Kapitel 34

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Ich strich mir die Handschuhe von den Händen und gähnte herzhaft. »Du bist früh« bemerkte Paget und ich lächelte ihn kurz an. »Im Konzerthaus gibt es keine Soireen. Solei lud mich noch in Nemours Stadtanwesen ein, aber ich bin müde« erwiderte ich und fädelte gleichzeitig meine Ohrringen aus. Maida machte sich daran meine Armbänder zu öffnen. Ich strich kurz über meinen Bauch, worauf mich Paget wissend anlächelte. Die Kleine machte mich jetzt schon müde, obwohl sie noch in meinem Bauch war.
»Lasst mich mit Ihrer Majestät alleine« verlangte Paget in die Stille hinein und ich hob überrascht den Kopf. Es war bisher so ein schöner Abend. Einige junge Mädchen hatten mir vor dem Theater Blumen geschenkt und die Musik, sowie das Gebäude waren berauschend. Delune öffnete hinter mir die Tür, aber Maida sah mich zweifelnd an. »Ich rufe nach dir, sollte ich Hilfe brauchen« versprach ich und drückte ihre Hand. Maida nickte widerwillig.
Als die beiden die Tür hinter sich geschlossen hatten, sah ich Paget mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Hat dich Marchand gut unterhalten?« meine Mundwinkel sanken und ich ließ mich müden auf den Sessel meiner Kommode sinken. Ich strich mir einige lose Strähnen aus der Stirn. Schüttelte schließlich langsam den Kopf. »Solei war alleine mit mir im Konzerthaus. Davor haben sie versucht, dass Bild von der Ministerin und dir aus meinem Kopf zu vertreiben« erwiderte ich bissig und zog die diamantbesetzten Haarspangen aus meinen Zopf. »Hat es funktioniert?« - »Du hast es geschafft sie mit Bonnebelle zu ersetzen« Ich konnte im Spiegel beobachten wie sich Paget im Türrahmen versteifte und seine Lippen zusammenpresste. Hatte er geglaubt, ich würde ihm in die Arme springen? Als würde er das wirklich wollen! Unbeirrt löste ich weiter meine Frisur. Ich werde sicher nicht um Verzeihung bitten. Wollte er mich für sich alleine, musste er bei mir sein, um mich zu beanspruchen.
»Kannst du mich bitte alleine lassen, damit ich mich entkleiden kann?« durchbrach ich die Stille. Ich hielt seinen Blick auf mir nicht länger aus. Er sah hunderte Frauen so an, darauf sollte ich mir also nichts einbilden. »Ich kann dir helfen« - »Ich werde nach Maida läuten. Ansonsten sorgt sie sich noch zu Tode« Ich griff nach der Glocke, doch Pagets Hand legte sich bestimmend über Meine. Seufzend gab ich nach und wandte mich um, damit Paget die Schnürung auf meinen Rücken lockern konnte.
Ich atmete einmal tief durch, als meine Lunge den Platz hatte, sich auszudehnen. »Du bezauberst wirklich alle Menschen in deinem Umfeld«
»Wie meinst du das?« Ich schmunzelte und striff mir das Kleid von den Schultern. »Deine Hofdamen vergöttern dich, genauso wie jeder, der dir begegnet« flüsterte Paget und drückte einen Kuss auf meine entblößte Schulter. Ich seufzte auf und ließ mich gegen seine breite Brust sinken. »Du vergötterst mich nicht« widersprach, worauf mich Paget ruckartig umdrehte. Seine Augen waren dunkel geworden und er schüttelte immer wieder den Kopf. Er schob mich in meinem Unterkleid in unser Schlafzimmer, wo er mich auf die nächste Sitzgruppe drückte.
»Ich vergöttere dich meistens so sehr, dass ich nicht einmal wage, dich zu berühren« beteuerte er und ging vor mir auf die Knie. »Deshalb berührst du andere Frauen« schlussfolgerte ich, worauf Paget seinen Kopf auf meine Knie sinken ließ. Ich glaubte, dass er sich vor einer Antwort drücken wollte, aber schließlich nickte er. »Manchmal ... fühle ich mich so unwürdig, dass ich ...« stotterte er, stoppte sich aber selbst. Erschrocken schnappte ich nach Luft und strich einmal über Paget Haarschopf. Er war ein Idiot. Ich hob seinen Kopf von meinen Knien und rutschte zu ihm auf den Boden. »Sei vorsichtig, unser Kind« bat er und strich mit einer Hand über die kleine Wölbung meines Bauches. Mich überlief ein Schauer. »Komm« wisperte er und hob mich hoch. Instinktiv schlang ich meine Hand um seinen Hals. Als er mich behutsam am Bett ablegte, brauchte ich einen Moment, um ihn loslassen zu können. Immerhin wusste ich nicht, ob er im nächsten Moment nicht einen Streit vom Zaun brechen könnte.
»Dir gefällt das Konzerthaus?«
»Bürgerliche gaffen viel weniger als Adelige«
Paget lachte auf und zog die Decke über uns beide. »Die Ministerin ... wirst du morgen dabei sein?« fragte ich zögerlich. Die einzig vergleichbar innige Beziehung zu einem Mann hatte ich zu Nemours oder zu Dorian und ich wusste, dass ich beiden nicht beim Sterben zusehen könnte. Andererseits, hätte Paget der Ministerin wirklich nahgestanden, hätte er bemerkt, dass sie nicht auf unserer Seite  war. »Sie bedeutet mir nichts, Lavinia. Außerdem weiß ich, dass Mathew dich dabei haben will, also werde ich dich nicht alleine lassen« versprach er und ich nickte stumm. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie eine Menge sich um einen Platz versammelte, um einem Menschen beim Sterben zuzusehen.
»Auch wenn ich finde, dass du dich nicht deines Standes würdig benommen hast, habe ich Bonnebelle gesagt, dass sie mich nicht mehr aufsuchen darf« rügte mich Paget, worauf ich empört nach Luft schnappte. Sie hatte mich beleidigt und er ließ sie gewähren. »Lavinia« mahnte Paget erneut und rollte sich auf mich. Aber ich wich seinem Blick aus. »Du hättest sie meinetwegen nicht wegschicken müssen« behauptete ich, sah aber immer noch nicht zu ihm. Niemand konnte mir garantieren, dass Paget keine neue Frau in sein Bett holte. Jemanden, der vielleicht noch schlimmer war, als Bonnebelle. »Doch. Ich weiß, dass es dich gekränkt hat, dass ich sie empfangen habe« gab Paget zu. Ich schüttelte vehement den Kopf, aber meine Träne verrieten mich. Wie immer. Paget seufzte auf und versuchte die Ströme an Wasser, die über mein Gesicht rannen, fortzuwischen. »Sieh mich an« verlangte er erneut, worauf ich den Kopf hob.
»Du bist die Frau, die ich jeder vorziehe. Bitte glaube mir das. Du musst Bonnebelles Kind nicht ...« - »Es ist auch dein Kind, also kommt es in unsere Kindskammer. Keine Diskussion« Paget lachte und nickte nachgiebig. Er drückte mir einen Kuss auf die Wangen und bahnte sich einen Weg meinen Hals hinunter. Meine Tränen versiegten. Im Moment war es gut. Das war alles, das zählte. 


***


Meine Hände zitterten, als ich die Teetasse an meine Lippen führen wollte. Ich stellte sie zurück und hoffte, dass es meinen Hofdamen entgangen war. Mathews Stirnrunzeln nach zu Urteilen, hatte er es jedoch bemerkt. »Die Zeitungen sind voll von Berichten Eurer Schönheit und Güte« erzählte mir Mathew, worauf ich errötete. Auf der einen Seite war ich dankbar, dass mir ein Volk, dass mich nicht kannte, so viel Liebe entgegenbrachte. Aber auf der anderen Seite wollte ich nicht, dass die Menschen das als mehr sahen, als es war. Ein Versuch, mein Land kennenzulernen. Für mich zählten da Musik, Menschen und Architektur zusammen. Außerdem konnte ich so meine Neugierde befriedigen.
»Hat es Euch gefallen?«
»Ich weiß es sehr zu schätzen, wenn sich die Mehrheit der Zuhörer wirklich auf die Musik und nicht auf mich konzentriert. Die Musik war es auch Wert« Ich zögerte kurz und lächelte Mathew an. »Es war um einiges ungezwungener, als die Oper« - »Das kann ich mir vorstellen« Mathew zögerte einen Moment, bevor er aufstand. Er starrte auf meinen unberührten Kuchen und runzelte besorgt die Stirn. »Mit Eurer Verbindung zum Volk erweist Ihr mir einen großen Dienst. Es würde mich freuen, wenn Ihr das beibehalten könntet« - »Dann darf ich in den öffentlichen Teil des Schlossgartens gehen?« Mathew zog seine Augenbrauen zusammen, worauf ich auflachte. Ich drückte ihm einen Kuss auf die Wange. Ich würde das Schloss ohnehin in den nächsten Tagen verlassen. Da, wo ich hinfuhr, hatte ich hoffentlich ein wenig mehr Freiraum.

***
Ich hatte mich geirrt. Der Platz war gefüllt mit Menschen und alleine die Soldaten hielten die die Masse davon ab, den Exekutionsplatz zu betreten. Mit Absicht hatte ich mich ein kleines Stückchen hinter Paget gestellt, der wiederum deutlich hinter Mathew stand. Auf Mathews linker Seite standen einige der höchsten Minister, inklusive Nemours. Die anderen Männer kannte ich namentlich nicht. Zumindest symbolisierte ich so hoffentlich, dass diese zur Schaustellung dieses Mordes nicht mein Vorschlag war.
Die Menge war laut und wütend. Sie schrien Wörter, die ich zum Glück nicht verstehen konnte. Paget schielte immer wieder zu mir herunter und mit jedem Blick zitterten meine Hände mehr. Ich hatte gestern mit ihr gesprochen - sie war bei weitem nicht so ein schlechter Mensch, um sie vor aller Augen zu erschießen. Aber Mathew war gnadenlos. Er ließ sie von Wachen herausführen. Ihre stolze Kopfhaltung hatte sie beibehalten und sie ließ ihren Blick einmal über die Menge schweifen. Ich bereue nichts. Ihre Worte halten in meinem Kopf wieder und wurden von ihrer Ausstrahlung widergespiegelt. Hoffentlich, wenn ich dem Tod auf eine weniger gewaltvolle Weise ins Auge blickte, war ich von derselben Gewissheit erfüllt, mein Leben gut genutzt zu haben.
Die Wachen zwangen sie auf die Knie und sie begegnete einen Moment meinem Blick. Kurz blitzte Belustigung darin auf. Wahrscheinlich war das völlig wahnsinnig, aber ich wollte nicht, das heute starb. Ich öffnete meinen Mund im selben Moment, wie die Soldaten ihre Gewehre anhoben.
Paget griff nach meiner Hand und schüttelte leicht den Kopf. Wie hatte er bemerkt? Mein Blick suchte sein Profil nach einer Regung ab, aber er verharrte still. Bitte tut nicht so, als wäre es Euch nicht angenehm, mich aus dem Weg zu haben. Mein Kopf ruckte zu auf den Platz herum, als sich die Salven aus den Gewähren lösten. Die Ministerin sackte augenblicklich zusammen. Die Menge war mit einem Schlag verstummt. Einzig das Röcheln der Ministerin war zu vernehmen. Ihre Kleider tränkten sich langsam mit ihrem Blut. Es saugte sich von ihrem Oberkörper hinunter zum Rocksaum. Verzweifelt legte ich mein Gesicht auf Pagets Schulter. Ich konnte das nicht ... sie hatte gestern noch mit mir gesprochen! Hatte sie es wirklich verdient ...? Gequält richtete ich meinen Blick auf Mathew. Warum erlöste er sie nicht endlich? 
»Mathew, bitte« flehte ich, worauf sich sein Kopf mir zuwandte. Sein Gesicht war aus Stein gemeißelt. Er zögerte noch einige Augenblicke, bevor er einem der Soldaten zunickte. Die Ministerin stieß einen erstickten Schrei aus, als er sie mit seinem Fuß auf den Rücken rollte. Dann schoss er ihr in den Hinterkopf.

Erzherzogin Lavinia - das Mädchen unter vielenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt