Paget hatte ein Einzelzimmer bekommen. Es zwar nur notdürftig mit Tüchern abgeschirmt, aber zumindest konnte wir uns so ungezwungener berühren. Einen weiteren Kuss wagen, der dieses Mal zu meiner Erleichterung entspannter war. Er schob seine Hände auf meinen Bauch und schüttelte immer wieder langsam den Kopf. »Jeder Mann hier sollte sich deine Stärke zum Vorbild nehmen« flüstert er und ich senkte verlegen den Kopf. Ich schaffte es nicht, eine vollständige Mahlzeit zu verzehren. In Wahrheit hatte ich mich zu einem kleinen Bündel zusammengerollt, dass nach allem Tritt, dass es anfassen will. Das beinahe im wörtlichen Sinn.
»Schreibst du auch einen Brief für mich?« fragte Paget und ich sah ihn lächelnd an. Ob er an seinen Vater schreibt? Hoffentlich schreibt er nicht an Mathew. Ich schickte la Rovere nach Briefpapier und drückte einen Kuss auf Pagets Hand, solange wir auf sie warteten. »Geht es euch beiden wirklich gut?« bohrte Paget nach und ich zuckte leicht mit den Schultern. Wenn ich es nicht bald schaffte zu essen, werde ich das Wohl meiner Kleinen gefährden. Aber dabei wird mir Paget nicht helfen können. Ihr hattet eine Strafe nicht verdient ... die Worte verfolgten mich und das Verhör kreiste durch meinen Kopf. Deshalb konnte ich nicht essen. Weil ich das Gefühl hatte, das es nicht erlaubt war.
Erleichtert, das Thema wechseln zu können, griff ich nach dem Briefpapier und sah Paget erwartungsvoll an. »Liebe Lavinia« begann er und ich hielt einen Moment mit meiner Feder inne. Ich zögerte, setzte die Feder ab und wieder an, bevor ich die Worte auf das Papier kritzelte. Verlegen heftete ich meinen Blick auf darauf und wartete, ob er weitersprach. »Ich will nicht auflisten, bei wie vielen Dingen ich versagt und dich enttäuscht habe, dazu sind es zu viele« gestand er und ich beeilte mich alles festzuhalten. »Deshalb möchte ich mich auf das Einzige konzentrieren, das Wichtig ist« ich hielt gespannt die Luft an, und wagte es das erste Mal zu ihm aufzusehen. Seine Mundwinkel zuckten und er strich mit seiner Hand zuerst über meinen Bauch und anschließend über meine Wange. Mich überzog eine Gänsehaut am ganzen Körper und ich musste mich zusammennehmen, dass ich nicht erschauderte.
»Ich liebe dich« hauchte er. Mir traten vor Erleichterung Tränen in die Augen. »Los schreib« forderte er und ich lachte leise auf. Ich hatte so sehr an ihm gezweifelt. Wenn ich ehrlich bin, tat ich es immer noch, aber er schien mir, unserer Familie, noch eine Chance zu geben. »Ich liebe dich, seit ich das erste Mal mit gesprochen habe. Ich will dich beschützen, seit dem ich das erste Mal bemerkt habe, wie weh dir Sean tut. Ich achte dich, seit dem du an meiner Seite als Erzherzogin stehst. Ich bewundere dich, seit dem ich das erste Mal wirklich begriffen habe, dass du für mich und unsere Kinder durch die Hölle gehen würdest« Paget machte eine Pause, die ich gut gebrauchen konnte. Die Feder in meiner Hand zittert, und ich musste aufpassen, dass meine Tränen die Tinte nicht verschmierten. Mir wurde abwechselnd heiß und kalt, aber ich war unfähig etwas zu sagen.
»Du weißt, dass ich nicht immer da sein kann, wenn du Schutz brauchst. Aber das brauche ich auch nicht länger. Du bist über meinen Schutz hinausgewachsen. Das Einzige, dass ich dir im Austausch für deine Liebe geben kann, ist mein mickriger Versuch sie zu erwidern und ihr gerecht zu werden« Ich schniefte noch zwei Mal, bevor ich den Brief vorsichtig zusammenfaltete und in meine Rocktasche schob. Ich warf einen vorsichtigen Blick zur Tür, aber draußen war alles ruhig. Rasch setzte ich mich zu ihm ans Bett und drückte meine Lippen auf seine. Wir bekamen wieder Übung darin. Es fühlte sich gut an seine Zunge zu spüren und zu wissen, dass er gerade nur mich wollte.
»Wann kannst du endlich nachhause?«
»Du vermisst mich doch nur in deinem Bett« neckte er, worauf ich beleidigt meine Augenbrauen hochzog. Wären wir alleine gewesen, hätte ich ihn jetzt gekitzelt, aber mir war klar, dass nur ein dünner Vorhang zwischen uns und einem duzend fremder Männer war. »Auf jeden Fall« gab ich zu, worauf Pagets Wangen eine Spur dunkler wurden. Seit wann war er derjenige, der rot wurde? »Aber nur, weil dass die einzige Zeit ist, in der du dich wirklich mit mir beschäftigst« setzte ich hinterher und wollte mir noch einen Kuss stehlen. Aber Pagets Miene war hart geworden und anstelle sich mir entgegen zu beugen, drückte er meinen Kopf auf seine heile Schulter. »Ich habe ziemlich viel Mist gebaut, nicht wahr?« flüsterte er und hielt mich fest wie ein Schraubstock. Ich wollte mich von ihm wegdrücken, wusste aber nicht, wo ich ihn berühren konnte, ohne ihm weh zu tun. »Du wirst das alles wieder gut machen« sagte ich zuversichtlich, worauf mich Paget losließ. Sein Blick ging an mir vorbei und ich hörte das Rascheln von Stoff hinter mir. Ich beugte mich ein letztes Mal zu Paget vor und drückte ihm einen Kuss auf die Lippen. »Bitte entscheide dich nicht wieder gegen mich« wisperte ich in sein Ohr und Paget griff lächelnd nach meiner Hand. Ohne mich von ihm zu lösen erhob ich mich und sah Mathew mit geröteten Wangen entgegen.
»Er hat sogar schon begonnen, es wieder in Ordnung zu bringen« verkündete Mathew und ich schlang unbehaglich die Hände um mich. Ich wollte nicht wissen, was Mathew zur Zeit als Wiedergutmachung verstand. »Paget hat den Mann erwischt, der Euch misshandelt hat. Er wird jeden Moment hingerichtet. Die Ministerin ist in unserem Gewahrsam und ihr Vater ist Tod. Wir vergelten, was Euch angetan wurde!« verkündetete er und im Vergleich zu mir und Paget sprach er laut genug, dass ihn mit Sicherheit der halbe Saal hören konnte.
Ich löste Pagets Hand aus meiner und schob mich in die Ecke des Raumes. »Der Mann, der mich« ich zögerte einen Moment. Eigentlich hatte ich mich an die Tatsache gewöhnt, es auszusprechen zu müssen, aber heute war es anders. Es hing ein Leben davon ab. »Es war der Minister, der es wollte und Kenneth, der es erlaubt hat. Den Soldaten, den Ihr hinrichtet, trifft keine Schuld« - »Ihr wisst nicht, was Ihr sagt« Mathew wandte sich kopfschüttelnd ab und nahm an meiner Stelle an Pagets Bett platz. Ich starrte auf den Boden vor mir. Er war seit Tagen zuhause und hat mit keinem Wort erwähnt, dass er die Ministerin auslöschen wird. Als könnte er damit seine Schuld tilgen, den Verrat ungeschehen machen.
»Das sind unsere Leute, Majestät. Wenn Ihr alle mit dem Tod bestraft, wird kein Raum für Versöhnung sein«
»Wer rebelliert, muss mit einer Strafe rechnen, Lavinia. Sie haben etwas Unverzeihliches getan und dafür werden sie bluten«
»Unverzeihlich mir gegenüber! Lasst Onkel Kenneth bluten, er hat es mehr als verdient. Aber diese Soldaten könnten Eure Soldaten werden, wenn Ihr verzeihen könnt«
Ich achtete darauf dabei die ganze Zeit auf Mathew zu schauen und Pagets Blick zu meiden. Ich hatte mir verboten, darüber nachzudenken, was Paget im Krieg getan hat. Ich wollte nicht genau hinsehen, wenn es darum ging, dass es gut für uns aussah. Ein Sieg hat sich noch nie so schmachvoll angefühlt. Mathew hat ein hervorragendes Militär. Er schickte es zur Unterstützung im Gegenzug für Gefälligkeiten und Bündnisse quer durch ganz Europa. Es war nur eine Frage der Zeit, bis wir zumindest die Fußsoldaten übertrumpfen würden. Onkel Kenneth schien schon schwerer zu fangen sein.
»Ich habe mit dem Mann gesprochen! Er ist nicht gegen uns, wenn wir nicht gegen ihn sind. Majestät, bitte ...«
»Es reicht« Mathew hat sich erhoben und funkelte mich böse an. So wütend hatte ich ihn überhaupt noch nie erlebt. Erschrocken schob ich mich weiter in die Ecke zurück. Mathew ließ seinen Blick einmal über mich gleiten, bevor er sich wieder hinsetzte. »Sind das die Dinge, die dir Dorian eingeflüstert hat?« fragte Paget und seine Stimme troff vor Verachtung. Ich sah ihn erschrocken an. Er wusste bereits von dem Brief, den ich an Dorian geschrieben habe. Vorsichtig zog ich den Brief, den mir Paget diktiert hatte aus meiner Rocktasche. »Hast du das deshalb gemacht? Weil du glaubst, ich höre auf Dorian?« fragte ich erstickt, worauf Paget sofort den Kopf schüttelte. Wenigstens etwas. Ich drückte den Brief unbewusst auf meinen Bauch, bevor ich ihn schleunigst wieder in meine Rocktasche schob.
»Ich wünsche, das Ihr wieder an den Hof kommt«
»Aber da bin ich zu weit weg von ...«
»Ihr könnt zwischen Feind und Freund nicht unterscheiden. Im Schloss gibt es genügend Konflikte zu versöhnen«
Ich starrte Mathew entgeistert an, der sich aus seinem Sessel hochstemmte und mir seinen Arm entgegenstreckte. Hölzern bewegte ich mich auf ihn zu und hackte mich bei ihm unter. Ich konnte dem Drang nicht widerstehen, mich nochmal zu Paget umzuwenden. Er hat seine Lippen zusammengepresst und ich merkte, dass auch er diese Diskussion für noch nicht beendet befand. Aber Mathew war der Kaiser. Ich legte meine Hand auf meine Rocktasche und formte ein lautloses Danke mit meinen Lippen. Ein wenig hellte sich Pagets Miene dadurch auf.
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Erzherzogin Lavinia - das Mädchen unter vielen
Historical Fiction»Lavinia. Ich ließ genauestens überwachen, ob du den Strapazen einer Geburt gewachsen sein würdest. Dieser Entschluss war lange diskutiert worden« versuchte Paget sich heraus zureden. Mein Mann hatte also von Beginn an nicht geglaubt, dass ich seine...