Wir überquerten den Vorplatz in Schweigen gehüllt. Der Portier von Nemours Anwesen direkt neben dem Schloss sprang überrascht auf, als er uns die Stiegen heraufeilen sah. Die Hast der Flucht lag in der Luft. Gwen führte uns sofort durch die dunkle Eingangshalle in einen großen, mit grüner Seide und hellem Stoff ausstaffierten Salon. Als die Türen geschlossen waren, legte la Rovere sanft die Arme um mich. Keinen Moment zu spät. Nach dieser Schmach konnte ich es auch in Kauf nehmen vor den anderen zu weinen. Ich würde ihnen mein Leben anvertrauen, aber heute konnte ich ihnen nur meine Trauer bieten.
»Majestät. Wie müssen einen Arzt konsultieren« drängte Nemours und als ich mich umdrehte, bemerkte ich erst seinen seltsam entrückten Blick. Ich hatte ihn gerade dazu gezwungen, sich gegen seinen längsten Freund zu stellen. Armer Nemours. »Wenn Ihr uns kurz alleine lasst, erledigt la Rovere das« wies ich ihn ab, worauf Nemours theatralisch seufzte und sich aus dem Raum begab. Ich nickte la Rovere zu, das sie mein Kleid öffnen sollte. »Wie schlimm ist es?« fragte ich leise und riskierte es, mir den Kopf zu verrenken, um ihr Gesicht zu sehen. Solei und Gwen haben sich abgewandt. Maida weinte schon wieder. »Alles, das nicht genäht worden ist, ist aufgeplatzt« erklärte la Rovere nüchtern und schloss mein Kleid. Ich stöhnte unter dem Schmerz. »Wir brauchen einen Arzt« setzte sie hinterher, worauf ich schnaubte. Außerhalb des Schlosses wollte ich keinen Anspruch auf ärztliche Betreuung seitens der Hofärzte stellen. »Das wird bis morgen warten müssen« Alle vier setzten gleichzeitig an etwas zu sagen, aber ich hob abwehrend die Hand.
Anstelle lehnte ich mich ans Fenster und sah zum Schloss hinüber.
»Bitte entschuldigt Euch bei Nemours für mich, Gwen. Ich möchte mich nicht zwischen ihn und Paget stellen«
»Darum geht es nicht« Gwen trat vorsichtig näher auf mich zu. Als ich ihre feuchten Augen bemerkte, starrte ich wieder aus dem Fenster. Hunderte, kleiner Lichter und jede Menge beleuchtete Kutschen, die sich auf dem Platz tummelten. Ich musste Lächeln. »Er möchte, dass Ich Euch sage, dass auch er dabei war, als entschieden wurde, dass man den Informationen der malheurer Ministerin trauen will«
»Aber sie ist die Hure meines Mannes, Gwen. Nicht Eures. Paget hat das Leben seiner Ehefrau in die Hände seiner Geliebten gelegt«
»Das muss unfassbar weh tun«
»In erster Linie ist furchtbar demütigend«
Ich wandte mich schnaubend zu Gwen um und zuckte zurück, als ich tränennassen Wangen bemerkte. Vorsichtig ließ ich den Blick durch den Raum schweifen, entdeckte aber nur ähnlich niedergeschlagene Gesichter. »Schick einen Boten ins Schloss - mein Hausarzt soll mich hier behandeln« gab ich nach.***
Mathew kam noch vor dem Arzt an. Mit zu Schlitzen verengten Augen starrte er auf das Kartenspiel, dass vor uns lag. Mathew war in der Tür stehen geblieben und niemand von wagte es, sich auch nur einen Zentimeter zu bewegen. »Ich will mit Ihrer Majestät alleine sein« alle Dame sprangen gleichzeitig auf, sichtlich erleichtert, dass wir alle von der Anspannung erlöst sind. Denn die Provokation sich nach dem Hofball nicht in die eigenen Gemächer zurückzuziehen, konnte er nicht unbeantwortet lassen.
Ich schlang den Umhang enger um mich und erhob mich. Damit konnte ich wenigstens annähernd auf Augenhöhe mit ihm sein. »Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll« - »Ich möchte, dass Ihr wisst, dass ich mit meinem Handeln niemals Eure Autorität untergraben wollte« Mathew rang sich ein Lächeln ab und ließ sich gegenüber von mir in die Polsterung sinken. Er fuhr sich einmal über das Gesicht, atmete laut aus und sah mir dann direkt in die Augen.
»Was möchtet Ihr, Lavinia?«
»Ich werde mich mit den Kindern in Princesse Soleis Anwesen zurückziehen, bis sich mein Körper erholt hat«
»Das geht nicht!«
Mathew war von der Bank aufgesprungen und starrte mich wütend an. Ich verlor unser Blickduell bereits nach wenigen Sekunden. Warum war Paget nicht gekommen und führte dieses Gespräch mit mir? Die Autorität meines Mannes würde ich ohne weiteres untergraben, aber bei Mathew ...
»Wenn Ihr nicht am Hof bleiben könnt, zieht auch ins Familienanwesen zurück«
»Das ist eine Kerkerburg und in Soleis Anwesen bin ich näher an der Grenze, um helfen zu können«
Mathew starrte mich stumm an und ich konnte beinahe die Rädchen in seinem Kopf rattern hören. Seine Miene verfinstert sich immer weiter. Von der Hitze des Gefechts wurde mir heiß und ich streifte mir meinen wollenen Umhang herunter. »Ich glaube, wir brauchen beide einen Drink« stellte ich fest und bückte mich nach zwei frischen Gläsern. Vom Schmerz überwältigt, musste ich mich einen Moment an der Tischplatte festhalten. Mein Magen knurrte, mein Rücken brannte, still war es um mich herum. Ich kippte mir den Inhalt des ersten Glases ohne zu zögern hinunter. Ich wollte jetzt in nicht Erinnerungen versinken.
»Der Hof hat doch gesehen, dass ich Erholung brauche«
»Vielleicht weiß der Hof, dass Ihr nicht vollständig erholt seid, aber gesehen hat er heute ein Kind, dass ihrem Mann ein Schnippchen geschlagen hat«
Ich schnappte empört nach Luft und verschränkte die Arme. Genau das Gegenteil war der Fall! Ich habe genau das getan, dass die beiden wollten - bis auf ... jetzt. Beleidigt drehte ich Mathew den Rücken zu. Ich bemerkte meinen Fehler erst, als ihn hinter mir erstickt aufkeuchen hörte. Im nächsten Moment spürte ich seine Hand auf meiner Schulter, seinen Blick auf meinem Rücken, der vom Blut rot gefleckt war. Ich zwang mich, zu verharren.
»Hat sich das schon jemand angesehen?«
»La Rovere hat gemeint, die Wunden sind aufgeplatzt. Mein Arzt ist unterwegs«
»Ach Kind«
Mathew drehte mich an den Schultern zu sich um und legte sanft die Arme um mich. Instinktiv erwiderte ich die Geste und schmiegte mich an Mathews Brust. Hoffentlich schlug er mir diesen Wunsch nicht ab. Ich konnte unmöglich weiter mit Paget im selben Trakt leben, noch meine Kindern seiner Obhut anvertrauen. Vom immer stärker werdenden Schmerz betäubt, ließ ich mich widerstandslos von Mathew hochheben. Jeder seiner Schritte versetzte meinen Wunden einen Stich.
»Darüber sprechen wir morgen, Nemours« drohte Mathew, als wir uns der Eingangstür näherten. Müde hob ich meinen Kopf. Pagets ältester Freund und mein Berater stand mit verbitterten Zug um den Mund da und verbeugte sich zur Bestätigung. Sobald der Schmerz nachlässt, werde ich ihm erklären, dass das alles meine Schuld war. »Es war mein Vorschlag, Majestät« Soleis helle Stimme ertönte und ich seufzte innerlich auf. Nicht gut - das bewog Mathew sicher nicht eher dazu, mit zu ihr gehen zu lassen. »Ich wollte Ihrer Majestät lediglich zu einer Pause verhelfen« beteuerte sie, worauf sich Mathew anspannte und mich unbewusst von sich wegschob. Ich fröstelte noch immer und drückte mich deshalb näher an ihn. Ich spürte seinen Blick auf mir, bevor er tief durchatmet.
»Ich erwarte Euch morgen zur Audienz, Princesse Solei, damit wir besprechen, wie der Aufenthalt ihrer Majestät in Eurem Landschloss aussehen soll«***
Mit all meiner Willenskraft versuchte ich die Augen offen zu halten, aber der Schmerz drängte mich immer weiter zurück in die Dunkelheit. Jede Treppe, die Mathew zu meinen Gemächern hinaufschritt, trieb mir Tränen in die Augen. Ich wollte, dass es aufhört. Das alles endlich aufhörte wehzutun. »Gib sie mir, Mathew« ich vernahm Pagets drängende Stimme hinter Mathew und schob mich, soweit es möglich war noch näher an ihn. Pagets Arme waren nicht länger sicher für mich.
Als mich Mathew auf der Matratze ablegte, spürte ich sofort wie Paget nach meinen Händen griff. Seine Wärme übertrug sich auf mich und ich seufzte leise auf. Alles um mich herum war nur noch ein Nebel aus Schmerz, durchbrochen von Pagets Wärme. »Einen Moment lang habe ich geglaubt, du kämst nicht zurück« murmelte Paget und drückte einen Kuss auf meine Schulter. »Versprich mir, dass du mich nie verlässt« verlangte er. Ich schwieg. Er hatte mich längst verlassen. Wie sollte ich etwas von mir wegstoßen, dass gar nicht mehr bei mir ist. Er wird das verstehen.
»Der Arzt initiiert dir gleich Morphium, damit du keine Schmerzen mehr hast« versprach Paget und strich mir eine Strähne aus der Stirn, »Aber ich lasse dich nicht alleine. Hörst du, ich bleibe bei dir bis du aufwachst«
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Erzherzogin Lavinia - das Mädchen unter vielen
Ficción histórica»Lavinia. Ich ließ genauestens überwachen, ob du den Strapazen einer Geburt gewachsen sein würdest. Dieser Entschluss war lange diskutiert worden« versuchte Paget sich heraus zureden. Mein Mann hatte also von Beginn an nicht geglaubt, dass ich seine...