Mathew errötete genauso, wie Nemours vorhin, als er mich gefragt hatte. Schön langsam glaubte ich, dass wir dabei waren, etwas Unschickliches zu tun. Verunsichert sah ich ihn an. »Habe ich etwas Ungehöriges gefragt?« Mathew schüttelte den Kopf und lachte kurz. Verwirrt verschränkte ich die Arme. Dann verstand ich nicht, wo das Problem lag. »Nemours und ich hatten« er brach zögernd ab, bevor er sich seufzend erhob, »eine Auseinandersetzung, nachdem Hofball« - »Worüber?« Ich dachte, Mathew sei auf Solei wütend gewesen, weil sie mir dieses Angebot gemacht hat. Aber wie Paget gesagt hatte. Mathew war damals vor allem wütend auf sich selbst. Diese Wut schien sich zum Glück gelegt zu haben. »Ich habe ihm vorgeworfen, dass er Euch zu nahe tritt« - »Mathew!« Ich sah ihn entsetzt an, worauf er nur entschuldigend mit den Schultern zuckte. Es schien so, als würden Paget und sein Bruder am liebsten alle Männer aus meinem Leben verbannen, die nicht sie selbst waren. »Geht alleine, Lavina. Ich habe meine Meinung seitdem nicht geändert« - »Nemours Unterstützung ist unbezahlbar für mich. Aber das ist politisch oder höchstens höfisch. Er ist noch nie in meine Privatsphäre eingedrungen!« Mathew goss sich einen Brandy ein und sah mich nachdenklich an, zuckte anschließend mit den Schultern und begab sich zurück zu seinem Schreibtisch. Aber so schnell wollte ich nicht aufgeben. Ich setzte mich auf die andere Seite und sah ihn abwartend an. »Was?« fuhr er mich gereizt an, worauf ich ein Schmunzeln unterdrücken musste. »Bitte lasst das Thema ruhen« Mathew seufzte genervt auf und nahm noch einen großen Schluck aus seinem Glas. »Bitte vergesst nicht, dass manche Dinge harmlos für euch wirken, den Hof aber in große Aufregung versetzen«
Solei lächelte mich verschwörerisch an, als sie meine Hand küsste. In Nemours Haus fühlte ich mich sicher genug, um sie zu einer Umarmung an mich zu ziehen. »Aber Majestät!« schimpfte Nemours und eilte die Treppe herunter. Er küsste mir selbst die Hand. Im Schloss küsste ich ihm manchmal die Wange, aber nach Mathews Strafpredigt getraute ich mich das nicht mehr.
»Wo ist Gwen?« fragte ich, als ich die kleine Tafel wahrnahm, an der wir speisen würden. Im Schloss hätten ich mit allen meinen diensttuenden Hofdamen gegessen, aber so nahm nur Maida links von mir Platz. »Auf Kur. Seine Majestät hat mir ein Telegramm geschickt, dass ich Euch die Stadt zeigen darf. Ich habe bereits einige Vorschläge« berichtete Solei und ich zog überrascht die Augenbrauen nach oben. So schnell? Augenblicklich begann ich zu strahlen. Mathew hat es mir gegenüber mit keinem Wort erwähnt. »Ich befürchte, dass müssen wir verschieben. Seine Majestät wünscht, dass ich ebenfalls auf Kur fahre« Erneut nahm ich mir in dieser Umgebung die Freiheit heraus nicht zu verbergen, dass ich von dieser Idee nicht begeistert war. »Oh« sagte Solei nur warf Nemours jüngerem Bruder einen raschen Blick zu. Einen Moment huschte so etwas wie Schmerz über ihr Gesicht. »Wünschen Majestät, dass Ich Euch begleite?« fragte sie und lächelte mich wieder an. Doch ihre Mimik war verrutscht. Es war ihr anzusehen, dass sie von hier nicht fortwollte. Deshalb schüttelte ich den Kopf.
»Ich glaube kaum, dass das passend wäre« erwiderte ich. In Soleis Augen blitzte ein neuer Schmerz auf und ich rügte mich selbst für meine harsche Wortwahl. »Wir würden die gesamte Kuranstalt aufscheuchen, Princesse, und ich befürchte, dass darf ich nicht« scherzte ich, worauf alle am Tisch herzlich auflachen und die Princesse errötet. Aber auf eine gute Art. »Majestät werden alleine für ausreichend Wirbel sorgen« ergänzte Maida, worauf ich empört nach Luft schnappte. Solei stimmte lachend zu.»Ich möchte nicht erneut mit der Kutsche fahren. Bitte begleitet uns zurück, Nemours« verlangte ich, worauf er sich ergeben verbeugte. Mit Sicherheit hatte er einen langen Tag hinter sich. Aber es gab noch etwas, dass ich mit ihm besprechen musste. Alleine. Maida reichte mir meinen Mantel und folgte uns mit einigen Schritten Abstand. Es war bereits spät und der Herbst ließ den Boden feucht werden. Aber Soleis Tatendrang Entdeckungstouren für mich zu planen, ließ sich von den beiden Brüdern kaum bremsen. Das schlagkräftigste Argument war am Ende, dass ich irgendwann auch noch etwas arbeiten müsste.
»Seht Ihr eine Möglichkeit, dass ich mit der Ministerin spreche?«
»Ihr möchtet mit Pagets Geliebter sprechen?«
Ich nickte stumm und trat einen Schritt näher an ihn heran. Das Thema war mir unangenehm und ich wusste, dass mir Nemours Schutz bot. Vielleicht sollte ich Mathew gestehen, dass wenn schon ich Nemours zu nahe trat. »Prinzipiell sehe ich da im Ablauf kein Problem« erwiderte er und ich sah überrascht zu ihm auf. Ich dachte, ich stünde einem enormen Verwaltungsaufwand gegenüber. Zum Glück habe ich das Thema einfach angesprochen.
»Aber der Kaiser wird es nicht gestatten«
»Ich muss wissen, wer die Frau ist, der ich beim Sterben zusehen muss«
»Das wird es nur noch schwerer machen«
»Eine Hinrichtung sollte auch nichts einfach sein«
Nemours nickte zustimmend. Bisher hatte ich es vermieden mit ihm darüber zu sprechen, aber bald werden wir das Zeremoniell für diesen Anlass durchgehen müssen. Wir traten gerade die Stiegen zum Schloss hinauf, als Nemours nochmal das Wort ergriff. »Die Ministerin ist ...« Nemours brach und lächelte mich zuversichtlich an, »Ihr seid eine schöne, junge Frau, Majestät. Vergesst das nicht« Jetzt drückte ich Nemours einen Kuss auf die Wange. Ich tat nichts Verbotenes, wenn ich einem Freund die Wange küsste! Ich durfte Paget nicht so viel Macht über mich geben. »Danke, dass Ihr mich eingeladen habt. Das bedeutet mir viel«***
Mathew hat mich zum Frühstück eingeladen. Als ich in den, an sein Arbeitszimmer angrenzenden, blauen Salon stieß, saß Grace bereits bei Tisch. Sie strahlte mich und lief mir entgegen. »Onkel Mathew hat es geschafft, uns Porridge zu organisieren« rief sie und ich drückte sie fest an mich. Über ihre Schultern warf ich Mathew ein dankbares Lächeln zu. Vielleicht hatte Gräfin Delunes Spionage doch etwas Gutes. Zumindest ein bisschen. »Danke, dass Ihr mich Princesse Solei anvertraut habt« sagte ich leise, nachdem ich Mathews Hand geküsst habe. Er lächelte mich einen Moment zögerlich an. Er bevorzugte es mit Sicherheit, wenn ich bei Princesse Solei anstelle von Nemours blieb. Im Endeffekt lief es darauf hinaus, dass einer der beiden diese Position übernahm. Ich wollte nicht weiter mit Mathew streiten, deshalb ließ ich es einfach auf sich beruhen, dass er Solei gewählt hat.
»Ich hoffe, sie nimmt Euch nicht vollständig in Anspruch«
»Nemours konnte sie, glaube ich, davon überzeugen, dass ich manchmal auch arbeiten muss«
Mathew lachte auf und nickte langsam. Es tat gut ihn so befreit zu sehen. Zu meiner eigenen Überraschung hielt Grace, dass Gespräch aufrecht. Es war eine Schande, dass Mathew nie eigene Kinder haben wird. Er widmete Grace seine volle Aufmerksamkeit, dass Grace eine gesunde Röte auf den Wangen bescherte. Ich beobachtete die beiden stumm. Mathew warf hin und wieder einen prüfenden Blick auf meinen Teller. Hatte er bemerkt, dass ich trotz meiner Schwangerschaft nicht zugenommen habe? Oder kaum. Ich versuchte mir wirklich Mühe zu geben, aber solange mich niemand daran erinnerte zu Essen, verspürte ich einfach nicht das Bedürfnis danach.
»Ich glaube, du solltest deine Lehrer nicht länger warten lassen« stoppte Mathew Grace. Für einen Moment huschte ein Schatten über ihr Gesicht, aber dann lächelte sie weiter. Als die Saalhüter die Tür hinter Grace geschlossen hatten, verrutschte sowohl Mathews, als auch mein Lächeln.
»Nemours hat mir Bericht erstattet. Warum?«
»Weil ich so viele Fragen habe und möchte, dass sie mir jemand beantwortet, der Onkel Kenneth so vertraut ist, wie die Ministerin«
»Bitte erhofft Euch nicht zu viele Antworten«
»Ihr gestattet es?«
Ich riss überrascht meine Augen auf. Mich überlief ein Schauer, aber ich nickte dankbar. Vielleicht viel es mir dann leichter, Paget wieder in die Augen zu sehen. »Glaubt Ihr, dass dieses Gespräch Eure Ehe retten könnte?« fragte Mathew frei heraus und ich zuckte abweisend mit den Schultern. Da gehörte viel dazu. Aber es sollte damit beginnen, dass ich die Frau kennenlernte, die mich diesen Höllenqualen ausgesetzt hat.
DU LIEST GERADE
Erzherzogin Lavinia - das Mädchen unter vielen
Historical Fiction»Lavinia. Ich ließ genauestens überwachen, ob du den Strapazen einer Geburt gewachsen sein würdest. Dieser Entschluss war lange diskutiert worden« versuchte Paget sich heraus zureden. Mein Mann hatte also von Beginn an nicht geglaubt, dass ich seine...