Kapitel 32

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Timophly hatte versprochen hinter mir zu bleiben. Mir wäre es angenehmer, er stünde hinter ihrem Rücken, damit ich ihn sehen könnte und die Gewissheit hätte, ich wäre nicht alleine. Aber wahrscheinlich ist es wichtiger, dass die Minister bemerkte, dass ich trotz allem geschützt war.
Paget hatte Recht mit ihren roten Haaren. Sie umgaben sie wie Flammen und verliehen ihr selbst in diesem schäbigen Aufzug etwas hoheitsvolles. Ich musterte sie einen Moment. Ihre Hände waren nach hinten gebunden und ihre Augen lagen tief in den Höhen. Trotzdem hatte sie noch etwas von ihrem Kampfgeist, denn bei meinem Anblick rümpfte sie trotzig die Nase. Obwohl wir seit längerem wissen, dass sie sterben würde, schienen wir sie besser zu verpflegen, als es Kenneth es bei mir getan hat. Das boshafte Lächeln, dass auf ihre schmalen Lippen trat, bekräftigte, dass sie sich dasselbe dachte.
»Paget muss sich ja fühlen, als würde er es mit einem Skelet treiben« spottete sie, worauf mir die Schamesröte ins Gesicht stieg. Timophly hörte das. Wobei, es werden noch viele Dinge fallen, die mir peinlich sein werden. Deshalb war ich hier. Timophly konnte ich vertrauen. »Das wird sich bald ändern« erwiderte ich und strich vorsichtig über meinen Bauch. Sobald diese Frau unter der Erde lag, hätten wir beide Ruhe.
»Ich möchte, dass Ihr mir von Kenneths Plänen mit mir erzählt« erklärte ich und nahm auf der gegenüberliegenden Seite des klapprigen Holztisches Platz. Die steinernen Mauern erinnern mich an Malheur, aber ich gab mir Mühe, die Erinnerung zurückzudrängen. Jetzt war ich die Mächtige. »Euer Ehemann hat mich gerade genommen, als Euch mein Kaiser die Peitsche spüren ließ« fauchte sie und ich fuhr zurück. Der Sessel quietschte und ich wäre um ein Haar umgekippt. »Majestät, bitte lasst uns ...« Ich hob die Hand, worauf Timophly schwieg.
»Es muss eine Umstellung gewesen sein, wenn einem plötzlich nicht mehr alle verehren und aus der Hand fressen«
»Eure Soldaten haben mir die Flucht ermöglicht. Ich wusste mir durchaus zu helfen«
Die Ministerin presste ihre Lippen zusammen, sodass sie beinahe aus ihrem Gesicht verschwanden. Ich gönnte mir ein kleines siegessicheres Lächeln. Timophly hinter mir bewegte sich. Ich widerstand dem Drang, mich nach ihm umzudrehen. »Ihr werdet morgen sterben, Minister, daran kann Ihre Majestät nichts ändern« stellte Timophly fest und die Ministerin verschränkte die Arme vor ihrer Brust. Wie es sich anfühlen musste seit Tagen auf den einen Augenblick zu warten, indem man sterben musste. Wahrscheinlich verschwendete ich hier meine Zeit. Sie hatte alles verloren und wird mir sicherlich nicht aus Herzensgüte helfen.
»Aber Ihre Majestät verfügt über die besten Ärzte des Landes. Die sie zu Eurer Mutter schicken könnte. Ihre Majestät kann beeinflussen, ob Eure Familie in diesen Zellen verrottet oder ob ihnen die Chance zur Rehabitilation geboten wird« Ich wandte mich zu Timophly um. Würde Mathew das zulassen? War ich überhaupt stark genug ihrer Mutter nach dem morgigen Tag in die Augen zu sehen?
»Sind die Narben von der Auspeitschung?« Wechselte die Ministerin und ich zog meine Augenbrauen nach oben. Wollte sie mich verspotten? Sean war brutal, aber er hatte immer den Mum mich mit seinen Händen zu schlagen. Der Minister nicht.
»Kenneth hat gesagt, die Bilder seien bloß zu Propagandazwecken da und das Ihr keine Narben hättet«
»Wisst Ihr überhaupt, was in dieser Nacht geschehen ist?«
»Bis vor wenigen Augenblicken hätte ich diese Frage bejaht. Aber ... werdet Ihr meiner Familie wirklich helfen, sollte ich Eure Fragen beantworten?«
»Alles, dass der Kaiser erlaubt, werde ich für Eure Familie tun«
Die Ministerin nickt langsam und sah nochmal zu Timophly zurück. Mit ihm habe ich einen Zeugen, der ihren Bericht emotionslos auswerten wird. So könnte das Militär vielleicht noch effektiver werden. Meiner Meinung nach sollten sie damit beginnen zu bestätigen, dass mich Kenneth misshandeln ließ. Mit Sicherheit wird das die Einstellung der Menschen nochmal beeinflussen.
»Paget hat mich nicht oft aufgesucht. Er glaubte, durch den Sex könnte er sich meine Loyalität sichern. Aber in Wahrheit war es umgekehrt. Ich war es plötzlich, die Zugang zu Euch hatte und er nicht. Das ließ ihn vorsichtig werden« sie zögerte einen Moment und spielte schüchtern mit den Bändern, die ihr Kleid verzierten, bevor es in der Zelle zerrissen war. »Wahrscheinlich wollt Ihr das nicht hören« sie zögerte einen Moment, »Paget hat von Euch mit einem Leuchten in den Augen gesprochen. Er wusste, dass es Euch weh tun würde, wenn Ihr wüsstet, dass er ...« Sie brach ab und wandte den Blick ab. Ihre Scham fühlte sich längst nicht so befriedigend an, wie ich es mir erhofft hatte.
»Mama« krächzte ich und räusperte mich verlegen. Warum ging mir das noch immer so Nahe? Dummes, dummes Mädchen. »Wie ist Mama in die Sache verwickelt?« fragte ich. Sie war mir eigentlich fremd und trotzdem wollte ich hören, dass meine Mutter mich nicht ins offene Messer hat laufen lassen. »Die Kaiserin versteckt sich so weit es Kenneth erlaubt in Dorians Anwesen. Ich kann mir nicht vorstellen, oder hätte es mitbekommen, dass sie sich eingemischt hat« sie schüttelte kurz den Kopf, »Kenneth hat längst ein anderes Spielzeug gefunden. Die Kaiserin ist für ihn ...« zum zweiten Mal schüttelte sie den Kopf, bevor sie schmal lächelte, »Früher war das so, wie Ihr und Paget. Eure Mutter war für Kenneth etwas ganz besonders, bis sie ihn irgendwann weggestoßen hatte«
Jetzt musste ich wegsehen. Es fühlte sich nicht so an, als wäre ich für Paget etwas Besonderes. Vielleicht besonders mühsam, ja, aber ansonsten ... Ich räusperte mich. Eigentlich hatte ich nicht vor mit ihr über Paget zu sprechen. »Hatte Onkel Kenneth von Beginn an geplant, diese Dinge mit mir zu machen?« - »Ich weiß nicht, ob Ihr es bemerkt habt, aber unser Adel war zwischen den Ansichten des Ministers und Dorians gespalten. Kenneth stand immer dazwischen. Meistens glich es einem Tauziehen, wessen Vorschlag durchgesetzt wurde« Ich hatte während meiner Zeit in Malheur das Gefühl, der Minister sei Onkel Kenneths einziger Ratgeber. »In Eurem Fall konnte Dorian zum Beispiel durchsetzen, dass Ihr bei ihm zuhause untergebracht wurdet, wo Ihr in der Nähe Eurer Mutter wart und Euch öffentliche Auftritte erspart wurden. Dorian konnte sich nicht gegen den Minister durchsetzen, als es um die Hungerkuren oder die Bestrafungen ging« Öffentliche Auftritte? Wollte der Minister wirklich zur Schau stellen, was er mir antat? Mich überlief alleine bei der Vorstellung ein Schauer. Ich warf einen raschen Blick auf meine Armbanduhr. Mir blieb nicht mehr viel Zeit.
»Mathew gestattete die Reise, um Frieden zu schließen. Was versprach sich Kenneth davon?«
»Ich kann Euch nicht sagen, wer ihm diesen Floh ins Ohr gesetzt hat, aber einerseits sah er Euch als seine Tochter an und außerdem wollte er Euch immer noch an Dorians Seite. Wir hatten leider überhaupt keine Vorstellung davon, wer Ihr seid oder was Ihr wissen könntet« Sie lachte kurz auf und strich über die raue Oberfläche des Holztisches. »Alle außer Dorian. Er wusste von Beginn an, dass Ihr kein Wort verlieren würdet. Außer ihm gegenüber. Wobei das im nachhineinbetrachtet sicherlich auch eine List war, nicht wahr?« Ich presste meine Lippen zusammen. Es stimmte. Wir hatten Kenneth und seine Leute an der Nase herumgeführt. Aber das würde ich ihr heute nicht mehr unter die Nase reiben. Ich erhob mich. »Es tut mir leid, dass Seine Majestät der Kaiser diese Strafe für Euch gewählt hat, Ministerin« - »Bitte tut nicht so, als wäre es Euch nicht angenehm, mich aus dem Weg zu haben. Alleine die Erwähnung meiner Person muss unglaubliche Scham in Euch auslösen. Ich habe meinem Land gut gedient und bin für meine Überzeugungen eingetreten. Niemals habe ich vor einem Monarch oder Ehemann katzgebuckelt. Ich bereue nichts, Majestät, und bin beinahe doppelt so alt wie Ihr. Überlegt einmal, wie viel Ihr bereits bereut. Bitte ergänzt Eure Liste nicht durch Wortbruch. Ich habe Euch ehrlich geantwortet und vertraue darauf, dass Ihr meiner Familie helft«
Ich hob meinen Kopf ein Stückchen höher. Sie war eine blinde Patriotin. Dafür ging sie in den Tod. Ihr Hochmut stand im Widerspruch zu ihrem Schicksal. Ihr Auftreten war in diesem Gespräch so oft umgeschwenkt, dass mir schwindelig davon werden würde, wäre ihr Verhalten ein Pendel. »Ich kümmere mich um meine Leute« bestätigte ich ihr, worauf sie kurz den Mund verzog. Sie verbeugte sich nicht, als ich ging, aber zumindest senkte sie den Kopf. Das war mehr, als ich von einer Todgeweihten erwarten konnte.


Erzherzogin Lavinia - das Mädchen unter vielenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt