Der Geschmack meiner eigenen Tränen riss mich unsanft aus dem Schlaf. Meine Augen brannten, obwohl ich sie geschlossen hatte und mein Hals fühlte sich rau an. Ich versuchte, mich zu bewegen und spürte eine dicke Schicht an Decken um mich herum. »Ist dir warm?« flüsterte Paget und schob den Deckenstapel ein Stück weit von meinem Oberkörper herunter. Mit viel Kraftanstrengung schaffte ich es, meine Hände aus dem Stapel heraus zu quälen und rieb mir meine Augen. Ich wandte mich der Seite zu, auf der Paget lag und schlug meine Augen auf. Er trug immer noch den Smoking des Dinners und ich rang mir ein Lächeln ab. Er wird gehen. Gott weiß für wie lange. Schützend zog ich meine Beine an. Wenn die kleine Prinzessin erst hier ist, wird niemand hier sein, um sie vor Mathews Erziehungsplänen zu schützen. Mich wird er kaum ernst nehmen.
»Danke, dass du aufgehört hast zu weinen« flüsterte Paget und strich mit dem Daumen über meine feuchten Wangen. Ich schwieg. »Ihr seht, es geht Ihrer Majestät besser. Lasst uns alleine« erklärte Paget und ich richtete mich überrascht auf. LaRovere und Maida saßen eng aneinandergedrückt auf der Sitzgruppe und sahen mich skeptisch an. Ich nickte bestätigend.
»Wie lange wirst du fortbleiben?«
»Solange es nötig ist«
»Du wirst die Geburt unserer Prinzessin verpassen«
Paget lächelte schmal und strich flüchtig über meine Bauchdecke. »Ich werde sehr viel verpassen« flüsterte er und strich mir über die Wange. Verwirrt legte sich meine Stirn in Falten. Kenneth wird sich überwältigen lassen. Genauso wie der Minister war es auch Fleisch und Blut und bei Weitem nicht so unantastbar, wie er es sich wünschte.
»Versuch noch ein bisschen zu schlafen«
»Bitte lass mich nicht alleine«
»Solange du es zulässt, werde ich immer da drinnen sein«
Paget tippte mit seinem Zeigefinger auf den Ansatz meiner Brust und ich seufzte auf. Warum hatte ihn bloß da hineingelassen?
***
Zu meiner eigenen Überraschung war Mathew über Nacht geblieben und erwartete mich am Frühstückstisch. Beleidigt verschränkte ich die Hände, als ich bemerkte, dass ihm eine Zeitung zugestellt wurde.
»Paget schläft?« riet er, worauf ich knapp nickte und platz nahm. Mit Sicherheit nahm er an, dass ich mich für mein gestriges Verhalten schämte, aber da hatte er sich getäuscht. »Wozu braucht Ihr Grace in Spanien?« Fragte ich und ich nahm gegenüber von ihm platz. Mathew nahm natürlich den Speisesaal für sein Frühstück in Anspruch und hatte es auch rechtzeitig beheizen lassen. Arme Kammermädchen. Mathew senkte die Zeitung und sah mich einen langen Moment an. Die Überlegung, welche Informationen er mir zumuten konnte, standen ihm ins Gesicht geschrieben.
»Ich bin lungenkrank und werde es wahrscheinlich nicht mehr lange schaffen« erwiderte Mathew monoton. In stummen Entsetzen öffnete ich meinen Mund, aber mir viel nichts ein, dass ich sagen könnte. »Der englische Gesandte ließ Lady Asbury auf Euer Bestreben hin in Ruhe. Mittlerweile erwartet sie ein Kind« sein Gesicht gewann an Farbe und meine Kinnlade öffnete sich noch ein Stück weiter.
»Deshalb muss ich Kenneth fassen. Damit ich meinem Erben und meinem Kind eine Bonheur hinterlassen kann, so wie ich erlebt habe. Führend und Reich«
»Dafür seid Ihr bereits Grace zu opfern?«
»Ich habe Euch einige Zeitungsartikel der letzten Woche mitgebracht«
Mathew zog einige gefaltete Blätter aus der Innentasche seines Jacketts.
Kaiserin unter Vorwand auf Kur geschickt - schwere Ehekrise?
Wie der Hof fortlaufend Ihre Majestät zerstört.
Neue Geliebte des Erzherzogs?
Wie der Erzherzogin ihr Opfer für unser Land gedankt wird
»Spanien glaubt, Paget möchte von diesen Schlagzeilen flüchten«
»Damit haben sie Recht«
»Ich bin davon überzeugt, dass sich Kenneth in Spanien versteckt. Es Pagets Aufgabe als erster Militär des Landes ihn zu jagen. Welchen angenehmen Nebeneffekt das für ihn hat, will ich nicht leugnen«
Ich erhob mich von meinem Stuhl und war dankbar, dass mich meine Beine trugen. Die Menschen hatten ein Recht. Paget bewegte sich in seinen Bemühungen mir zu helfen, immer weiter von mir fort. »Warum interessiert sich Spanien für meine Ehekrise?« - »Weil Ihr die engsten Verbindungen zu den Diplomaten pflegt. Sie wollen mit Euch auf gutem Fuße stehen«
Ich schniefte leise auf und starrte in das Bild von mir, dass vom Fenster reflektiert wurde. Obwohl ich mir Mühe gab regelmäßig zu essen, war mein Gesicht kantig und meine Augen lagen tief in ihren Höhlen. Den Zeitungen durfte kein Vorwurf gemacht werden, wenn sie behaupteten, es kümmere sich niemand um mich. Sie sahen genauso wenig wie der Hof, dass mich Zeit mit meiner Familie heilen könnte. »Sind die Gerüchte wahr?« stellte ich die entscheidende Frage und wandte mich zu Mathew um. Wenn ich ihm in die Augen sah, konnte ich vielleicht abschätzen, ob er log. »Sie sind zumindest nicht gänzlich erfunden«
***
Zurückgezogen in meiner improvisierten Bibliothek konnte ich mich in Ruhe den Zeitungsartikeln widmen. Paget trieb sich also im Militärlagern herum. Das schien gleichzusetzen zu sein mit erotischen Abenteuern. Zumindest spekulierte darauf die Presse.
Mit dem Rest, den sie abgedruckt hatten, waren sie leider im Recht. Sie beschuldigten den Hof, dass Volk über die Geschehnisse in Malheur im Dunkel zu lassen und mich in meinem offensichtlich geschwächten Zustand untragbaren Situationen auszusetzen. Etwas, dass mich stutzig machte, war ein Artikel, der anscheinend zufällig in den Stapel gerutscht war. Er handelte von den brutalen Methoden des Militärs, die Mathew tolerierte und Paget angeleitet haben sollte. Aber so Recht konnte ich mich das nicht vorstellen. Paget würde niemals den Befehl erteilen, Zivilisten zu erschießen. Glaubte ich zumindest.
»Ich habe die bereits gesucht« ich zuckte zusammen, als Paget die Tür hinter sich schloss und auf mich hinuntersah. Er lächelte mich sanft an, als er meinen leeren Frühstücksteller bemerkte. Vorsichtig strich er mit der Hand über meine Bauchdecke. »Du fliehst also von der Presse« - »Lavinia, unser Volk liebt dich und ich ... Der Schaden ist nun mal angerichtet und es ist am besten, wenn ich diesen Sturm fern von hier aussitze« Ich verschränkte die Arme. Er hatte immerhin die Möglichkeit zu gehen. Ich war dank ihm an diesen Ort gefesselt. An sein zuhause.
»Nimmst du die Huren, die sich das Militär hält mit?«
»Du verstehst nichts vom Militär und seinen Gepflogenheiten«
»Aber ich verstehe etwas von betrogen worden sein«
Paget öffnete den Mund, aber ich schnitt ihm das Wort ab. Wenn ich eine Chance hatte Grace bei mir zu behalten, dann war es, Paget ein schlechtes Gewissen einzureden. Das er ohnehin haben sollte.
»Das tut längst nichts mehr zur Sache. Aber weißt du, wer mich nie verlassen hat? Grace! Jetzt möchte ich sie auch nicht verlassen«
»Sie ist mein Kind, Lavinia, und ich stimme Mathew in diesem Punkt zu«
»Wann hast du dich je um sie gekümmert?«
»Pass auf was du sagst«
»Was gibt dir das Recht mir zu sagen, wie ich mich zu verhalten habe?«
Ich trat einen Schritt näher auf ihm zu. Mathew plante, mir den Boden unter den Füßen wegzuziehen, und Paget klatschte auch noch Beifall! Nur einmal in seinem Leben musste er sich auf meine Seite stellen. Ein einziger Mal brauchte ich seinen Schutz. Warum war er zu blind, dass zu sehen?
»Ich bin dein Mann, Lavinia. Das gibt mir nun Mal einige Vorrechte!«
»Inklusive der Erlaubnis, Grace als Pfand nach Spanien zu schicken?«
Paget atmete langsam aus. Wütend verschränkte ich die Arme. Wie konnte er so ruhig bleiben? Warum brachte ihn diese Diskussion nicht genauso aus der Fassung wie mich? »Reichen meine Rechte aus, um dich hinauszuschmeißen?« fauchte ich und Paget zuckte kurz zusammen. Er nickte und wandte sich vom mir ab. »Am Samstag legen wir ab. Verabschiede dich bis dahin von Grace« flüsterte er und drückte mir einen Kuss auf die Stirn. Ich erstarret in meiner Bewegung. Bis ich wieder reaktionsfähig war, hatte Paget die Tür längst hinter sich geschlossen. Frustriert schmiss ich meine Teetasse dagegen.
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Erzherzogin Lavinia - das Mädchen unter vielen
Ficção Histórica»Lavinia. Ich ließ genauestens überwachen, ob du den Strapazen einer Geburt gewachsen sein würdest. Dieser Entschluss war lange diskutiert worden« versuchte Paget sich heraus zureden. Mein Mann hatte also von Beginn an nicht geglaubt, dass ich seine...