später Pagets Hände auf meinen Schultern. Vergeblich versuchte ich sie abzuschütteln. »Fass mich nicht an« wehrte ich mich und ließ mich kaum, dass er mich losgelassen hatte ins Bett sinken und rollte mich klein zusammen. »Geht es um die Ministerin?« fragte Paget und ging vor meinem Bett in die Hocke. Er versuchte, Blickkontakt mit mir zu schaffen, aber ich wich ihm aus. Abends fühlte ich mich besonders schwach. Im Laufe des Tages begannen die Wunden immer mehr zu spannen und der Schmerz erinnerte mich an alles, das ich verloren und verraten hatte.
»Hast du Schmerzen?«
»Das ist gut so«
Paget legte seine Hände an meine Wangen und zwang mich, ihn anzusehen. »Ich will so etwas nicht hören. Ich liebe dich, Lavinia« flüsterte er und strich mir vorsichtig eine Träne von der Wange. »Mathew misstraut mir« gestand ich und schluchzte auf. Alle misstrauen mir. »Nein, Darling« Paget rollte sich auf mich und zwang mich somit, meine Schutzhaltung aufzugeben. Aber ihn über mir zu wissen war der beste Schutz, den ich mir vorstellen konnte.
»Mathew vertraut dir Asbury an. Mehr Anerkennung kann er dir nicht zollen« Ich sah misstrauisch zu ihm auf, worauf er seine Lippen in meine Halsbeuge drückte. Ich vergrub meine Hände in seinem Haar, worauf er seine Hände unter meinen Rücken schieben wollte. Ich fuhr sofort zurück. Er sollte das nicht sehen, nicht spüren, am besten soll er es vergessen.
»Du bist für uns durch die Hölle gegangen. Darauf solltest du stolz sein, anstelle dich zu schämen«


Erzherzogin Lavinia - das Mädchen unter vielenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt