1.Kapitel

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»Key?! Fährst du mich heute zur Schule?« Die laute Stimme meiner nervigen Schwester riss mich aus meinem erholsamen und wohlverdienten Schlaf. Murrend drehte ich mich auf die andere Seite, öffnete meine Augen einen Spalt breit um die Uhrzeit auf dem alten Pokemon-Wecker neben meinem Bett zu erkennen.

Viertel nach Sieben. Hatte ich so viel schlechtes Karma, dass man mich damit strafen musste an meinem freien Tag um eine solche unmenschliche Zeit aufgeweckt zu werden? Oder ich hatte einfach nur die nervigste Schwester auf der Welt.

»Warum? Du kannst allein gehen!«, brüllte ich zurück und kurz darauf riss Maria die Tür zu meinem Zimmer auf, wobei sie beinahe gegen die Wand schlug. Sie war einfach nicht dazu in der Lage in einer normalen Lautstärke zu sprechen, zu gehen oder Türen zu öffnen, ohne diese dabei weit aufzureißen.

»Ich möchte aber dass du mich zur Schule fährst. Du bist immerhin so selten da und dann nur an den Wochenenden, da will ich es heute ausnutzen!«, sagte sie und genervt stöhnte ich auf.

»Wenn du mich dann aufhörst zu nerven und mich heute Nachmittag in Ruhe lässt, fahre ich.«

»Danke!« Sie grinste breit, dann rannte sie aus meinem Zimmer und ließ die Tür –wie immer – offen stehen. Seufzend quälte ich mich aus dem weichen Bett, zog irgendwelche Klamotten aus meinem Rucksack und ging dann die Treppe nach unten.

»Morgen«, begrüßte mich meine Mutter, welche genau wie meine Schwester ein fröhlicher Morgenmensch war, und gerade vor sich hinsummend das Essen für meine Geschwister einpackte. Mein jüngerer Bruder saß wie immer mit einer Schüssel Cornflakes und einem Cappuccino am Esstisch und überflog gelangweilt die Zeitung wobei er nicht aussah, als würde ihn irgendetwas davon groß interessieren. Ähnlich wie ich war auch er morgens nicht sonderlich aufnahmefähig.

»Morgen Key. Nimmst du mich auch mit? Danke«, sagte Jayjay dann, ohne von seiner Zeitung aufzusehen und ich seufzte.

»Ich bin nicht euer Chuffeur«, murmelte ich und goss mir dann eine Tasse Kaffee ein. Ich genoss die paar Sekunden Ruhe, ehe Maria in die Küche stürmte und dann kurz inne hielt.

»One Punch Man ist das dein ernst?«, fragte sie mit einem Blick auf mein T-Shirt, dann stopfte sie ihr Essen in die Tasche und schnappte sich eine Mandarine vom Obstkorb der auf der Anrichte stand.

»Problem damit? Ich bin eben cool.« Meine Schwester erwiderte nichts darauf, sondern stupste Jayjay an, damit dieser sich mit dem Essen beeilte. Er warf ihr nur einen genervten Blick zu und begann mit Absicht langsamer zu essen, um sie zu ärgern. Als er fertig war faltete er sorgsam die Zeitung zusammen, dann stellte er sein Geschirr in die Spüle und nahm seine Schultasche vom Stuhl.

»Ich sitze vorne!« Schon war Maria als erste aus der Tür gerannt, während ich genervt aufstöhnte. Sie war sechszehn, verhielt sich aber eher wie zehn.

Aus meiner Hosentasche zog ich meine Autoschlüssel, dann ging ich gefolgt von Jayjay ebenfalls nach draußen. Mein Auto war wunderschön und ich hatte es mir endlich, nach mehreren Jahren hartem Sparen, leisten können was dringend nötig gewesen war, da mein vorheriges beinahe auseinander gefallen wäre.

Ich öffnete die Fahrertür und startete den Motor, bemerkte aus den Augenwinkeln wie die Hand meiner Schwester sich gefährlich Nahe Richtung Radio bewegte.

»Mein Auto, meine Musik, meine Regeln. FINGER WEG«, sagte ich warnend und sie verdrehte die Augen, zog aber tatsächlich ihre Hand zur Seite.

»Wann fahren wir morgen los?«, fragte sie dann und schien jetzt schon ganz hibbelig zu sein.

»Die Con beginnt um 10 Uhr und sie ist nicht so weit entfernt, ich denke länger als 90 Minuten fahren wir nicht, selbst wenn Stau sein sollte. Wenn wir um acht los fahren reicht das.« Das war auch der Grund, warum ich schon seit einer Woche Urlaub hatte und bei meinen Eltern zu Hause rumhing. Dieses Wochenende war, wie jedes Jahr, eine Convention auf welche ich zusammen mit meiner Schwester hinging und zum ersten Mal konnten wir mit dem Auto fahren. Die letzten Jahre mussten wir immer mit dem überfüllten Zug vorlieb nehmen, was die reinste Hölle war, da man Mühe hatte zu atmen.

»Ich freue mich schon so! Sicher finde ich noch ein paar Figuren, die ich mir kaufen kann!« Ich seufzte.

»Was findest du nur an Figuren so toll? Du stellst sie ins Regal und dann fangen sie Staub. Sie sehen zwar gut aus, aber für Staubfänger sind sie viel zu teuer. Wo nimmst du das Geld überhaupt her?« Sie verzog den Mund, dann verdrehte sie die Augen.

»Ich spare mein Taschengeld eben und genauso wie du gebe ich mein Geld eben nur für mein Hobby aus. Außerdem hast du fünf Regale voller Manga, du bist doch auch nicht besser.«

»Ja, aber die lese ich mehrmals und sie stehen nicht einfach nur rum.« Die Diskussion könnte ewig so weiter gehen, wenn Jayjay sich nicht auf dem Rücksitz bemerkbar gemacht hätte. Anders als der Rest meiner Familie, war er der Einzige der nichts mit Videospielen, Anime oder sonstigem zu tun hatte, sondern sich für Sport und Politik interessierte.

Ich hielt an Jayjays Schule und er öffnete die Tür.

»Holst du uns wieder ab?«

»Wann?«

»Heute ist Freitag... da hab ich gegen zwei Schluss.« Ich nickte und er verabschiedete sich, ehe er sich auf den Weg in die Privatschule machte, auf die er ging. Meine Schwester hingegen besuchte eine ganz normale Oberschule in der Nähe. Ich ließ auch sie vor der Schule raus und sie winkte mir breit grinsend zu.

»Bis heute Nachmittag. Ich hab dich lieb!«

»Ja, ja. Jetzt geh schon«, murmelte ich, konnte mein Lächeln aber doch nicht ganz verhindern. Auch wenn die beiden mir tierisch auf die Nerven gingen, liebte ich sie über alles.

Ich würde es nur nie offen zugeben.   

Dark Shame (Boyslove)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt