Kämpferin

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-Alice
Ein Schwarm Vögel zieht an uns vorbei und ich beginne zu träumen. "Kennst du dieses Gefühl, genau das haben zu wollen, was die dort oben auch haben? Die Fähigkeit zu fliegen, zu fliehen, egal wann. Die ganze Welt liegt dir zu Füßen, du musst dir keine Gedanken machen, was dort unten passiert, denn du bist frei. Frei von allen Pflichten, von jedem Problem und jedem Gedanken, der dich quält? Mit dir würde ich bis ans Ende der Welt fliegen. Und zurück. Du machst mich so unglaublich glücklich. Ich liebe dich, Henning." Ich drehe mich auf die Seite, lege meine Hand auf seinen Bauch und male mit meinen Fingern kleine Kreise. Meinen Kopf an seine Schulter gelehnt, spüre ich die Wärme, die ihn durchfährt. Die frische Brise umhüllt uns, die Blumen tanzen im Wind und die Vögel geben den Takt an. "Ich liebe dich." wiederhole ich, um mir auch ganz sicher zu sein, dass ich es kein Mal zu wenig gesagt habe.

-Henning
,,Ich dich mehr...", entgegne ich und muss mich zusammenreißen, um nicht zu seufzen, so gut fühlen sich ihre Finger auf meinem Bauch an. Sie bemerkt den Schauder, der meine Haut überzieht, und ein sanftes, neckendes Lächeln umspielt ihre Mundwinkel. Langsam schiebt sie mein T-Shirt ein Stück hoch und fährt mit ihrer ,,Zeichnung" auf meiner nackten Haut fort. Ich schließe die Augen und kann das Seufzen nicht mehr unterdrücken. Ihr Blick wandert über mein Gesicht und bleibt an meinen geschlossenen Augen hängen. Ich spüre das. ,,Ich habe noch etwas für dich, Prinzessin.", flüstere ich gedämpft, noch immer überwältigt von dem Gefühlssturm, der mich übermannt, wenn ich ihre Finger auf meiner Haut spüre. Sie hat mich vollkommen in ihrer Gewalt. Ob sie das weiß? Fragend legt Alice den Kopf schief. Widerwillig richte ich mich auf und robbe zu dem Korb, um eine kleine Samtschachtel aus dem Inneren zu holen. Ich reiche sie mit einem triumphierenden Grinsen an Alice weiter. Der Unglaube steht ihr ins Gesicht geschrieben. Hoffentlich gefällt es ihr. ,,Was ist das..?", flüstert sie und öffnet die Schachtel. Der silberne Anhänger glitzert im Licht, das durch das Blätterdach fällt, an der zarten Kette. Es scheint, als würde der kleine Löwe seine Zähne blecken. ,,Er soll dich daran erinnern, dass du alles schaffen kannst. Dass du unbesiegbar bist und dich niemand unterkriegen kann. Du bist eine Kämpferin, Alice. Meine Kämpferin." Dann bricht der Damm und sie kann ihre Tränen nicht mehr zurückhalten.

-Alice
Die Tränen rinnen mir übers Gesicht. Ich kann meine Gefühle kaum in Worte fassen. "Henning, das ist.." Ich falle in seine Arme und lege meinen Kopf an seine Brust, während ich mich wie ein Affe an ihn klammere. Überwältigt von der Kraft der Umarmung fallen wir zurück auf unsere Decke. Großes Gelächter schallt durch den Wald, während einige Vögel in ihre Bäume flüchten. "Ich weiß gar nicht, wie ich dir dafür danken soll. Das kann ich gar nicht. Du machst mich so glücklich!" Ich schiebe meine Hände unter sein Shirt und verteile Küsse in seinem Gesicht. "So oft kann man gar nicht 》Ich liebe dich《 sagen, um das wieder auszugleichen!" Eine meiner Freudentränen zerspringt auf seiner Wange. Etwa eine halbe Stunde liegen wir uns grinsend in den Armen. Eine Liebeserklärung folgt der nächsten. Fast hätten wir das Wichtigste vergessen. Ich drehe mich mit dem Rücken zu ihm, Henning schiebt meine Haare beiseite und legt mir die Kette um. "Ich werde diese Kette nie wieder abnehmen!", sage ich und drehe mich wieder zu ihm, um ihn zu küssen. Die Decke wird zusammengerollt, in den Korb gedrückt und wir schlendern denselben Weg zurück, den wir heute Morgen genommen haben. Immer wieder zucken unsere Mundwinkel. Das Lächeln wird größer und größer und wird unter dem Shirt versteckt. Du machst mich zum glücklichsten Menschen der Welt.

-Henning
Du machst mich zum glücklichsten Menschen der Welt.
,,Ich liebe dich so sehr.", flüstere ich und schlinge einen Arm um ihre Taille, während der andere den Korb hält. Sie genießt das umschlungene Laufen. Ihr Lächeln wächst und wächst.
,,Du... Du... Wie-"
Ich unterbreche sie: ,,Du musst deine Gefühle nicht in Worte fassen, Prinzessin. Deine Küsse und deine Freudentränen verraten mir genug." Sie gibt mir erleichtert einen weiteren Kuss auf die Wange und streichelt kurz über meine Unterlippe. Ich grinse vor mich hin. Wir erreichen ihr Haus und sie dreht sich mit vor Kummer verzerrtem Gesicht zu mir um.
,,Nochmal danke. Ich kann mich gar nicht genug bedanken.", flüstert sie und hält den kleinen, silbernen Löwen umklammert. ,,Wir schreiben sicher nochmal bis nächsten Freitag wegen der Zeiten und Informationen und so weiter. Aber, ob wir uns nochmal sehen, weiß ich nicht. Wir werden sicher viel proben müssen, tut mir leid." Sie nickt, wohl wissend wie viel Planung und Übung so ein Auftritt kostet.

-Alice
Glücklich stampfe ich die Treppen hoch und öffne die Tür. Meine Eltern bereiten gerade Essen vor und blicken beide aus dem Türrahmen hervor. "Hallo! Wie war's?" rufen beide. Ich betrete grinsend die Küche.
"Es war... großartig! Wunderschön! Fantastisch! Mir fallen nicht genug Worte ein, um diesen Tag zu beschreiben!" Ich tänzle durch die Küche und zeige Mama die Kette, die er mir geschenkt hat.
"Das freut mich!", entgegnet mir Mama und beobachtet, wie ich grinsend vor dem Fenster stehe, angelehnt an der Fensterbank.
"Essen ist gleich fertig. Du kannst ja schon mal den Tisch decken.", ruft Mama mir zu. Als ich an Papa vorbeilaufe, um die Teller aus dem Schrank zu holen, kommt auch er endlich zu Wort: "Ich hoffe doch, ihr habt verhütet!" Er grinst und ich stippe ihm beiläufig in die Rippen. "Man Papa! Wir waren picknicken. Mehr nicht." Gelächter bricht in der Küche aus, Emma folgt diesem und setzt sich an den Küchentisch. Ein gutes Essen und endlich wieder ein paar schöne Gespräche später, gehe ich in mein Zimmer, lege Musik auf und beobachte die Wolken, die an meinem Fenster vorbeiziehen. Wie heute morgen.

***

-Henning
~ Abreisetag, Freitag ~
Ich kann vor Aufregung nicht still stehen. Mein Blick fliegt immer wieder zur Uhr. Noch eine Stunde, dann fahren wir los. Es ist 14 Uhr am Nachmittag, wir wollen uns mit Alice und ihrer Familie auf dem Parkplatz bei dem Supermarkt in der Nähe treffen und von dort aus mit unserem alten roten VW-Bus nach Berlin tuckern. Unsere Koffer stehen fertig gepackt im Flur, Chrissis Gitarre und Sevis Schlagzeug werden gerade noch von den beiden eingeladen. Ich soll mit so vielen Koffern wie möglich hinterher kommen. Es wird großartig werden! Vor allem mit Alice. Ich habe schon den ganzen Morgen lang mit Alice über unsere Abfahrt, das Packen und die Aufregung von uns und unseren Mitfahrern geschrieben. Inzwischen antwortet sie nicht mehr, wahrscheinlich ist bei ihr Zuhause zu viel Trubel mit vier Personen. Ich schnappe mir endlich zwei Koffer und ziehe sie grinsend über den Asphalt bis zum Parkplatz. Die Jungs nicken mir zu und laden ein. Ich drehe mich um, um den letzten Koffer zu holen und abzuschließen. Wir sind viiieel zu früh.

-Alice
Bei uns zu Hause ist die Hölle los. Alle springen von links nach rechts und schwingen Koffer durch den Flur. "Warum habt ihr so viel eingepackt? Wir sind nicht wochenlang weg!", schreie ich aus meinem Zimmer, in dem ich gerade noch die wichtigsten Sachen in die vordere Tasche meines Koffers quetsche. Du hast genauso viel eingepackt, Alice. Papa trommelt währenddessen an der Badezimmertür.
"LOS EMMA! DU BIST NICHT DIE EINZIGE, DIE NOCH DUSCHEN MUSS!" Um ein wenig Ruhe im Trubel zu erhaschen, gehe ich zu Mama, die gerade Essen für alle einpackt. Mama ist seit zwei Stunden fertig, hat ihren Koffer bereits vor zwei Tagen gepackt und den Rest vorbereitet. Sie ist definitiv der Ruhepol unserer Familie. Um uns herum öffnen sich Türen und fallen im selben Moment wieder zu. "Ich hoffe, wir kommen nicht zu spät.", entgegne ich, während ich Mama beim Esseneinpacken helfe. "Ich freu mich wahnsinnig auf die Tage mit den Jungs! ..mit euch natürlich auch." Ich grinse und werfe alles in eine große Brotdose. Etwa 20 Minuten später kehrt zu Hause die Ruhe ein. Wir haben es gerade noch pünktlich geschafft. Emma und Papa sind jetzt schon völlig fertig, obwohl der eigentliche Stress noch nicht angefangen hat. Wir rollen mit unseren Koffern rüber zum Parkplatz des Supermarktes. Henning winkt mir zu und ich lege deutlich an Tempo zu, um als Erste bei ihm zu sein.

Das Porzellanmädchen [✔]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt