Kapitel 8

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Die beiden Schwestern warteten auf ihn, wie sie es versprochen hatten. Sie sprachen kein Wort, sondern schritten mit erhobenem Kopf durch die Gänge, so nahe, dass sich ihre Arme berührten.

Er trug seine leichte Lederkluft mit dem Waffengürtel, der ihn durch sein komplettes Soldatenleben durchgebracht hatte.

Ein Schwert prallte bei jedem Schritt gegen sein linkes Bein und der Dolch und das Messer hingen auf seiner rechten Seite. Weitere kleinere Waffen versteckten sich in seiner Lederkluft. Er hatte noch keine Vorstellung, in welcher Hinsicht er sich kleiden musste, doch für jetzt erschien ihm das als die richtige Wahl. Er war gespannt auf den erwarteten Gast, der in Kürze eintreffen musste, wenn er nicht schon hier war. Locker ließ er seine Hand auf dem Griff des Schwertes ruhen und fuhr sich mit der anderen durch das gerade erst gekämmte Haar.

Er hatte seine eiserne Maske aufgesetzt. Undurchdringlich und emotionslos. So kalt wie das Eis, das sich den vertrauten Weg durch seine Venen bannte, bereit zuzuschlagen.
Erinnerungen schossen durch seinen Kopf, als sie vor der schweren Türe des Brontide stehen blieben. Die Könige vor ihm, Albert und Roland, wie sie am Ende einer glänzenden schwarzen Tafel saßen, rings um ihnen herum, die Könige und Königinnen der anderen Länder.

Weiße, Braune, Blonde, schwarze Haare. Diamanten und andere Juwelen um den Hals, die ganze Farbpalette an edelster Kleidung, Kronen so hell und prachtvoll wie die Sterne in den Augen, die voller Entschlossenheit strahlten.

Verträge, die abgeschlossen wurden, Hände, die geschüttelt wurden. Die Macht der Herrscher, die die Luft zum knistern brachte und schwer im Raum lag.

So viele Erinnerungen brachen auf ihn ein, wie ein reißender Damm. Die mächtigsten Herrscher in einem Raum und der mächtigste von ihnen kam aus Elysian.

Weylin stand dort ebenfalls im Raum, abseits von dem Tisch, mit vor stolz ragender Brust, als Roland den anderen Ländern vorschlug Frieden zu schließen. Dieser hielt allerdings so lange, bis das Dunkle wieder alle Sinne überrannte.

Das war auch der Grund, wieso er erst so spät wieder heimkehrte. Nach dieser Versammlung begann die zweite Hälfte des Krieges, mit allen Schrecken und Kräften der Länder.

Azure öffnete mit beiden Händen die Tür. Die Höhle des Löwen war offen. Er streckte seinen Rücken durch, reckte das Kinn und ging hinein. Die beiden Mädchen schoben die beiden Flügeltüren zu und verschwanden.

Brontide stand im starken Kontrast zum Thronsaal. Pechschwarz säumte die Wände und Möbel. Ein dunkler, runder Tisch nahm den größten Platz des Saals ein, dessen Stühle alle die gleiche Größe hatten, sodass keiner der königlichen Besucher sich in seiner Position benachteiligt fühlte. Kleine Lichter in Glas standen auf dem Tisch, dessen matter Glanz durch sie umso stärker reflektiert wurde. Etwas hatte dieser Raum mit dem Thronsaal dennoch gemeinsam. Und zwar das Eis, das sich in silbernen Fäden durch Wände und Möbel zog, bis es schließlich in einem gigantischen Kronleuchter mündete, dessen Ausläufer die gesamte Decke beanspruchte. Es bestand kein Zweifel, dass dieser Raum pure Macht auszeichnete. Nicht umsonst stand Elysian als das Land der atemberaubenden Schönheit und Präzision, wenn ein einzelner Raum den Gegner aus der Fassung bringen konnte.

Die Lichter der Stadt wurden von schweren tintenschwarzen Vorhängen gedämpft, doch der Kronleuchter strahlte so hell, dass sich kein Schatten bilden konnte.

Der König von Elysian betrachtete die schlafende Stadt mit verschlossener Miene. Seine Haltung war angespannt. Er trug seine Rüstung, die Weylin an ihm noch nie gesehen hatte. Das breite Wappen auf seiner Brust war gut zu erkennen. Er blieb seitlich des Tisches stehen, genügend Abstand zum König. Der Gast war nirgends zu sehen. Eine lange Zeit verging, in der keiner von beiden sprach. Er sah es nicht in seiner Aufgabe ihn zu grüßen.

Er war sein Leibwächter und er musste ihn nur beschützen. Weylin sah sich um und sein Blick blieb an dem leeren Stuhl hängen, auf dem einst ein brillanter König versucht hatte, sein Land zu retten. Und kläglicher Weise gescheitert war.

Als er gerade den König in seiner Tagträumerei unterbrechen wollte, drehte er sich plötzlich um und ging an den vordersten Stuhl am Kopfende des Tisches, wo einst sein Vater, König Albert, gesessen hatte und legte die Hände auf die Lehne.

Seine Miene zeigte keine Regung und zum ersten Mal sah Weylin den König in ihm. Die weiße Krone leuchtete im Schein des Kronleuchters und der schwarze Umhang auf seinen Schultern berührte den sauberen Boden. Seine Augen waren auf die Tür gerichtet und automatisch beschleunigte sich das Eis in Weylins Blut.

Es war so weit.

Das erste, was er hörte waren schwere, träge Fußschritte, die einen so genüsslichen Takt hatten, dass es Weylin innerlich vor Ungeduld zerriss.

Bis die Flügeltüren endlich aufgingen.

Das zweite was er hörte war die plötzliche Stille. Und zwar Totenstille. Nicht einmal das ferne Hufklappern der Pferde oder das Aufräumen der Stände war noch zu hören.

Sein eigenes Blut rauschte in seinen Ohren und voller Entsetzten nahm er den Fremden wahr, dessen Gestalt nun im Rahmen erschien. Dunkelheit breitete sich im Raum aus wie ein Lauffeuer. Finsternis so stark ausgeprägt, wie Aschewolken strömten an den Wänden entlang, hoch hinauf bis zur Decke und nahmen den gesamten Platz ein. Kalter Schweiß rann ihm den Nacken herunter und seine Hände waren von einer harten Eisschicht überdeckt.

Sein erster Instinkt wäre gewesen, den Fremden sofort niederzustechen. Und das hätte er auch getan, wenn der König nicht das Wort übernommen hätte.

„Es freut mich, dass Ihr es einrichten konntet, den langen Weg auf Euch zu nehmen, um heute hier zu sein."

Seine Stimme war aalglatt und gab keine Reaktion preis. Weylin biss sich auf die Zunge, um nicht dazwischen zu gehen.

Hinter dem Fremden fiel die Tür mit einem lauten Knallen zu und gemächlich ging er bis zum Tisch. Das Lächeln, das er Kaius schenkte, glich dem eines Mörders, der dabei war einem Kind die Kehle aufzuschlitzen.

„Es ist mir immer eine Freude, dem Winter einen Besuch abzustatten. Die Stimmung ist immer herrlich."

Seine Stimme war weich, doch der Tod schwang in ihr. Er war gefährlich. Und diesem war er sich bewusst. Er machte keinen Hehl aus seiner Macht. Der Fremde demonstrierte sie ihnen in allen Details, und doch hielt er noch so vieles zurück.

Der Mann kam Weylin bekannt vor.

Grausame Bilder mischten sich mit Angst und Tod, die er am liebsten für immer vergessen hätte. Er war der Inbegriff der Angst. Er versprühte sie so wie Weylin das Eis beherrschte.

Es war seine Magie, die jedem Menschen den Tod brachte ohne ihn auch nur anfassen zu müssen. Sein Name war Lorcan Peutimors und war niemand anderes als der König von Verendus.

Und nun befand sich der Feind mitten im Herzen von Elysian. 

Nine CrownsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt