Kapitel 21

766 57 3
                                    

Paget sah an mir vorbei. Ich habe, seit Mathew mir die Anweisung gegeben hat mit meinem Mann wie vorgesehen den Ball zu eröffnen, kein Wort mehr mit irgendjemanden gesprochen. Sie hätten verhindern können, dass ich mein Kind verliere, sie hätte verhindern können, das ich mein Leben lang gezeichnet sein werde. Aber Pagets Gehirn steckte leider zwischen seinen Beinen. Ich presste meine Kiefer aufeinander.
»Bitte vergib mir« flüsterte Paget mir ins Ohr. Ich hätte ihm am liebsten getreten, aber anstelle täuschte ich ein Kichern vor und ignorierte ihn weiter. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, um ihm begreiflich zu machen, wie weh er mir dieses Mal getan hatte. Etwas anderes hatte ich ihm aber nicht zu sagen.
Die Musik verstummte und ich trat sofort einen Schritt zurück, um vor meinem Mann einen Knicks anzudeuten. Ich war zu schwach, um heute offen gegen diese Männer zu rebellieren, und ich wusste, dass ich mich nur durchsetzen konnte, wenn Mathew hinter mir stand. Zwar wusste ich noch nicht, was ich haben wollte, aber auf jeden Fall musste es anders werden. Paget griff nach meiner Hand und führte mich zur Empore. Mathew war zur Begrüßung aufgestanden. Er drückte Paget freundschaftlich die Hand und hauchte mir einen Kuss auf die Wange. Zu meiner eigenen Überraschung verzichtete Mathew auf seine Rede und gab gleich das Zeichen zum Tanz.
»Ihr macht ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter« scherzte Gwen, die plötzlich neben mir auftauchte. Ich hob traurig lächelnd meinen Kopf. »Was erzählt man sich?« fragte Paget hinter mir. Seine Stimme klang ungewöhnlich rau und ich drehte mich überrascht zu ihm um. Er starrte in seinen Schoß, wo er den Inhalt seines Weinglases im Kreis schwenkte. »Oh, das könnt Ihr Euch vorstellen, lieber Bruder« spottete Gwen und ich warf ihr ein dankbares Lächeln zu. Ich war nicht alleine gegen ihn. »Komm, lass uns eine Runde durch den Saal spazieren« lud mich Gwen ein und ich streckte mir ihre Hand entgegen. Sofort ergriff ich sie. »Lavinia. Wir hatten ausgemacht, dass du hierbleibst« hielt Paget dagegen und schob eine Hand auf meinen Oberschenkel. Entschlossen schüttelte ich den Kopf.
Wir hatten uns auch einmal ausgemacht, sogar geschworen, dass wir einander immer ehren und lieben werden. Paget schienen Schwüre oder Abmachungen nicht besonders Ernst zu sein. Ich erhob mich. »Mathew!« zischte Paget seinem Bruder zu, der die Situation nur schweigend beobachtet hat. Ich wusste nicht, ob ich den Mut hatte zu gehen, wenn Mathew es untersagen würde.
»Da unten werden Euch Fragen gestellt werden, die Ihr möglicherweise nicht beantworten solltet«
»Ich werde auf sie acht geben, Bruder«
Gwen absolvierte mit mir gelassen eine Runde durch den Saal. Ich nickte den richtigen Menschen zu, vermied es aber, irgendwo länger zu verharren, als eine Verbeugung und ein Handkuss notwendig machten. Das war gut so. Die Neugierde sprang den Adligen förmlich aus den Augen. Sie schielten immer wieder zwischen der Empore, wo sich ein entspannter Mathew und angespannter Paget, befanden und Gwen und mir hin und her. Ich vertrieb mein schlechtes Gewissen, Paget da oben alleine gelassen zu haben. Da musste er jetzt durch.
»Sorgt dafür, dass Lady Asbury in meiner Nähe bleibt« wies ich laRovere an. Über den ganzen Trubel hinweg durfte ich sie nicht vergessen. Das ist die perfekte Gelegenheit für Haddock ihr aufzulauern. Vorausgesetzt, der englische Gesandte war infam genug gegen meine Anweisung zu widerstoßen. Ich hatte so ein Gefühl, dass er es war.
Solei und Nemours jüngere Bruder sanken gerade vor mir in einen Knicks. Ich drückte Solei kurz an mich und küsste ihr beide Wangen. Die Überraschung stand ihr ins Gesicht geschrieben. »Ich werde Mathew fragen, ob ich bereits jetzt zum Tee bitten darf - ich bin müde« erklärte ich ihr, worauf sie mich traurig anlächelte. »Wenn Ihr möchtet, könntet Ihr die Nacht bei uns schlafen« lud sie ein, worauf es an mir war überrascht zu sein. Ich konnte doch nicht ... Oder? Ich sah hilfesuchend zu Gwen, die Princesse Solei mit schiefgelegtem Kopf musterte. »Oder auch nicht ...« stotterte meine Freundin unbeholfen, worauf ich entschlossen den Kopf schüttelte. Ich war praktisch nebenan. Da konnte nicht viel dagegen sprechen.

***

Mathew hat natürlich wie erwartet eingewilligt. Es war an sich nicht üblich, dass man bei Bällen Tee trinkt, da machte es keinen Sinn sich über die Abänderung der Uhrzeit zu pikieren. Der Salon hatte sich überraschend schnell gefüllt. Meine Hofdamen haben mit leisen strengen Stimmen nachgeholfen, die Sitzplatzordnung nach Rang einzuhalten und verwunderlich schnell standen alle Dame hinter ihren Stühlen.
»Ich bin froh, dass Seine Majestät diese Neuheit am Hofball gewährt hat« begrüßte ich die Dame und deutete dem Saalhüter hinter mir die Türe zu schließen. »So habe ich Gelegenheit wenigstens für einen kurzen Moment mit Ihnen in Kontakt zu treten« setzte ich gespielt fröhlich hinterher und setzte mich im nächsten Moment hin. Meine Haare machten meinen Kopf um gefühlt 10 Kilogramm schwerer. Ich hätte mich gerne irgendwo einen Moment ausgerastet. Gwen stupste mich von der Seite an.
»Bitte entschuldigt. Ich bin noch sehr schnell erschöpft«
»Sind die Zeitungsberichte wahr?«
Ich nickte stumm, obwohl ich wusste, dass niemand ohne ein Zeichen von mir weitersprechen durfte. Mit mir am Tisch saßen die drei höchsten Damen des Adels. Zum Glück hatte ich Gwen neben mir, weil die anderen waren mindestens doppelte so alt wie. »Ja, Princesse Chevaliers, aber heute ist kein Tag für solch traurige Themen. Erzählt mir, wie die Reaktion auf den Beginn des Krieges ist« verlangte ich, worauf sich die beiden älteren Damen mit hochgezogenen Augenbrauen, ansehen und Gwen mit erneut unsanft anstupste. Was war an dieser Frage verwerflich? »Die Menschen kümmert mehr, wie es Euch geht, Majestät, als der Krieg. Sie warten bereits sehnsüchtig auf ein Zeichen von Euch« Meine Hand verkrampfte sich um die Teetasse, die ich gerade an meinen Mund führte.
Davon wollte ich nichts hören. Ich wollte von gewonnen Schlachten und einem Ende des Konfliktes berichtete bekommen, der sich ohne mein Zutun löst. »Die Männer haben sich freiwillig gemeldet, um Eure Ehre widerherzustellen. Sie würden Euch gerne sehen« ergänzte Grande Duchesse Leblanc und ich nickte klamm. Ich wollte, dass Kenneth dafür bezahlte. Deshalb habe ich mich nie gegen die zu den kämpfenden Truppen zu Wort gemeldet. Aber ich hatte dabei vergessen, dass auch Zivilisten in den Krieg ziehen werden. Für mich. »Das die Männer von Kenneths Gräueltaten erfahren haben, ist nicht Eure Schuld, Lavinia« beruhigte mich Gwen und führte meine Hand mit der Teetasse zurück auf den Tisch. Ich hätte gar nicht erst verlassen sollen. Dann wäre eine solche Situation nicht zustanden gekommen.
Ich wurde von einem Scheppern aus meiner Starre gerissen. Schnell wandte ich mich, worauf es meinem Rücken einen Stich versetzte. Der Diener hinter mir war leichenblass. »Ihr blutet Majestät« stotterte er, worauf ich belustigt die Augenbrauen hochzog. Halluzinierte er? Ich schüttelte beschwichtigend den Kopf, aber meine Hofdamen hatten sich bereits von den anderen Tisch erhoben und Gwen neben sprang ebenfalls auf ihre Füße. »Die Narben sind aufgerissen« stellte la Rovere nach einem prüfenden Blick auf meinen Rücken fest. Mir stieg die Schamesröte ins Gesicht. »Bitte bringt mit einen Umhang. Ich möchte mich zurückziehen« wies ich sie an, starrte einen Moment länger an die Decke als nötig, um eine tränenden Augen in den Griff zu bekommen.
Gwen deutete einen kurzen Knicks vor mir an, bevor sie eilig den Saal verließ. Mit Sicherheit, um Mathew oder Paget Bescheid zu sagen. Ich versuchte, irgendwo hinzusehen, wo niemand meine Tränen bemerkte. Ich fühlte mich unendlich gedemütigt. »Wir werden den Soldaten sagen, dass Ihr noch nicht so weit seid, Majestät« versprach Grande Duchesse Leblanc und ich rang mir ein Lächeln ab. Nickte ihr zu und unterdrückte mein Schluchzen.
»Das hätte Seine Majestät uns heute Abend auch sagen sollen - das Ihr noch nicht bereit seid, meine ich« Solei erhob sich aus ihrem Stuhl und ging la Rovere entgegen, die ihr den Umhang überreichte, den mir Solei um die Schultern legte. Jetzt konnte ich mich endlich erheben, ohne das jedermann mein blutiges Kleid sehen konnte. Ich schniefte bemüht leise, aber die Mundwinkel der Damen sanken noch ein Stückchen weiter nach unten. »Sobald ich wirklich genesen bin, werde ich die Einladung wiederholen, damit wir uns austauschen können« versprach ich und drehte mich noch im selben Moment um. Trotzdem konnte ich aus dem Augenwinkel bemerken, wie alle Damen ihr Knie beugten. Bis zum Boden.
»Steht die Einladung noch Princesse?« flüsterte ich leise worauf sich die Princesse unterhackt und wir die Palasttür ansteuerten. Wenn wir uns beeilten, würde Paget nicht wissen, wo ich mich versteckt hatte.

***

»Wartet« rief Nemours und hastet gefolgt von seinem Bruder und Gwen die Stufen herunter. Die kühle Nachtluft linderte den brennenden Schmerz und die Tränen kühlte meine vor Scham erhitzten Wangen. »Wenn Ihr mich schon bei Aller Höchster Instanz unbeliebt machen wollt, dann will ich Euch wenigsten begleiten« scherzte Nemours. Ich hatte ihn noch über eine Staatsangelegenheit scherzen gehört. Hoffentlich nimmt er das morgen noch mit genauso viel Humor.

Erzherzogin Lavinia - das Mädchen unter vielenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt