Paget saß neben mir im Bett und verfolgte penibel jeden Löffel Suppe den ich zu mir nahm. Ich griff nach einem Polster und schlug ihm auf die Brust. Lachend erhob er sich und wanderte darauf im Zimmer auf und ab. Mir war nie aufgefallen, wie man sich auch ohne Worte verständigen konnte. Als ich das Gefühl hatte, mein Magen würde gleich platzen, stellte ich den Teller ab und streckte meine Hand nach ihm aus.
»Das war nicht viel, Lavinia«
Ich zog seinen Kopf zu mir herunter und drückte meine Lippen auf seine. Paget lächelte und strich mir meine Haare aus der Stirn. »Die Wache?« fragte ich leise, worauf Paget überrascht über meine Unterlippe strich. »Du meinst die Fremden, die dich hier her gebracht hat?« bohrte er nach, worauf ich klamm nickte. Mit Sicherheit hatten sie auf meinen Schutz vertraut und ich habe, seit ich die Augen aufgeschlagen habe, keinen Moment an sie gedacht. Die Männer, die mir das nachhause kommen überhaupt erst ermöglicht haben. »Sie werden gerade verhört, aber wir werden sie, soweit sie das wollen, in unser Militär aufnehmen« antwortete er und ich atmete erleichtert aus. Ich konnte mir nicht vorstellen, was ich gemacht hätte, wenn la Rovere und Maida nachts nicht zu mir gekonnt hätten. Bei der Vorstellung schüttelte es mich.
»Dorian?« fragte ich weiter, worauf Paget den Mund verzog. Er rieb mir über die Oberarme, als er mein Zittern bemerkte. »Er ist mit dem erstbesten Schiff nach England gefahren« berichtete er, dass mich traurig nicken ließ. Natürlich konnte und wollte er nicht bei uns bleiben. Bei Paget, den er mehr zu hassen scheint, als irgendjemand anderes. Ich schob mich enger an ihn, presste meinen Kopf gegen seine Brust, um dem Schmerz irgendwie zu entkommen.
»Darf ich sehen?« fragte Paget, worauf ich sofort den Kopf schüttelte. Erstens, war ich gerade sehr gemütlich eingepackt und zweitens brauchte er sich damit nicht herumzuschlagen. »In Ordnung« erwiderte er nach einem tiefen Atemzug. Überrascht hob ich den Kopf. In seinen Augen stand eine Traurigkeit, die noch nie bei ihm gesehen hatte. Wahrscheinlich malte er sich gerade die furchtbarsten Optionen aus. Seufzend und ächzend drehte ich mich um, so dass ich mit dem Rücken zu ihm lag und schob die Decke hinunter. Wenigstens die Illusion konnte ich ihm nehmen. Mir blieb nur zu hoffen übrig, dass seine Vorstellungen schlimmer waren, als die Realität.
Paget schob den Stoff des Nachtkleides bei Seite, um wirklich alles sehen zu können. Lange Zeit hörte ich nichts. Bis Paget seine Lippen auf meine Schulter drückte und sich seinen Weg zu meinen Wangenknochen bahnte. Einmal raffte ich mich noch auf, mich auf die andere Seite zu drehen und erstarrte. Pagets Wangen waren tränennass. Ich schüttelte entschlossen den Kopf.
»Bitte nicht« flüsterte ich, worauf Paget seine Finger erneut zu meinen Lippen bewegte. »Ich habe für uns beide ausreichend geweint« Paget lachte kurz auf und zog mich noch näher zu sich. »La Rovere meinte, du sprichst seit einiger Zeit ungern« - »Es gibt einfach nichts zu sagen, Paget« Er legte seine Hand über meinen Hinterkopf und drückte mich an seine Brust. Eigentlich gäbe es sehr viel zu sagen. Aber ich brachte es nicht über mich, es auszusprechen.
***
Dorian flüsterte mir beruhigende Worte ins Ohr. Aber ich konnte ihn nicht verstehen. Hörte nur die Beleidigung des Ministers. Er trat langsam näher auf mich zu. Warum brachte uns Dorian nicht von hier weg? Wieso ließ er zu, dass er diese Dingen zu mir sagte? Er konnte mich beinahe berühren.
Ich schrie.
Hilflos wälzte ich mich im Bett und wehrte mich gegen Pagets festen Griff. Er wollte mir weh tun. Konnte Paget ihn nicht hören? Mein Mann schob seine Hand über meinen Mund und drückte mir einen Kuss auf die Wange. »Tut dir etwas weh?« fragte er immer wieder, worauf ich nur verwirrt den Kopf schütteln konnte. Mir tat mein gesamter Körper weh, aber deshalb schrie ich nicht. Vorsichtig ließ Paget die Hand von meinen Mund gleiten und sah mich prüfend an. Ich wich seinem Blick aus, begegnete dafür einem anderen Augenpaar. Als ich die Geräusche um mich herum wieder bewusst wahrnahm, bemerkte ich das Getuschel, das Zuschlagen von Türen und das Klopfen auf Holz. Ich rollte mich an Pagets Brust zusammen. Unser Zimmer war voll von uniformierten Wachen und Bediensteten in ihren Morgenröcken. Ich schien das ganze Anwesen wach geschrien zu haben.
»Ich will nicht, dass sie mich so sehen« flüsterte ich. Die Bettdecke hatte ich von mir gestrampelt, deshalb hatte jeder einen unverhüllten Blick auf mich und dem, dass der Minister mit mir gemacht hatte. Paget legte einen Arm schützend über mich in meinen Nacken. »Ihre Majestät braucht Ruhe« wies Paget an und strich beruhigend mit seinem Daumen über die letzten Haare in meinem Nacken.
Ein letztes Türenschlagen, dann waren wir wieder alleine.
»Wovon hast du geträumt?«
»Dem Minister«
»Er ist tot«
Ich hob überrascht meinen Kopf und nickte langsam. Ein entsetzlicher Gedanke setzte sich in mir fest. Ich fand es gut, dass er tot war. »Wie?« bohrte ich nach und strich Paget entschuldigend über seine Wange und glättete anschließend seine Haare mit meinen Händen. Bis zum Morgen wussten alle Wachen, dass sich ein sensibles, gezüchtigtes Bündel war. Das hatte ich großartig gemacht. »Einer der Soldaten hat auf ihn geschossen« berichtete er und ich nickte klamm. Das war also der Schuss, an den mich erinnerte. Gut.
Ich wollte mich bewegen, aber der Schmerz in meinem Rücken lähmte mich. »Du blutest« wisperte Paget, als er seinen befleckten Ärmel bemerkte. Ich legte so gut wie ich konnte meine Kopf ihn den Nacken. Alles, jede Faser meines Körpers brannte. »Tut es weh?« fragte er weiter, worauf ich die Augen verdrehte. Mein Rücken war nicht mehr ganz, natürlich tat das weh. »Ich rufe einen Arzt« beschloss Paget. Entschlossen schüttelte ich den Kopf. Ich musste heilen. In mehreren Sinnen.
»Dann sprich mit mir«
»Ich habe unser Kind verloren«
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Erzherzogin Lavinia - das Mädchen unter vielen
Historical Fiction»Lavinia. Ich ließ genauestens überwachen, ob du den Strapazen einer Geburt gewachsen sein würdest. Dieser Entschluss war lange diskutiert worden« versuchte Paget sich heraus zureden. Mein Mann hatte also von Beginn an nicht geglaubt, dass ich seine...