Kapitel 25

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Ich ließ meinen Blick einmal über den alten Trakt des Familienanwesens streifen. Das musste vorläufig als Lazarett ausreichen. Der Boden knarrte zwar, aber dafür waren noch alte Holztäfelungen an den Wänden, die die Wärme im kommenden Herbst gut speichern würden. In jenen Räumen, die ursprünglich Wohnräume waren, hingen noch prächtige, wenn auch verstaubte, Wandteppiche an den Wänden. Ich machte mir Sorgen darüber, dass sich darin der Geruch von Blut festsetzen könnte, aber die mich beratenden Ärzte beruhigten mich, dass frisch Verletzte hier nicht behandelt werden würden.
»Bitte entschuldigt Majestät« Maida knickste neben mir und ich reichte ihr gedankenverloren meine Hand. Ob ich wirklich hierher übersiedeln sollte, während die Offiziere hier behandelt werden würden? »Ich habe den Brief aufgesetzt. Sowohl an die Queen, als auch an Sir Dorian. Seit ihr Euch sicher, dass ...« - »Gebt mir Dorians Brief nochmal« Als ich vor zwei Tagen völlig aufgelöst in Soleis Landschloss ankam, ließ ich mir sofort alle Zeitungen der letzten Wochen bringen. Es stand zwar nichts Genaues über Malheurs Verbündete, aber sie waren auf jeden Fall zahlreich. Zu viele um mich vor jeden von ihnen zu entkleiden. Mir überlief ein Schauer bei Gedanken. Ich warf einen letzten prüfenden Blick auf das Blatt vor mir.

Dorian,
Ich hoffe, du bist wohl auf und hast in England einen Platz für dich gefunden. Umso mehr tut es mir leid, dich um Folgendes bitten zu müssen. Onkel Kenneth wehrt sich mit allen Mitteln und Mathews militärische Maßnahmen arten zunehmend aus. Die Queen und ihre, beziehungsweise die Verbündeten deines Vaters, wollen mir keinen Glauben über die Vorkommnisse in Malheur schenken.
Ich bitte dich nicht, deinen Vater bloßzustellen, noch dich auf unsere Seite zu stellen. Aber ich ersuche dich, dass du bei der Queen um eine Audienz ansuchst und sie über die Geschehnisse aufklärst.
Wenn das alles vorbei ist, werde ich dich einladen und du wirst mir alles Schöne in Malheur zeigen und hoffentlich nie wieder fortmüssen.
In Verbundenheit,
Lavinia

Ich hatte kein Siegel darunter gesetzt und hoffe, dass er mir verzeiht. Sollte der Brief in andere Hände als die seinen fallen, muss ich eine so intime Beziehung zu ihm abstreiten können. Aber steif und förmlich zu schreiben, kam mir auch lächerlich vor. Er war bei mir, als ich ihm am dringendsten gebraucht habe. Dafür schulde ich ihm dieses Risiko entdeckt zu werden. »Schickt sie ab« verlangte ich, worauf Maida widerwillig knickste und nickte. »Seine Majestät der Kaiser ist hier« rief la Rovere und sank am Ende der Treppe des alten Traktes in einen Knicks. »Wo?« - »Im neuen Trakt im Salon« Ich seufzte auf und ich deutete der Gräfin mir zu folgen.


***


»Majestät« ich küsste Mathews Ring und spürte seinen Blick in meinem Nacken. Ich beeilte mich wieder auf die Beine zu kommen und ihn so kühl wie möglich zu mustern. Zur vorsichtig trug ich ein Kleid mit einem Kragen, damit mich niemand dazu zwingen könnte, mich begaffen zu lassen.
»Ich möchte zu dem Hospiz an der Grenze, also wenn es nichts Dingendes ist, dass Ihr benötigt, würde ich mich gerne auf den Weg machen«
»Ich wünsche, dass Ihr zurück ins Schloss kommt«
»Da bin ich zu weit entfernt von den Grenzlazaretten«
»Dann hier. Ich werde nicht dulden, dass Ihr Euch weiter in Soleis Anwesen versteckt«
Ich musterte ihn. Sein Blick war hart. Etwas ganz anderes hatte seinen Unmut erregt, aber ich musste gerade die Konsequenzen spüren. »Majestät« Ich knickste erneut und schlang anschließend die Arme um mich. Er hatte mich ganz schamlos präsentiert. Solange Paget nicht zuhause ist, werde ich mich vor diplomatischen Dines schützen. »Es tut mir leid, dass ich Euch weh tun musste« - »Ihr habt uns beide gedemütigt, Mathew« Meine Stimme klang schärfer, als ich wollte und als Mathew es vertrug. Er zog die Augenbrauen hoch und verschränkte die Arme. »Ihr habt Euch ohne einmal zu zögern den Befehlen der Queen unterworfen - eines Kindes!« fauchte ich und Mathew wandte sich von mir ab. Hoffentlich bekam er ein schlechtes Gewissen.
Als er nichts weiter sagte, atmete ich einmal tief durch und trat hinter ihn. Legte versöhnlich eine Hand auf seine Schulter. Ich musste zumindest durchsetzen, dass ich während meiner Schwangerschaft frei von täglichen Arztbesuchen und Bespitzelung war. Das konnte ich nur durch Mathew erreichen. »Habt Ihr etwas von Paget gehört?« wechselte ich das Thema und seine Schultern hoben sich unter einem tiefen Atemzug. »Wir korrespondieren regelmäßig, aber lediglich über den Krieg« wich mir Mathew aus, worauf ich die Luft anhielt. Das Bild seiner tränennassen Wangen tauchte vor mir auf und ich wünschte, ich könnte ihn so schnell wie möglich hierher zurückholen. Das war vielleicht nicht das Beste für ihn, aber alle Mal besser als Krieg.

Erzherzogin Lavinia - das Mädchen unter vielenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt