All die Jahre, in denen die Wahrheit mit schönen, grausamen Lügen überdeckt wurde, weiteten sich die Krallen, getränkt in blauem Blut, immer weiter über das Land aus, bis es die Grenzen überschritt und die Angst und der Tod über die Städte lauerten. All diese Jahre war er allein mit seinen revolutionären Gedanken, versunken in Hass und Mordlust mit gefesselten Händen und den Kopf schon halb in der Schlinge.
Und jetzt kam ein einfacher Junge zu ihm und bot ihm ein Pakt an, der dem König sein Tod bedeuten sollte.
All diese Jahre war sein einziger Wunsch, dass ihm jemand zur Seite stand, sodass er sein Volk retten konnte. Sie alle dachten, dass er es nicht ernst meinte, es nur ein Aufspielen war von einem Soldaten, der nicht genug Gold sehen konnte, doch sie irrten sich.
Sie würden sich alle irren.
Deswegen erforderte es keine lange Zeit, um das Angebot zu überdenken. Er schlug sofort ein. Wie schwer konnte es schon werden, zwei Männer aus der Todeszelle zu befreien? Um den König machte er sich weniger Sorgen.
Es war schon nach Mitternacht, als er das Schloss umdrehte und in sein neues Zimmer ging. So leise wie möglich schloss er die Tür wieder hinter sich und tastete in der stockdunklen Nacht nach seinem Bett.
Er hörte immer noch das Blut in seinen Ohren rauschen und wie das Adrenalin in sein Herz pumpte. Seine Sinne waren viel zu geschärft, um jetzt zu schlafen, aber er wollte morgen ausgeschlafen sein. Morgen würde die Monarchie fallen.
„Wenn das jetzt jede Nacht so geht, dann kann ich mich für die Nachtschicht eintragen lassen", erklang eine verschlafenen Stimme aus dem Dunkeln. Weylin bekam fast einen Herzstillstand.
„Du bist wach." Er drehte den Kopf zu Cainen, dessen Lage er nur vom Hören ausmachen konnte.
„Dank dir."
„Tut mir leid. Ich versuche leiser zu sein."
„Das ist es ja", sagte Cainen und Rascheln ertönte, als er sich aufrichtete. „Du bist so leise, dass man dich kaum hört, aber genau in der Still e lauern die Feinde."
„Ich bin nicht dein Feind, Mann."
Weylin lachte leise in sich hinein, während er seine Stiefel abstreifte und sie gegen die Wand schob. Das Bett quietschte leise unter seinem Gewicht und der intensive Kiefergeruch stieg ihm in die Nase, als er die Bettdecke zurechtrückte.
„Dann musst du dich wohl für ein Einzelzimmer eintragen lassen oder für die Nachtschicht. Ich würde ersteres wählen. Die Nachtschicht ist langweilig", setzte Weylin hinzu und drehte sich auf den Rücken, eine Hand unter dem Kopf.
„Genau und mich von meinem Oberhaupt anschnauzen lassen, ob ich irgendein besonderes Privileg hätte oder kontaktängstlich wäre. Im Krieg würde ich nicht wagen zu fragen", ahmte er seinen Vorgesetzten nach, dessen harsche Stimme auch einmal Weylin in den Wahnsinn getrieben hatte.
„Eher würde er dich fassungslos fragen, welche Memme du geworden bist und gefälligst aufhören sollst zu jammern wie ein Neugeborenes."
Er lachte. Bei den neun Göttern, wie froh war er, nicht mehr diesem Biest unterstellt zu sein.
„Wir reden vom gleichen, richtig?"
„Charolais."
„Verdammt richtig."
„Da musst du durch. Ich kann mich noch erinnern, wie er uns einmal in eine der kältesten Nächte, an die ich mich erinnere, nach draußen geschickt hat und uns ohne Pferde sechs Stunden hat wandern lassen. Währenddessen saß er daheim und stopfte sich das Maul. Stinkt er immer noch nach faulem Fisch?"
Bei der Erinnerung an den scharfen Gestank verzog er im Dunklen das Gesicht.
„Ich glaube faule Eier treffen die Würze aus seinem Mund eher", hörte er Cainen sich ekeln.
Leise lachte er sich in sich hinein, worauf auch Cainen einstimmte.
„Wechsle so schnell wie möglich zur Armee. Die Leute sind da um einiges besser drauf", riet Weylin ihm.
„Ja, wenn ich es könnte."
„Wie lange hast du noch im Schloss?"
„Darum geht es nicht", warf Cainen ein, die Stimme eigenartig bedrückt.
„Die Gesetze wurden anscheinend geändert. Nur der König kann einen von nun an in die Armee schicken. Ohne seinen Segen bleibt man Palastsoldat."
„Das ist doch Schwachsinn!", schimpfte er.
„Zu meiner Zeit entschied noch Charolais und der hat mich in Rekordzeit an Declan abgegeben."
„Das glaub' ich dir aufs Wort. Er hat dich und deinen Freund Kenric nicht vergessen."
Jetzt war wieder Leben in seiner Stimme.
„Ja, er hatte es nicht leicht mit uns. Er hat drei Kreuze gemacht, als wir ihm das Wappen reichten."
Mit einem fetten Grinsen schwelgte er in den alten Zeiten zurück, in denen Kenric und er den vollbärtigen Charolais zur Weißglut brachten, weil sie wieder irgendwelche Streiche gespielt hatten. Er wollte diese Tage nicht missen.
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Nine Crowns
FantasíaFrost and Darkness In einem Land, das nur den Schnee und die eisige Kälte kennt, spielt ein junger Soldat mit dem Tod. Ein verherrender Krieg liegt hinter den neun Königreichen und ein Schlimmerer wird noch folgen. Weylin wird dazu auserwählt, den K...