Kapitel 25

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Schon als kleines Kind wurde ihm eingeredet, dass Wut nur eine Illusion von viel tieferen Gefühlen war. Sie überdeckte die Angst, den Schmerz und die Wahrheit.

Es war kein Zufall, dass sie so reagierte. Ihr Land betrieb erfolgreich den Sklavenhandel und hatte die Grenzen der Armut schon längst gesprengt. Wie sie einsam mit zwei ihrer Freunde durch endlose Weiten ritten, ohne jegliches Ziel vor Augen, war sie entweder eine Waise und hatte keine Familie mehr – denn die Zwillinge sahen ihr offensichtlich nicht ähnlich, oder sie war verstoßen worden, weggelaufen von ihrer alten Familie, was sie am Ende zur gleichen Waise machen würde.

Ihr Leben spendete ihr keinen Trost und sein Zorn schlug Nerven an ihr an, bei denen sie sich nur durch Wut zu verteidigen wusste.

Das Grün ihrer Augen wurde wässriger, bis es fast von dem Braun verschluckt wurde.

Ihre Gefährten blieben unerwartet stehen und auch Kenric schob den Kopf neugierig nach vorne.

Das Mädchen lenkte ihr Pferd schräg und zog an den Zügeln seines weißen Hengstes. Es schnaubte während es unerwartet einen Schritt nach vorne stolperte.

Blitzschnell zog sie ein Messer aus ihren Stiefeln und beugte sich hinüber. Mit einer flinken Bewegung schlitzte sie das Seil an seinen Handgelenken durch. Ein kleines Rinnsal warmen Blutes tropfte auf den Sattel, als er die rauen Abdrücke, die der Strick hinterlassen hatte, rieb.

„Ich hätte das Recht, Euch zu töten. Ihr habt keinen Anspruch auf Gnade in diesem Land. Ihr habt gegen das Gesetz verstoßen und habt ohne königliche Erlaubnis die Grenzen übergangen. Wegen solch einer Geste wurden bereits Kriege ausgelöst", fauchte sie und lenkte ihr Pferd neben seins.

„Verschwindet aus meinem Land, kehrt zurück, wo ihr hergekommen seid und wagt es nicht noch einmal, die Grenzen zu überschreiten."

Die Stimmung vor wenigen Minuten, in der sie ihn ausgelacht hatte, war vollkommen verschwunden. Jetzt standen sich Wut und Hass auf dem Schlachtfeld gegenüber.

„Wir können nicht zurück", erwiderte Kenric und sah der Frau ins Gesicht.

„Wieso nicht?"

„Kenric", warnte Weylin mit zusammengenkiffen Zähnen.

„Sei still", fuhr er ihn an. „König Kaius plant, sich mit Verendus zu verbünden. König Lorcan war bereits in der Palaststadt. Ich würde meine Hand ins Feuer legen, dass Lorcan das Ende des letzten Krieges umschreiben will. Verendus kann mit seiner Gabe den Tod zu bringen, jedes Land dem Untergang weihen. Und die Angst war noch nie auf der Seite der Guten."

Das Mädchen wurde leicht unruhig, sie sah so aus, als wüsste sie nicht ganz, ob sie ihm glauben sollte.

„Seid ihr deshalb geflohen?", fragte der Zwillingsbruder und Kenric nickte. Es war die halbe Wahrheit. Aber Fremden erzählte man nicht die Wahrheit.

„Was erhofft ihr euch von den anderen Ländern? Wo wollt ihr Unterstützung suchen? Ich nehme an, dass ihr nicht von einem Krieg davonlauft", schätzte seine Schwester und ihre Augen durchbohrten sie wie ein Adler, der auf der Suche nach einem hilflosen Wesen für sein Fressen war.

„Nein, das tun wir nie", erwiderte Weylin. „In Plúirín hoffen wir auf Unterstützung."

„Und dann? Habt ihr vor ein ganzes Land zu überrennen mit ein paar Giftpfeilen?", fragte sie ungläubig. Die Soldatenlady schüttelte fassungslos den Kopf.

„Ein Krieg ist immer schwer zu gewinnen. Was zählt ist nicht die Kraft, sondern der Wille. Und Plúirín ist zäh."

„Mit Kindern kann man keinen Krieg gewinnen. Man braucht Soldaten." Ihre Augen durchbohrten ihn wie ein scharfes Messer. Ihre Haltung war zornig und stolz, und er war sich sicher, dass dieses Mädchen eine gute Königin für dieses Land gewesen wäre.

Es schien sie allerdings nicht im Geringsten zu beunruhigen, dass Verendus wieder an die Macht kam. Sie würden es erst verstehen, wenn die ersten schwarzen Wolken über das Land niederregneten.

Sie lenkte ihr Pferd an ihm vorbei, gab dem Zwilling ein Zeichen und übergab ihnen Kenrics Pferd.

Ihre Augen hatten wieder einen Grünton angenommen und ausgebleichte Strähnen bewegten sich im Wind, als sie sich leicht zu ihm beugte. Kalte Züge, aber wer war er, wenn er einem Mädchen aus dem Tal des Feuers als kalt bezeichnen würde?

„Befreit Euer Land von der Angst, Krieger. Aber schert keine in meinem." Mit diesen Worten galoppierte sie davon. Die Zwillinge wie zwei Flügel hinter ihr, bis man vor lauter Staub die gleißende Hitze ihrer Präsenz nicht mehr spüren konnte. 

Nine CrownsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt