Zwiespalt

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-Alice
Ich gehe in mein Zimmer, schließe die Tür und wähle Hennings Nummer. Sie scheinen schon im Bandraum zu sein, denn es dauert eine Weile, bis sich auf der anderen Seite jemand meldet. "Ja?", gröhlt er ins Handy. Im Hintergrund kann ich Sevi Schlagzeug spielen hören. "Schatz. Es tut mir leid, dass ich bei der Verabschiedung so komisch war. Ich.. ich hab mich einfach noch nicht so dran gewöhnt und dann noch vor meinen Eltern.. Ich.. Es tut mir leid. Das ist alles, was ich wollte. Ich hatte Angst, du machst dir Gedanken darüber. Ich liebe dich." Ich wollte gerade auflegen, als mir Henning ins Wort fällt.

-Henning
,,Ist schon okay, Prinzessin. Ich muss mich auch erst daran gewöhnen seit so langer Zeit, eine Freundin zu haben..." Es herrscht Stille in der Leitung. Sevi hat sein Schlagzeugspiel unterbrochen und Chrissi sitzt vollkommen versunken auf der Couch und zupft an den Saiten seiner Gitarre. Sevi legt den Kopf schief und hebt fragend die Augenbrauen. ,,Ich liebe dich, Alice. Bis zum Mond und zurück. Und einmal um die Erde. Bis morgen." Damit lege ich auf.

-Alice
Bis Morgen? Als hätte ich ihn nicht schon genug vom Musik machen abgelenkt, schreibe ich ihm noch schnell eine Nachricht. "Bis Morgen? Morgen ist doch noch gar nicht Abreisetag. Was hast du vor? ♥
xoxo Alice"

-Henning
Ich lese ihre Nachricht, aber antworte nicht mehr. Verschmitzt grinsend drehe ich mich zu den Jungs um. ,,Damit wir noch etwas auf die Reihe bekommen, bevor wir am Freitag losfahren, müssen wir wohl mal wieder etwas Musik machen." Wir blicken uns alle freudestrahlend in die Augen und fangen sofort an ,,Jeden Morgen" anzustimmen.

Nach der Probe trennen sich unsere Wege. Chrissi geht nach Hause und auch Sevi macht sich auf den Weg Richtung WG. Nur ich will noch schnell zu Papa ins Krankenhaus, um ihm von der großen Neuigkeit zu erzählen und von seinem Entlassungstermin zu erfahren.

-Alice
Keine Antwort. Er ist beschäftigt genug. Mit dem Handy kehre ich zurück ins Wohnzimmer. Meine Eltern sitzen wieder auf der Couch und schauen sich einen Krimi an. Leise setze ich mich zu ihnen und fange an zu grinsen. "Ich wollte nochmal Danke sagen. Ich weiß, ich hab mich die letzten Tage echt scheiße benommen, aber es ist so viel passiert und ich musste das alles erstmal verarbeiten. ABER ihr werdet sehen. Henning ist toll. Er ist großartig. Ihr müsst ihn einfach mögen!" Kurze Stille, dann entgegnet mein Vater: "Henning ist uns sehr sympathisch, ja, aber du musst auch verstehen, dass wir uns Sorgen machen. Wir hatten keine Ahnung, wo du bist und wie es dir geht. Es hätte sonst was passieren können, Alice. Aber wenn du glücklich bist, sind wir es auch." Er grinst mir zu und ich lege mich an Mamas Schulter und starre ebenfalls in den Fernseher. Der Tag neigt sich dem Ende zu und wir kommen dem Konzert somit wieder einen Schritt näher.

-Henning
Papa liegt reglos im Bett. Was hast du denn auch erwartet? Das seine Beine nach ein paar Tagen wieder heil sind? Seine Lider sind geschlossen und er wirkt so friedlich, als würde um ihn herum nicht den ganzen Tag irgendeine Schwester wuseln.
,,Er wacht bestimmt gleich auf.", unterbricht nun eben eine dieser Krankenhauspflegerin meine Gedanken.
,,Danke.", meine ich versunken und bemerke nicht ihren erstaunten Blick. Sie rührt sich nicht von der Stelle.
,,Könnten Sie uns bitte alleine lassen?", frage ich ungeduldig. Beschämt nickt sie und zieht die Tür hinter sich zu. Ich setze mich auf den klapprigen Krankenhausstuhl neben Papas Bett. Ein Grunzen ertönt aus seiner Richtung.
,,Hey Papa..." Er schlägt müde die Augen auf.
,,Na... Wie geht's dir, mein Junge?", meint er noch leicht benommen. Typisch Papa. Er liegt krank im Bett und fragt dann mich, es mir geht..
,,Gut soweit. Und bei dir?" Ich halte meine Zunge zurück, die ihn sofort mit unserem Auftrittangebot überschütten will.
,,Auch... Ich bin zwar immer schlapp, aber ich lebe und das ist doch die Hauptsache..."
,,Ja..", flüstere ich und nehme seine Hand. ,,Weißt du, wann du entlassen wirst?"
,,Nein, ich werde wohl noch ein paar Wochen hier verbringen müssen...", schnauft er und versucht, sich aufzusetzen. Ich helfe ihm dabei. Sein Rücken knackt und er stöhnt auf.
,,Ich werde alt..." Ich grinse ihm zu.
,,Ich wollte dir etwas Wichtiges sagen..." Einer seiner Augenbrauen wandert in die Höhe.
,,Ich höre...?"
,,Also... Wir haben eine Anfrage für ein Konzert in Berlin bekommen. Nächsten Samstag und Alice fährt mit ihrer Familie mit und es wird einfach.... Großartig werden!"
Er beginnt zu lächeln.
,,Wirklich?" Ich nicke heftig.
,,Das freut mich ja so für euch!" Ungelenk, dadurch dass er ans Bett gefesselt ist und sich nur schwer bewegen kann, umarmt er mich. Ich kann gar nicht beschreiben, wie sehr ich diese Umarmung genieße.
,,Und es tut gleichzeitig so weh, dass ich nicht kommen kann." Seine Augen bekommen einen traurigen Glanz und er stützt sein Gesicht auf seine Hand.
,,Ja... Ich finde es auch doof. Gerade jetzt, bei diesem wichtigen Auftritt liegst du im Krankenhaus..." Er nickt leidend.
,,Ja, es ist echt ein schlechter Zeitpunkt... Aber dennoch bin ich froh, dass ihr euren Spaß haben werdet. Alle. Die Band und Alice' Familie. Dass ihre Familie mitkommen soll, war sicher deine Idee, oder?"
,,Woher weißt du das?!", frage ich verwundert.
,,Sowas liegt mir eben im Blut." Er drückt meine Hand.
,,Das stimmt wohl...", murmle ich leise und lächle ihn an.
,,Ich wollte es dir nur gesagt haben. Ich kann dir ja danach von den wichtigsten Geschehnissen berichten. Wir treten jedenfalls als Vorband auf. Also wird es sicher voll sein. Ich bin schon echt aufgeregt!" Papa beobachtet mich milde lächelnd, während meines Redeschwalls. Seine Augen verfolgen meine gestikulierenden Hände. Und er nickt immer wieder. Er steht im Zwiespalt. Traurig und glücklich. Traurig, weil er nicht da sein kann und glücklich, weil wir diese einzigartige Chance haben vor so großem Publikum aufzutreten. Aber zuletzt überwiegt die Freude.

Mit einer weiteren etwas holprigen Umarmung und Glückwünschen von Dad verabschiede ich mich von ihm und gehe nach Hause, um mich ins Bett zu legen und augenblicklich einzuschlafen.

Das Porzellanmädchen [✔]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt