Kapitel 20

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Maida schleppte mein neues Ballkleid durch die Tür und hängte es auf den nächsten Schrank. Ihre Wangen waren leicht gerötet - das Kleid schien also schwerer zu sein, als es aussah. »Seid Ihr sicher, dass Ihr es nicht verbunden haben wollt?« fragte mich Gräfin deLaurent zum sicher hundertsten Mal, worauf ich wie immer bejahte. Die Verbände mussten über meine Schultern gewickelt werden, damit sie wirklich gut hielten und alles bedeckten. Das Ballkleid hatt einen U-Boot-förmigen Ausschnitt und ich wollte nicht, das jemand die Verbände sieht. Seufzend half sie mir in das Kleid und hob die Locken meiner Frisur auf, damit sie das Kleid schließen konnten. Ehrfürchtig strich ich über denn Rock, tastete die Edelsteine auf meinem Mieder ab, bevor ich mich einmal vor meinem Spiegel im Kreis drehte.

Ich erstarrte.
Verrenkte mich, ob meinen Rücken besser sehen zu können.
Atmete einmal tief durch, bevor ich mich zu den beiden umdrehte und die Arme verschränkte. Damit kämpfte, mich nicht sofort in ein weinendes Bündel zu verwandeln.
Die Rundung des Rückenausschnittes zeigte die Ausläufer meine Narben. Hässliche, wulstige, rote Striemen, die einfach nicht verheilen und verschwinden wollten. »Es gibt keinen Grund, dass Ihr Euch dieser Male schämen solltet« protestierte deLaurent. Maida nickte zustimmend. »Ihr habt Eurem Land einen großen Dienst erwiesen. Manche dürfen das mit einem Orden zur Schau tragen. Aber ich verrate Euch etwas, Lavinia. Die wirklichen Helden haben keine Orden, sondern genauso wie Ihr Narben« Maida legte ihre Hände auf meine Schultern und drückte mir einen Kuss auf die Wange. Mir floss eine Träne aus dem Augenwinkel.

***

»Majestät sollten da nicht hineingehen« stoppte mich eine Wache und ich blieb überrascht vor der Tür stehen. Sah zwischen den beiden Männern hin und her. Ihre ausdruckslose Miene, die die Soldaten ansonsten zur Schau trugen war verschwunden. Anstelle stand da ehrliche Besorgnis. Verunsichert wandte ich mich zu meinen Hofdamen um. Was sollte ich darauf sagen?
Erleichtert lächelte ich, als Nemours mit seinen langen Schritten durch den Gang hetzte. Mit Sicherheit könnte er alles aufklären. »Ich glaube nicht, dass heute Abend ein Ball stattfinden wird« erklärte er mit verbissenem Gesichtsausdruck und holte zwei Zeitungsartikel aus seiner Jackettasche heraus. Was konnte schon so schlimmes geschehen sein, das Anlass gibt, alle Adeligen vor den Kopf zu stoßen? »Es tut mir so unendlich leid« flüsterte er und drückte mir die beiden Blätter in die Hand.

Erzherzogin schwanger? - Fehlgeburt wird von Arzt angezweifelt

Mir fuhr ein Stich durch den Bauch. Automatisch suchte meine Hand meine Bauchdecke ab. Da war kein Leben mehr. Besagter Arzt kam zu spät. Ich suchte nach dem Herausgeber der Zeitung. Ein Abendblatt aus Malheur - woher auch immer Nemours das bekommen hat. Das war eine infame Lüge. »Ich sehe darin keinen Grund nicht am Ball zu erscheinen« - »Majestät, seine kaiserliche Hoheit hat es nie öffentlich gemacht, dass Ihr Euer Kind verloren habt« Langsam nickte ich. Es war für mich unverständlich, warum die breite Masse jedes Detail dieser Wochen kennen wollte. Das wollte ich nicht sein - das soll nicht das Bild sein, dass die Menschen von mir haben. Ein junges, entstelltes Mädchen, dass ihr drittes Kind verloren hat. So fühlte ich mich nicht. Zumindest nicht immer.
»Ließt weiter« forderte Nemours und ich konnte an seinem Gesicht ablesen, wie viel Überwindung ihn das kostet. Das bedeutete nichts Gutes. Zögerlich schob ich den Zettel bei Seite.

Spionagenetz des Erzhauses sabotiert - Geliebte des Erzherzogs gibt falsche Informationen über den Aufenthalt der Erzherzogin 

Nemours sah mich nicht an.
Ich sah Nemours nicht an.
Einen Augenblick schien die Zeit still zu stehen. Da war nur Wut. Wut und Trauer und Verzweiflung und das schreckliche Gefühl verraten worden zu sein. Kenneth hat die ganze Zeit gewusst, dass man mich nicht finden würde. Er hatte das Oberhaupt eines Landes irregeführt, dass die Geschicke in ganz Europa beeinflusst - nur nicht die im eigenen Land kontrollieren kann.
»Lasst mich durch« fauchte ich. Die Wachen traten erschrocken einen Schritt zur Seite und ich stieß mir die Türen selber auf. Die Blicke aller im Raum fuhren zu mir herum, dann sah sie gleichzeitig alle weg.
»Sagt mir, dass es nicht wahr ist« verlangte ich leise und ging zügig auf Paget zu. Die meisten der Männer kannte ich. Es war Mathews innerster Kreis. Vor eineinhalb Wochen sind sie hier noch gestanden und haben sich von Pagets Konkubine leiten lassen. »Ich schwöre, Darling - das ich nicht wusste, das ...« - »deine Geliebte dich betrügt?« Alle Männer zuckten zusammen. Paget riss die Augen auf. Ich hatte ihn noch nie angeschrien. Ich sollte es öfter machen, es tat gut. »Und, wie fühlt es sich an betrogen zu werden?« spottete ich und wanderte ans andere Ende des Raumes. Lehnte mich gegen die Fensterläden und verschränkte meine Arme. Zu meiner Überraschung herrschte betretenes Schweigen. Es war falsch, aber ihre Scham fühlte sich gut an. »Was wünschen Eure Majestät das ich jetzt sage?« fragte ich, worauf Mathews Kopf zu mir herum ruckte.

Erzherzogin Lavinia - das Mädchen unter vielenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt