Grace saß wie ein Häufchen elend auf ihrem Platz. Zu meinem Glück hatte sie heute bei mir geschlafen. Alleine deshalb konnte ich die Nacht über schlafen. Trotzdem bat ich la Rovere da zu bleiben, bis wir beide schliefen. Nur, um sicher zu gehen, dass wirklich nichts geschah. Der Mann war Tod. Mich überlief ein Schauer bei dem Gedanken, dass ich aufbauend seine Schulter gedrückt hatte. Sie werden mich für eine Verräterin halten, für eine Lügnerin. Ich habe geschworen, dass ich mich für sie einsetze und sie haben mit einem besseren Ergebnis gerechnet, als dem Tod.
»Was fehlt dir, Prinzessin?«
»Ich vermisse Princesse Solei. Und den Porridge, den es zum Frühstück gab. Und Euer Lachen«
Langsam ließ ich meine Gabel sinken. Grace traten Tränen in die Augen und ich sprang erschrocken von meinem Stuhl auf. Die Ärmste. Ich kniete mich vor sie hin und rieb über ihre Oberarme. »Ich vermisse das auch« gestand ich, worauf Grace zu weinen begann. Jetzt schien sie zu wissen, dass sie sich nicht mehr zu schämen brauchte. Gut so. Ich zog sie auf die Beine und schob sie zur nächsten Sitzgruppe. Ich schlang meine Arme um sie und hoffte, dass sie sich dadurch weniger alleine fühlt.
»Können wir in der Küche fragen, ob sie uns auch Porridge machen können?« fragte Grace hoffnungsvoll, worauf ich den Blick von la Rovere suchte. Ich war noch nie in der Schloss Küche. La Rovere sah weiter zu Timophly, der entschieden den Kopf schüttelte. »Mein Engel, das geht bei einer so großen Küche wie der des Schlosses nicht. Aber vielleicht schaff ich es bis morgen, welchen zu organisieren, in Ordnung?« Grace nickte langsam, machte aber keine Anstalt sich von mir zu lösen. Ich wollte sie dabei nicht drängen. Desto länger ich mich von Mathews Aufgaben fernhalten konnte, desto besser.
***
Ich sah Mathew nicht an, während er mich musterte. Ich konnte mich noch vage an die Vertrautheit erinnern, die uns verbunden hatte, während Paget im Krieg war. Aber anscheinend verschwand Mathews Zärtlichkeit mit der Ankunft Pagets. »Darf ich Euch Baroness Delune vorstellen?« Mathew deutete auf eine ältere, pummelige Frau links von ihm, die gerade einen Knicks machte. Ich nickte ihr lediglich zu, weil ich Mathew nicht zunahe kommen wollte. Etwas zwischen uns war gestern schief gelaufen und ich hatte bei Gott nicht den Mut es anzusprechen. »Sie wird Eure Obersthofmeisterin« erklärte er, worauf ich die Hände verschränkte. Ich kam perfekt mit la Rovere und Maida und den Aushilfen, die sie organisierten zurecht. Ich brauchte keine Obersthofmeisterin.
»Sie kennt sich hier am Hof aus und kann Euch helfen« versuchte mir Mathew die Idee schmackhaft zu machen, worauf ich lediglich knapp nickte. Es missfiel mir, dass er sich in meine Privatsphäre drängte. Oder besser gesagt jemand an seiner Stelle hineinschickte, damit er sich entfernen konnte. »Danke, Baroness« Mathew nickte ihr zu, worauf sie sich entfernte. Plötzlich vermisste ich ihr Gesicht mit den runden Backen. Ich wollte nicht mit Mathew alleine sein. Nicht, nachdem mich gestern so gedemütigt hat.
»Lavinia ...« er sah mich einen Moment schräg an, bevor er seufzte. »Ihr seit einen Schritt zu weit gegangen, als Ihr Euch direkt an die Queen gewandt habt« Ich öffnete meinen Mund, um zu protestieren. Aber Mathews eiserne Miene ließ mich Schweigen. »Ich weiß, dass Ihr helfen wolltet und die Queen hat sich wirklich ergriffen gezeigt« fuhr er fort und ich lächelte sofort. Also hatte sich das Risiko gelohnt. Das war die Hauptsache. »Aber ich bin der Kaiser und die Entscheidung liegt bei mir, ob wir mit der Queen Kontakt aufnehmen und über wen« stellte er klar und ich zog meinen Kopf ein. Vor dieser Strafpredigt hatte ich mich gefürchtet, seit Nemours mir eröffnet hat, dass mich Mathew erwischt hat. Es fühlte sich schlimmer an, als ich es mir vorgestellt hatte. Ich wollte unser Land, unsere Armee retten.
»Ich leugne nicht, dass es dem Ansehen unseres Hauses guttut, wenn Ihr Euch für die Soldaten einsetzt. Aber es muss klar sein, dass Ihr bedingungslos hinter mir steht«
»Aber das tue ich. Niemals wollte ich, dass Ihr das anzweifelt«
»In Ordnung, Lavinia. Ihr werdet bei der Hinrichtung der Ministerin anwesend sein und anschließend an die Küste zur Kur fahren. Das wird Euch und dem Kind guttun« Ich zog mich in die nächste Ecke zurück und starrte Mathew schweigend an. Das konnte unmöglich dass sein, dass er wollte. Er musste doch langsam zu Verstand kommen. Ich ließ mein Kinn an die Brust sinken, um ihm meine Ergebenheit zu signalisieren und um meine Tränen vor ihm zu verbergen. Wenn nicht gerade Paget auf meinem Herz herumtrampelte, übernahm Mathew diesen Part vorzüglich. »Lavinia, bitte ... ich wünschte, ich ...« - »Ich habe noch einiges an Dokumenten abzuarbeiten für Euer Land« Ich tupfte mir demonstrativ mit einem Taschentuch die Wangen ab. Zur Hölle mit den beiden. »Ihr solltet mit Paget besprechen, ob es Ihr es nicht wie Kenneth handhaben und mich in ein einzelnes Zimmer sperren wollt. Das war bisher die effektivste Form mich von allem fernzuhalten«
***Ich stapfte wütend in meinen Räumen auf und ab. Am liebsten würde ich jetzt einen Ausritt unternehmen. Oder einen Spaziergang. Lange und anstrengend und vor allem allein. Dann hätte meine Wut ein Ventil. Ich zog den Vorhang zur Seite und starrte auf die Gärten hinab und ließ meinen Blick weiter in den angrenzenden Park gleiten. Warum ließ mich Mathew nicht einfach, wie alle anderen Adeligen, einen ungestörten Spaziergang machen. Durch den Park und die Stadt und an das Meer, einfach in das Land hinein, dass ich nicht kenne, dem ich aber mein Leben widmen soll.
»Majestät sollten sich beruhigen« mahnte Baroness Delune und mein Blick flog zu der Sitzgruppe, auf der sich meine Damen niedergelassen hatten. Mein Blick wurde von Tränen verschleiert, die sich langsam aber sich einen Weg über meine Wangen bannten. Ich presste meine geballte Faust an die Stirn, um meine Tränen zu verbergen. »Majestät« Maida Stimme war eine Oktave zu hoch und sie hielt erschrocken vor mir inne. »Ich will nachhause, Maida« schluchzte ich, worauf sie sofort die Arme um mich schloss. Dankbar drückte ich meine Stirn an ihre Schulter, ließ aber meine Hände schützend über meinen Bauch gefaltet. »Wenn sich Majestät unwohl fühlen, sollten sich Majestät zurückziehen« wandte Delune ein und ich hob kurz meinen Blick. Sie ging nervös durch das Zimmer und bedachte Maida mit einem vorwurfsvollen Blick. »Es wäre besser, wenn Ihr Euch zurückzieht, Baroness« erwiderte Maida spitz, worauf Delunes Gesichtszüge zwischen wütend, entsetzt und beleidigt hin und her schwankten. Eine gefährliche Röte zog sich von ihren Wangen bis auf ihre Stirn.
»Soll ich nach Kuchen schicken lassen, Lavinia?« fragte Maida vorsichtig und ich lächelte sie dankbar an. Ich wusste, wie schwierig es für sie war, mich so vertraut anzureden. Aber das brauchte ich gerade. Die Gewissheit, dass wenigstens diese wenigen Zimmer mein Zuhause waren.
Delune störte darin. »Maida hat Recht. Bitte lassen Sie uns kurz alleine«
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Erzherzogin Lavinia - das Mädchen unter vielen
Ficción histórica»Lavinia. Ich ließ genauestens überwachen, ob du den Strapazen einer Geburt gewachsen sein würdest. Dieser Entschluss war lange diskutiert worden« versuchte Paget sich heraus zureden. Mein Mann hatte also von Beginn an nicht geglaubt, dass ich seine...