Kapitel 23

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Er war wirklich geblieben. Zwar konnte ich mich selbst dank des Morphiums noch nicht spüren, aber seinen wärmenden Körper, der mir noch immer Sicherheit versprach, nahm ich wahr. Eigenartig. Ob es zwischen Paget und der Ministerin auch so gewesen ist. Ob sie sich gegenseitig beschützt gefühlt hatten? Ob sich Paget jemals bei mir sicher gefühlt hat? Oder bei Bonnebelle?
Meine Augen tränten und trieben mir den Schlaf aus. Pagets besorgter Blick traf mich als Erstes, bevor ich das spannungsgeladene Murmeln um mich herum bemerkte. Im nächsten Moment verharrte alles still. »Brauchst du mehr Schmerzmittel?« fragte Paget besorgt und ich schüttelte stumm den Kopf. Eine Zeitmaschine wäre nützlicher. Aber ich kannte nicht Mal den Punkt, an dem alles begonnen hat schiefzulaufen. Vor unserer Hochzeit, nach unserer Ankunft in Bonheur? Ich konnte heute nicht mehr sagen, wann sich Paget so von mir entfremdet hat. Aber vielleicht war auch das einzig Wichtige, dass er getan hat.
»Bitte sprich mit mir«
»Mir geht es gut«
Das war ausnahmsweise nicht Mal gelogen. Ich spürte meinen Rücken nicht, deshalb konnte ich zumindest keinen physischen Schmerz spüren. Mein Herz war zu überladen, um überhaupt zu begreifen, wie es ihm ging, deshalb fühlte ich mich gerade wohl. »Kannst du dich zu mir legen?« fragte ich leise und hoffte, dass es die Dienerschaft nicht hörte. In Pagets Augen war ich bereits unmündig, da konnte ich mir diese Blöße auch noch geben. Augenblicklich wurde mir warm, als er sich hinter mich legte und seine Handflächen auf meiner Bauchdecke platzierte. Das Gemurmel war verstummt. Man hat uns alleine gelassen.
»Du verlässt mich?« Nein! Du! Du! Du hast mich verlassen. »Ich brauche nur eine Pause. Außerdem bin ich nicht weit weg« Ich spürte Pagets nickende Kinnbewegung an meiner Schulter. »Ist Mathew wütend auf mich?« fragte ich. Die Stille zwischen uns ist unangenehm geworden. Plötzlich wurde mir heiß und ich hätte mich am liebsten von ihm weggedrückt. »Mathew ist zur Zeit auf jeden wütend, aber vor allem auf sich selbst« erwiderte er. Ich begann mich unruhig zu bewegen. Paget verstand, ließ mich los und erhob sich. Ich schlug einen Moment die Augen nieder, als ich bemerkte, dass mir seine Wärme nicht fehlte.
»Du wirst morgen gegen Mittag abfahren, nachdem wir einen Spaziergang im Park gemacht haben«
»Kann ich eine Zeitung lesen?«
»Du hasst mich so schon genug. Da brauchst du die Hetzschriften der Zeitungen nicht auch noch«
Einen Moment sahen wir uns an und ich war unfähig etwas zu sagen. Paget verließ das Zimmer, bevor ich in der Lage gewesen wäre, alle auf mich einstürmenden Gefühle zu ordnen. 


***


Mein Arzt schmiss wie immer mit gälischen Flüchen um sich, als ich ihm erklärte, dass ich zuerst spazieren ging und anschließend eine einstündige Kutschenfahrt zu absolvieren gedachte. Aber seine Flüche klangen weniger verzweifelt wie das letzte Mal, dass mich ein wenig beruhigte.
Zumindest bis der Schmerz einsetzte, als ich die ersten Stiegen hinunterschritt. Paget hörte mein aufkeuchen, ignorierte es aber. Man hatte sich bereits zu uns umgekehrt und jetzt einen Rückzieher zu machen, würde alles nur noch schlimmer machen. Die Beobachter änderte sich von Hofpersonal zu Parkbesuchern, als wir unsere Privatgärten verließen. Als ich das letzte Mal hier war, begann gerade alles zu blühen. Jetzt hielt bald der Herbst Einzug. »Erzähl mir von der Ministerin. Ich möchte verstehen, warum ...« ich brach ab und ich sah zu ihm auf. Aber er stierte weiter gerade aus. Seit er mich abgeholt hatte, sprach er kein Wort. »Es gibt nichts, dass sie besser oder schlechter gemacht hätte als dich, Lavinia« erwiderte er kühl. Großartig. Warum war er jetzt beleidigt?
»Sie war lediglich da, willig, gesund und ich musste mir keine Sorgen über die Konsequenzen machen. Dachte ich mir zumindest«
»Hat der Beischlaf ihre Glaubwürdigkeit verstärkt?«
»Nein. Aber sie war die einzige Informationsquelle, die wir so nahe bei Kenneth hatten«
Er zögerte, blieb stehen und wandte sich zu mir um. Legte seine Hände an meine Wangen und seufzte leise auf. »Außerdem wollten wir es ihr so unglaublich gerne glauben, dass es dir gut geht« mir stiegen Tränen in die Augen. Ich musste für seinen Optimismus mein Kind und meine Reinheit verlieren. 


***


Sobald ich bei Solei war, spritzte mir der Arzt nochmal Morphium. Er meinte, sobald mein Adrenalinpegel sinken würde, hätte mich der Schmerz überrollt. Ich war unendlich müde, deshalb habe ich nichts dagegen eingewandt. Aber mir graute, als mir die Augen zufielen vor dem Moment, wenn sie wieder aufschlagen musste und Paget nicht da sein würde.

Ich war alleine.
Sie hatten mich alleine gelassen.
Deshalb schrie ich.
Der Schmerz war wieder da. In meinem Rücken und in meinem Bauch. Alles lief direkt in mein Herz und machte es schwer. Es war wie ein riesiger, kalter Klumpen in meiner Brust, dass es mir schwer machte, meinen Mund zu schließen oder meine Augen erneut zu öffnen.
»Ich bin hier, Majestät«, jemand griff nach meinen Händen, zwang sie zusammen und drückte sie fest. Wärme strömte in mich und gab mir zumindest so viel Energie, um die Augen aufzuschlagen. Maida lächelte, blinzelte gegen ihre Tränen an. »Soll ich nach dem Arzt schicken?« fragte sie mich leise und ich sah einen Moment lang irritiert an. Nein ... mir tat nichts mehr weh. Ich fühlte mich taub. »Tut mir leid, dass ich Euch erschreckt habe« flüsterte ich, worauf sie einen Kuss auf meine Hände drückte. »Ich hätte Euch nicht alleine lassen sollen« Ich nickte langsam. Das stimmte. Einsamkeit vertrug ich zur Zeit nicht gut. Aber wahrscheinlich hat sie auch eine Pause gebraucht. Vorsichtig ließ sie meine Hände los. »Soll ich Euch etwas zu Essen bringen lassen? Der Arzt kommt gegen Mittag vorbei, um nach dem Rechten zu sehen« Ich nickte stumm.


***


Schützend legte ich meine Hände über meinen Bauch, als ich vor Soleis Anwesen stand und Pagets Regiment beobachtete. Keine große Truppe, vielleicht 50 Adelige und führende Militärs, die Paget entweder ins Feld folgten oder in begleiteten, um dann ihre eigenen Truppen zu übernehmen. Der Arzt hat mir aus Sicherheitsgründen in den letzten Tagen Bettruhe verordnet. Ich presste meine Hände fester auf meine Bauchdecke. Als mir bewusst wurde, was ich tat, ließ ich sie schnell sinken.
Paget kam mir entgegen und ich hätte mich am liebsten in seine Arme geworfen. Aber sein Gesicht blieb verschlossen. »Ich bringe Euch Leutnant Timophly mit. Ich hoffe, bei ihm fühlt ihr Euch sicher« mein Blick huschte kurz zu Timophly, der sich verbeugte. Steifer als sonst. Mir war der unterschwellige Vorwurf in Pagets Stimme ebenfalls aufgefallen. Ich trat näher an Paget heran, worauf er die Augenbrauen hinaufzog. Sein Regiment sah ihm wortwörtlich über die Schulter. Er konnte sich keine Zärtlichkeiten mit mir erlauben.
Aber ich nahm mir das Recht heraus. Der Adel war gekommen, um sich zu überzeugen, wie gebrochen ich war. Sollten sie sehen, wie sehr ich an Paget hing. Vielleicht passten sie dann besser auf ihn auf. »Ich habe mich immer sicher bei dir gefühlt« versprach ich und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. »Ich kann mich nur nicht darauf verlassen, dass du da bist, wenn ich diesen Schutz brauche« Paget trat wie ein getretener Hund zurück. Ich setzte nichts hinterher, dass diesen Vorwurf irgendwie abschwächen könnte. Er hatte auf das falsche Pferd gesetzt, als ihn unser ungeborenes Kinder am dringendsten gebraucht hätte. »Komm zurück« verlangte ich, als ich merkte, dass er umkehren wollte. »Die Kinder und ich brauchen dich«
Paget sagte nichts, nickte nicht, sondern kehrte einfach um. Die Soldaten kamen ihm entgegen. Sie knieten alle gemeinsam nieder.
»Zu Eurer Ehre«
Ich stolperte überrascht zurück, als ich das hörte. Wusste nicht, wie ich darauf reagieren sollte. Aber anscheinend erwartet man keine Reaktion von mir. Die Truppe formatierte sich neu und zog sich von mir zurück und in den Krieg hinein. Erneut legte ich schützend die Hände um meinen Bauch. Gott gebe, dass er zu uns zurückkehrte.

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Wann glaubt ihr, hat das zwischen Paget und Lavinia schiefzulaufen begonnen?


Erzherzogin Lavinia - das Mädchen unter vielenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt