Kapitel 24

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Maida verharrte auf einem Stuhl an meiner Bettseite und hielt beständig meine Hand. Mein Arzt fuhr sich mehrere Male über sein Kinn, bevor er lächelte. »Das Wichtigste ist, dass Majestät wieder zu Kräften kommen« erklärte er und alles in mir spannte sich an. Bedeutete das ... War wirklich alle neu gewonnene Hoffnung verloren? »Majestät erwarten ein Kind« bestätigte er. Vorsichtig strich ich mit meiner Hand über meine Bauchdecke. Also doch nichts verloren. Ich habe doch nicht versagt. Hätte Paget bloß einige Tage länger bleiben können, damit ich meine Gewissheit mit ihm teilen kann.
»Ich muss Seiner Majestät dem Kaiser nun Bericht erstatten« warnte er mich, worauf ich verärgert zu ihm aufsah. Mein Lächeln erlosch. Wie sollte ich gesund werden, wenn Mathew mich entweder auf ein Podest hob oder in eine Glaskuppel sperrte, sollte ich Ersteres nicht schaffen. »Ich weiß nicht ob ...« - »Majestät es ist meine Pflicht« Ich hatte ihn selten so harsch erlebt. Deshalb nickte ich geschlagen. Ich nahm meine kreisförmigen Bewegungen auf meinem Bauch wieder auf. Der Arzt überschüttete meine arme Maida mit Geboten und Verboten, die sie nickend aufnahm. Mehr Gemüse essen, kein Reiten, entspannte Spaziergänge ... und so weiter und so fort. Als er sich endlich alles von der Seele gesprochen hat, stemmte ich mich auf die Ellbogen. »Gehen wir in die Küche und fragen, ob es Porridge gibt?« 

***

Ich teilte gerade meine zweite Schüssel Beerenporridge mit Novel, als sich Mathew im Kinderzimmer ankündigen ließ. Nervös strich ich mir mein Kleid glatt, dass Novel mit seinem Herumgezappel verknittert hatte. »Bleibt sitzen« befahl Mathew, als er durch die Tür trat und ich mich mit Novel im Arm erheben wollte. Er trat direkt vor mich, bevor er sich zu mir herunterbeugte und einen Kuss auf meine Stirn drückte.
»Habt Ihr Paget bereits unterrichtet, Lavinia?«
»Können wir mit der Verlautbarung nicht warten, bis er wieder zuhause ist?«
Mathew zog seufzend die Augenbrauen nach oben. »Besprechen wir das in einem Salon« schlug Mathew vor, worauf ich geschlagen nickte. Ich klingelte nach Novels Kinderfrauen und drückte ihnen die Schüssel Porridge in die Hand. »Ich glaube, er schmeckt ihm genauso gut wie mir«

Sobald die Wachen uns provisorisch die Tür geöffnet und wieder geschlossen hatten, ließ ich mich an Mathews Brust sinken. Hier lief alles ein wenig anders, weil das Personal fehlte, um alles laut Zeremonie abzuwickeln. Er umarmte mich mit einer Selbstverständlichkeit, als würden wir das nicht zum ersten Mal tun. Eigentlich stand es mir nicht zu, ihm so nahe zu treten, aber ich wollte die Erleichterung und Freude mit jemanden teilen.
»Ich habe doch nicht versagt«
»Niemand hätte Euch das zum Vorwurf gemacht«
»Wird das etwas an der Situation mit Malheur ändern können?«
»Es haben sich einige Sachen Malheur betreffend geändert«
Mathew fuhr sich seufzend durch die Haare. Das sah nicht gut aus. Paget war kaum fünf Tage fort. Wie viel Schaden konnte da schon entstanden sein?
»Es sind mehr verwundert worden, als wir angenommen haben. Kenneth leistet härteren Widerstand, als ich kalkuliert hatte und vor allem immer mehr Verbündete von Kenneth legen ihre Karten offen«
»Ihr könntet ein Hospiz im Familienanwesen für Adelige einrichten« schlug ich vor und lächelte ihn vorsichtig an. Von hier aus war es eine ungefähr eine halbe Stunde Kutschenfahrt bis zum Familienanwesen. So konnte ich hierbleiben und trotzdem meine Pflicht tun. »Wenn Ihr mir den Vorschlag erlaubt, Majestät« begann ich vorsichtig, worauf Mathew seine Augenbrauen hochzog. Er wusste, dass jetzt etwas kommen würde, dass ihm keineswegs gefallen wird.
»Ich würde gerne das Lazarett an der Grenze besuchen. Besonders die Soldaten aus Malheur«
»Ihr möchtet sie für ihren Ungehorsam ihrem wahren Herrscher gegenüber belohnen?«
»Natürlich nicht, Mathew und ich werde es auch nicht tun, wenn Ihr es verbietet, aber ich möchte gerne versöhnen. Das sollen wieder unsere Leute werden«
Mathew runzelte die Stirn und zuckte schließlich seufzend mit den Schultern. Nemours Aussage bestätigte sich immer wieder: Diplomatie war nicht Mathews Lieblingsgebiet.
»Ich muss Euch allerdings auch noch um einen Gefallen bitten«

***

Ich schob mein Schultertuch nochmal in Position. Bevor ich nach Malheur gereist bin, trug ich gerne Kleider mit U-Boot Ausschnitt. Mittlerweile trug ich gerne Kleider, die meinen Rücken verbargen. Timophly half mir aus dem Wagen und ich wartete hartnäckig, bis auch meine Damen ausgestiegen waren und er wieder vor mich treten konnte. Ich wollte nicht alleine diese Stiegen hinaufschreiten und ich wusste, dass Mathew mich nicht abholen würde. Wenn wir uns nicht beeilten, werden sich gleich die ersten Adligen um uns herum versammeln und tratschen.
Schneller als üblich schritt ich die Treppe hinauf und verschwand ins Innere des Schlosses. Der Prunk, der mich sonst immer beeindruckt oder überwältigt hatte, kam mir heute wie Spott vor. Ich schwamm wortwörtlich im Gold, konnte mir aber weder eine glückliche Ehe noch ein wenig Ruhe vor Politik erkaufen.
»Ich nehme an, Ihr seid auch am Weg zum Kaiser« ich sah Haddock auf mich zukommen und reichte ihm lächelnd meine Hand. Mathew erzählte mir, England schicke noch Waffen nach Malheur. Dieses Bündnis sollte heute Abend beendet werden. Zumindest erhoffte sich Mathew das. »Es tut mir leid, dass ich Unruhe in Eurer Ehe gestiftet habe, Majestät. Das war unbedacht und dumm von mir« - »Eine Person mehr macht da nichts mehr aus« Ich erstarrte, als ich realisierte, was ich gesagt hatte. Dann lief ich rot an. Haddock starte mich einen Moment entgeistert an, bevor er in schallendes Gelächter ausbrach. Verächtlich blies ich Luft aus, als er stehen blieb, um sich die Seite zu halten. »Das klang anders, als ich es meinte« setzte ich hinterher, worauf Haddocks Lachen schlagartig verstummte und er sich zu mir umwandte. »Ich weiß, Majestät. Es tat mir für Euch leid, da ich weiß, wie sehr Ihr den Erzherzog schätzt. Nicht für Euren Mann. So harmlos die Situation war, er sollte begreifen, dass Ihr jung und schön seid und er nicht der einzige Mann ist, der das wahrnehmen kann« Das ich jung und schön bin ... ober wusste, dass mein Rücken vernarbt ist? Wobei mittlerweile wusste es bereits das ganze Land. Die Saalhüter öffneten uns die Tür und Mathew zog die Augenbrauen nach oben, als er uns gemeinsam eintreten sah.
»Bitte verzeiht meine direkten Worte, aber ich möchte niemandes Zeit verschwenden« Haddock hat gerade Platz genommen und ich sah überrascht zu Mathew hinüber. Ich hätte ihn gerne nochmal umarmt oder von ihm die Stirn geküsst bekommen. Irgendein Zeichen, dass alles in Ordnung war. Aber da wir nicht alleine waren, wurde ich lediglich in der üblichen Strenge von ihm gemustert. Als hätte sich zwischen heute Mittag und dem späten Nachmittag so viel verändert.
»Was wünscht die Queen?«
»Die Queen möchte versichert sein, dass die Gerüchte über Eure Behandlung wirklich der Wahrheit entsprechen. Sie kennt den Euren Onkel persönlich und kann sich nicht vorstellen, dass er so etwas getan hat«
Ich ballte meine Hände zu Fäusten. Glaubte sie in etwa, dass ich mir das selbst angetan hatte? Oder das ich Onkel Kenneth um eine Strafe gebeten hätte? »Es war sein Minister« mischte ich mich ein, worauf beide Männer mit verstörten Mienen zu mir sahen. Ich wusste, dass die Bilder, wie es gewesen sein könnte, durch ihre Köpfe spuckten. Vergeblich versuchte ich, sie aus dem Meinen herauszuhalten. Warum konnte man mich nicht endlich vergessen lassen? »
Bitte vergebt mir, Majestät. Aber könnte ich die Narben sehen?« fragte Haddock leise. Mein Blick ruckte zu Mathew. Er konnte das nicht gestatten! Das wäre eine ungeheure Demütigung. Vorsichtig nickte Mathew. Er sah mich nicht an, sondern starrte weiter auf den englischen Gesandten. Wie erstarrt blieb ich sitzen. Haddock rutschte unruhig auf seinem Platz herum.
»Lavinia, macht einen Teil Eures Rückens frei« verlangte Mathew. Mir stiegen Tränen in die Augen. Ich hatte die Narben extra verborgen, weil ich stark sein wollte. Die Männer konnten mir erzählen, was sie wollten. Ich fühlte mich nur schön, wenn ich mir sicher war, dass die Narben niemand sehen würde. Vergeblich suchte ich nochmal seinen Blick. Aber Mathews Befehl stand im Raum. Ich erhob mich und löste langsam den Knoten meines Schultertuches, der auf meiner Brust lag. Mir rollte eine Träne über die Wange, die den beiden zum Glück verborgen blieb.
Mit einem Ruck zog ich mir das Tuch von den Schultern und presste es meine Brust. Gedemütigt ließ ich mein Kinn zu meiner Brust sinken und versuchte möglichst ruhig zu atmen. Zählte langsam von zehn herunter. »Habt Ihr genug gesehen?« presste ich hervor. »Ich werde der Queen telegrafieren und Ihr könnt in den nächsten Tagen mit dem Rückzug der englischen Truppen rechnen« Ich schlang das Tuch um meine Schultern und ich hastete auf die Tür zu.
Ich wollte irgendwohin, wo ich sicher war.


Erzherzogin Lavinia - das Mädchen unter vielenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt