22.Kapitel

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»Diese Ruhe ist wirklich wunderbar«, meinte Jayjay, als er sich mit einer dampfenden Tasse Cappuccino an den Küchentisch setzte, an welchem ich gerade völlig müde saß und meine Cornflakes, welche mittlerweile nur noch eine weiche Pampe waren, von einer Ecke in die andere schob.

»Hmh?«

»Weder Maria noch Mom sind da. Es ist so wundervoll.« Er schlug die Zeitung, welche zusammengerollt auf dem Küchentisch lag, irgendwo in der Mitte auf und lehnte sich zufrieden seufzend zurück. Ich war noch so verschlafen, dass ich nicht einmal diese himmliche Ruhe bemerkt hatte, aber jetzt wo Jayjay es erwähnte, wurde es mir auch klar.

»Wo ist sie eigentlich?«, fragte ich und starrte auf die Cornflakes, die ich vermutlich nicht mehr essen würde.

»Du bist in letzter Zeit richtig abwesend und hörst kaum noch zu. Gestern hatte irgendeine Freundin aus der Schule Geburtstag gefeiert und sie meinte, dass sie gleich die Nacht über dort bleiben wird.«

»Ist sie nicht viel zu jung um schon zu trinken?« Jayjay hob eine Augenbraue.

»Sie ist sechszehn, ich denke du warst in dem Alter auch nicht viel anders. Ich kann mich noch gut daran erinnern als...«

»Okay ich habe es verstanden«, unterbrach ich ihn, bevor er noch anfangen konnte mir die peinliche Geschichte von damals unter die Nase zu reiben, dann stand ich auf und kippte meine Cornflakes weg, ehe ich mir die zweite Tasse Kaffee eingoss.

»Demnächst habe ich wieder ein Turnier, ein größeres diesmal.«

»Und?«, fragte ich, da ich nicht genau wusste worauf er hinauswollte.

»Ich sage dir das, weil ich will dass du zuschauen kommst«, meinte er und verdrehte die Augen, als ob es mir hätte klar sein müssen. Dabei konnte ich noch lange nicht zwischen den Zeilen lesen.

»Ja natürlich. Ich werde versuchen mir an dem Tag frei zu nehmen.«

»Morgen.« Mein Vater stolperte total verschlafen in die Küche, wobei er bei meinem Anblick verwundert innehielt und mehrmals blinzelte, ehe er leicht den Kopf schüttelte. Er hatte braune, kurze Haare die bereits begannen grau zu werden und hatte die letzten Jahre ordentlich an Gewicht zugelegt, was im Kontrast zu der eher dürren Gestalt stand, die er vor einigen Jahren noch gewesen war.

»Du bist schon wach?«, fragte er.

»Ich konnte nicht mehr schlafen«, antwortete ich schulterzuckend. Es war seltsam, immerhin war ich bis drei Uhr wach geblieben um Anime zu schauen, aber war bereits um acht wieder aufgewacht, was normalerweise nie passierte.

»Wo ist eure Mutter?«

»Einkaufen.«

»Wer geht denn bitte an einem Samstag schon um neun einkaufen?«, fragte mein Vater verständnislos, dann goss er sich ebenfalls einen Kaffee ein und setzte sich zu Jayjay an den Tisch.

Ich denke ab dieser Stelle war ziemlich klar, von wem ich meine Gene hatte.

Mit einem Seufzen schaute ich auf mein Handy. Wie so oft in letzter Zeit hatte ich keine neue Nachricht von Nate, er schrieb mir höchsten noch 1-2 Mal am Tag zurück, wenn überhaupt, und getroffen hatten wir uns seit dem Tag wo er mir zum zweiten Mal seine Liebe gestand auch nicht mehr. Es machte mich langsam sogar etwas traurig, dass die Freundschaft welche wir aufgebaut hatten vermutlich hoffnungslos gescheitert war. Eigentlich sollte es mir nicht so viel ausmachen, er war nicht mein bester Freund oder etwas in der Art und auch wenn ich schon recht viel Zeit mit ihm verbracht hatte, kannten wir uns noch nicht allzu lang und genau genommen wusste ich auch nicht so viel über ihn. Trotzdem störte es mich wie die Dinge jetzt standen, dabei war es doch nur verständlich dass er Abstand brauchte.

Es ist weil du ihn vermisst, deswegen bist du zur Zeit auch so oft in Gedanken sagte die Stimme in meinem Kopf, die ich mal wieder gekonnt ignorierte.

Vielleicht sollte ich auch einmal die Initiative ergreifen und ihn anrufen? Auch wenn er gesagt hatte, dass er Zeit brauchte, es konnte ja nicht schaden ihm zu zeigen, dass mir doch etwas an der Freundschaft lag.

Ich verschwand nach oben in mein Zimmer, dann wählte ich entschlossen Nates Nummer. Er ging schon nach dem zweiten Klingeln ran.

»Hi«, presste ich hervor, plötzlich nicht mehr wissend, was genau ich sagen wollte. Es war über einen Monat her, dass ich das letzte Mal mit ihm gesprochen hatte.

»Hallo Key.«

»Es tut mir leid, dass ich dich jetzt einfach so anrufe, aber hast du heute vielleicht Zeit?«, fragte ich und er zögerte einen kurzen Moment.

»Nein leider nicht, ich habe heute ein Date.«

»Oh ist doch super! Viel Spaß«, sagte ich freundlich, wobei es nicht einmal halb so ehrlich gemeint war wie ich es gesagt hatte, dann legte ich hastig auf, bevor er etwas bemerkte.

Bei seinem Satz hatte sich ein unangenehmes Gefühl in meiner Magengegend ausgebreitet und meine Laune schien plötzlich stark gekippt zu sein.

Es war doch gut und nur zu meinem Vorteil, wenn Nate eine Verabredung hatte. Immerhin konnte er mich so schneller vergessen und wir könnten vielleicht wieder zu dem Standpunkt zurückkehren, an welchem wir zu Beginn unserer Freundschaft gewesen waren, ohne das irgendwelche Gefühle das ganze unnötig kompliziert machten.

Doch warum konnte ich mich dann nicht ehrlich für ihn freuen? Lag es daran, dass ich selber keine Freundin hatte und Angst hatte, dass Nate mich nun komplett vergessen würde? Letztendlich war es nur mein Ego, welches einfach nicht verstehen wollte, dass jemand wie Nate mir nicht hinterher rennen würde, vor allem dann nicht, wenn ich ihn schon zweimal abgewiesen hatte. Was erwartete ich auch? Dass er mir ewig nachtrauern würde, obwohl es hoffnungslos war? So wichtig war ich nicht, und das sollte auch mein anscheinend viel zu aufgeblasenes Ego verstehen. Nur weil er in mich verliebt war, musste ich nicht gleich der Mittelpunkt seiner Welt werden. Niemand war es wert, ewig zu warten und sich zu bemühen, wenn es eigentlich aussichtslos war. Warum sollte ich es dann also von ihm erwarten?

 Ehrlich gesagt verstand ich mich selbst einfach nicht mehr.  

Dark Shame (Boyslove)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt