Die Nacht brach über ihn herein, der Wald zirpte und raschelte von Tieren, die in dem Schutz der Dunkelheit nach Beute suchten. Der Mond beleuchtete den Fluss und tauchte ihn in flüssiges Silber. Noch immer war er gefangen in einem hohen Saal, die Tür war weit offen, doch so sehr er sich auch anstrengte das stumpfe Gold nahm keine Gestalt an.
Durch einen harten Stoß gegen sein Schienbein riss er sich aus dem Schlaf und durchsuchte die Dunkelheit nach seinem Angreifer. Kampfbereit tastete er nach seinem Schwert und wollte es gerade ziehen, als er mitten in der Bewegung innehielt.
Vor ihm kniete Kenric, der seinen Mantel vom Kopf schob und ihn ansah. Seine Augen sahen in dem Mondlicht fast schwarz aus.
„Was bei den Neun Göttern fällt dir ein, ein Nickerchen in Nefarious zu machen?"
Weylin stockte der Atem. So erleichtert, wie er auch war, keinen Feind im Nachteil gewesen zu sein, so war er doch wie gelähmt. Es waren mit Sicherheit mehrere Wochen vergangen, seit Kenric sich dazu entschieden hatte, nicht mit ihm zu gehen, und doch stand er hier. Und wie es aussah war seine Wut noch immer nicht verraucht.
„Was tust du denn hier?", fragte er und rappelte sich auf.
„Eigentlich wollte ich mir Trüffel und frische rote Beete holen, um den Winter gut zu überstehen, aber da habe ich dich da so liegen so sehen und dachte, ich schau' mal vorbei."
Als Weylins verwirrter Gesichtsausdruck etwas entgeistert wurde, stöhnte Kenric frustriert auf und fuhr ihn an: „Na, was mach ich wohl. Ich rette dir deinen Arsch. Du meinst doch wohl nicht im Ernst, dass du hier alleine überlebst. Ich komme mit dir, egal, welche unberechenbaren Ideen du auch hast."
„Ich komme schon klar. Ich brauche niemanden, der mir auf Schritt und Tritt sagt, welche Entscheidungen mir am Ende den Kopf kosten werden", knurrte Weylin und drängte sich an ihm vorbei.
Kenrics Pferd trank gierig aus dem Fluss. Kenric lief ihm nach und zog ihn an der Schulter zurück.
„Verdammt, Weylin. Du kannst doch von mir nicht erwarten, dass ich meinen besten Freund einfach erlaube, sich in den Tod zu stürzen!"
Er warf hysterisch die Arme in die Luft.
„Du hättest mir glauben müssen, Kenric!", brüllte er zurück.
„Was? Dass du mein König bist? Ich kann es noch immer nicht glauben. Es ist für mich unvorstellbar, dass der König mein bester Freund, - mein Bruder - ist, vor dem ich eigentlich schon mein ganzes Leben lang vor die Knie hätte fallen müssen? Kannst du dich auch nur im Geringsten vorstellen, was das für ein Schock für mich gewesen sein muss?"
Weylin rieb sich verzweifelt die Stirn. „Ich hätte nie gewollt, dass du vor mir auf die Knie gefallen wärst", betonte er.
„Wenn die Menschheit es herausfindet, dann wird es wohl oder übel so sein. Auch Hedda wird sich vor dir verbeugen."
Ruckartig hob er den Kopf. „Du hast Hedda gesehen? Geht es ihr gut? Hat sie überlebt?", bedrängte er Kenric mit Fragen und klammerte sich an seine Schultern.
„Beruhige dich. Deiner Schwester geht es gut und auch deiner Mutter. Ich bin ihnen auf dem Weg zurück in die Palaststadt begegnet. Anscheinend wurde Blyanna bereits vor dem Ausbruch gewarnt und sie alle sind aus der Stadt geflohen. Warrick hat sie zu seinen Eltern nach Eutony gebracht. Von da an bin ich dir gefolgt", schilderte er die Geschehnisse und Weylin fiel ein Stein vom Herzen.
Seiner Schwester ging es gut.
Für einen kurzen Moment schloss er die Augen und stieß die angehaltene Luft aus seinen Lungen. Er ließ die Arme sinken und fuhr sich durchs Haar, das von seinem Schlaf ganz zottelig war.
„Hast du es ihnen erzählt?", fragte Weylin leise.
„Nein, das überlasse ich dir. Aber wenn es Kaius weiß, dann wusste es deine Mutter dein ganzes Leben schon", schlussfolgerte Kenric und ging zu seinem Pferd, das jetzt Sattel und dazugehörige Taschen an sich trug. Ein reifer Apfel erschien in seinen Händen, den er Weylin zuwarf.
„Iss."
„Ich kann mir selbst etwas jagen", beharrte er und zeigte auf Pfeil und Bogen, die am Baum lehnten.
„Einen Apfel zu jagen geht auch schlecht. Nimm ihn einfach und lass es gut sein. Ich habe keine Nerven mehr mit dir zu streiten." Kenric fuhr sich genervt durchs Haar und zurrte seinen Sattel fest.
„Ich habe nicht angefangen zu streiten. Du warst es, der aus der Haut gefahren ist."
„Ich war es?", höhnte Kenric. „Wie mir schien, warst du zu geblendet von einer neuen Welt, dass du die Gefahren nicht erkannt hast. Und wo stehen wir nun? In mitten eines Landes, das bereits Jahrzehnte vor dem Großen Krieg einer unsere ärgsten Feinde war."
Weylin lachte, doch es klang keine Freude mit. „Du bist so ein Heuchler. Ich wundere mich eigentlich, wieso du mir gefolgt bist, wenn du doch sowieso hinter dem König stehst."
„Es reicht mir bald, Weylin. Ich bin unzählige Tagesmärsche hinter dir her geritten, habe durch Schneestürme hinweg deine Familie gesucht, musste auf Bäumen schlafen, weil mich jeder verdammte Soldat gesucht hat und finde dich dann endlich, nur um mir anhören zu dürfen, dass ich den König meinem Bruder vorziehe, der wohlbemerkt gewissermaßen der rechtmäßige König ist. Also ja, Weylin", keuchte er und seine Stimme zitterte. „Wenn ich sage, dass ich hinter meinem König stehe, dann ist das absolut richtig."
Tausend Worte wären nicht genug gewesen, um die Freundschaft zwischen ihnen auch nur ansatzweise beschreiben zu können.
Mit einem festen Ruck zog er Kenric an seine Brust und hielt ihn fest.
Er wusste, dass er keinen Fehler begangen hatte, als er Kenric als seinen Freund erwählt hatte.
Langsam stieß Kenric die Luft aus, bis er sich gefasst hatte und eigens einen Arm um ihn schlug.
Weylin roch seinen vertrauten Geruch nach einem Hauch Zitrone und Eisen, den er aus der Schmiede seines Vaters hatte und schloss die Augen.
„Ich bin so froh, dass ich dich jetzt nicht mehr als einen Idioten ansehen muss", murmelte Weylin und er spürte das Grinsen, das sich auf Kenrics Lippen bildete.
Kenric löste sich von ihm und schlug ihm einmal gegen den Arm. „Wir sollten schauen, dass wir aus diesem trockenen Land kommen."
„Dir ist schon klar, dass unser Land die trockenste Wüste hat?"
„Das war eine Metapher, Weylin." Er schüttelte den Kopf und war gerade dabei sich umzudrehen, als ein Pfeil haarknapp an seinem Gesicht vorbeiflog.
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Nine Crowns
FantasyFrost and Darkness In einem Land, das nur den Schnee und die eisige Kälte kennt, spielt ein junger Soldat mit dem Tod. Ein verherrender Krieg liegt hinter den neun Königreichen und ein Schlimmerer wird noch folgen. Weylin wird dazu auserwählt, den K...