Wildblumen

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Am nächsten Tag verließ Albus dezent aufgeregt das Haus. Seinem Bruder hatte er keine Antwort auf die Frage wohin er denn gehen würde gegeben. Aberforth hatte ihn am gestrigen Abend noch ziemlich angemeckert, von wegen Albus würde sich nicht um Ariana kümmern. Aber konnte Albus seinem Bruder diese Aussage verübeln? Nein, das konnte er nicht. Denn er wusste, dass Aberforth Recht hatte.

Doch jetzt stand sein Treffen mit Gellert Grindelwald bevor. Er hatte extra eine kleine Tasche mitgenommen, in die er die Märchen von Beedle dem Barden mitführte. Nur für den Fall, dass er noch etwas nachlesen musste, bevor er sich mit Gellert darüber unterhielt. Vor dem Verlassen des Hauses, hatte Albus sich etwa zehn Mal umgezogen und mehrfach seine Haare von der einen Seite auf die andere geschoben, bis er sich dazu entschlossen hatte, Gellert einfach so gegenüber zu treten, wie er ihn kennengelernt hatte. Also trug er nun ein frisches, weißes Hemd mit seiner dunkelblauen Weste darüber und dazu seine braune Hose aus Stoff. Auch seine Haare trug er wie immer. Er wollte nicht, dass Gellert dachte, er hätte sich extra seinetwegen schicker gemacht als sonst. Und Albus erwischte sich bei dem Gedanken, überhaupt darüber nachzudenken, wie Gellert sein Aussehen fand. Wieso war es ihm so wichtig, was der junge Mann von ihm dachte? Und wieso spukte er seit letztem Nachmittag andauernd in Albus' Kopf herum?

"Hey, sind wir etwa noch nicht ausgeschlafen?"

Eine amüsierte Stimme riss Albus aus seinen Gedanken und er hob den Kopf. Er hatte nicht einmal wahrgenommen, dass er bereits vor Bathilda Bagshots Haustür stand, so sehr war er in seinen Gedanken versunken gewesen. Und die Stimme kam selbstverständlich von Gellert, welcher ihn ein wenig angrinste.

"Doch, doch!", sagte Albus schnell. "Guten Morgen." Er lächelte Gellert an und als er in die strahlenden Augen seines Gegenübers blickte, fühlte er sich wohl, war aber gleichzeitig ziemlich aufgeregt. Seine Augen strahlten eine solche Ruhe, aber auf der anderen Seite auch einen Hauch von Gefahr aus. Und genau das zog Albus magisch an.

"Wollen wir los? Oder willst du eine erneute Teerunde mit meiner Tante abhalten? Falls letzteres der Fall sein sollte, solltest du wissen, dass ich all deine Kesselkuchen von gestern aufgegessen habe. Also wenn du auf Reste gehofft hattest... die gibt es nicht." Gellerts Grinsen wurde breiter und er betrachtete Albus.

Albus lachte. Und ihm fiel auf, dass Gellert seit dem Tod seiner Mutter der einzige war, der es geschafft hatte ihn zum lachen zu bringen. Das rechnete er ihm hoch an. "Lass uns gehen", sagte er dann grinsend und die beiden jungen Zauberer machten sich auf den Weg.

Albus zeigte Gellert das gesamte Dorf und erzählte hier und da wissenswertes über die Nachbarschaft, oder ehemalige Bewohner, die nun in der Zaubererwelt bekannt und angesehen waren. Die beiden liefen durch die Dorfmitte, wo Albus Gellert ein beliebtes Pub, sowie die Bäckerei und die Bibliothek zeigte. Beim Stichwort Bibliothek begannen die beiden über Bücher zu reden. Albus stellte fest, dass Gellert ebenso clever, belesen und intelligent war, wie er selbst. Und nicht nur das. Denn dadurch, dass die beiden sich die ganze Zeit unterhielten und tatsächlich viele Gesprächsthemen hatten, fühlte Albus, wie diese Verbindung zwischen ihm und Gellert immer stärker wurde. Albus fühlte sich wohl, er hatte gute Laune. Es tat ihm gut seine Zeit mit Gellert zu verbringen.

Nach einer Weile kamen sie dann an der Kirche des Dorfes vorbei, vor welcher sie eine Weile stehen blieben.

"Ein schönes Gebäude", sagte Gellert.

"Ja, mir gefällt die Architektur sehr. Diese Kirche ist schon über fünfhundert Jahre alt. Der Architekt ist in Godric's Hollow aufgewachsen. Nachdem die Kirche gebaut war, bekam er ziemlich viele Aufträge und ist sogar relativ bekannt geworden", erklärte Albus und bemerkte dann, dass Gellert mittlerweile gar nicht mehr die Kirche betrachtete, sondern irgendwie an dieser vorbei sah. "Was ist?", fragte Albus.

"Ist das da der Friedhof?", wollte Gellert wissen und nickte mit dem Kopf in die Richtung, in die er sah.

"Ja", antwortete Albus. "Wieso?"

"Ich... muss ein Grab suchen."

Albus zog forschend die Augenbrauen zusammen. Sollte er Gellert fragen, wessen Grab er suchte und wieso? Oder war das zu persönlich? Schließlich wollte er ihn nicht in Verlegenheit bringen, eine unangenehme Stimmung auslösen oder ihn traurig oder wütend machen. "In Ordnung", sagte er also und begleitete ihn auf den Friedhof.

Albus sah sich um, während Gellert bereits suchend durch die Reihen an Gräbern schritt. Albus dachte darüber nach zum Grab seiner Mutter zu gehen. Das wäre das erste Mal seit ihrer Beerdigung. Albus hatte es seitdem so gut es ging vermieden an seine Mutter zu denken. Doch jetzt konnte er nicht anders. Sie fehlte ihm, er vermisste sie. Kendra Dumbledore war ihm immer eine der wichtigsten Personen gewesen. Albus hatte sie immer stolz machen wollen. Er hatte sie sehr geliebt und ihr plötzlicher Tod hatte ihm den Boden unter den Füßen weggerissen. Ihr Tod, für den ausgerechnet seine eigene Schwester verantwortlich gewesen war. In Albus' Augen stauten sich Tränen an. Seit er vom Tod seiner Mutter erfahren hatte, hatte er nicht geweint. Doch jetzt schien alles, was sich angestaut hatte, wieder hoch zu kommen. Dabei war Albus so stark gewesen. Und er konnte nicht anders. Er machte sich auf den Weg zum Grab seiner Mutter und kniete sich davor.

Ihr Grab sah einsam und trostlos aus. Die Blumen, die sie bei der Beerdigung dort gelassen hatten, waren schon verwelkt durch die Wärme des Sommers. Nur eine einzige Blume war noch frisch. Es war eine rote Rose. Und Albus schüttelte traurig lächelnd den Kopf. Hätte die Person seine Mum gekannt, hätte sie gewusst, dass Kendra Dumbledore Rosen langweilig und standardsgemäß fand. Sie hatte Wildblumen schon immer am liebsten gemocht; das wusste Albus ganz genau. Also holte er seinen Zauberstab hervor, entfernte mit einem Schwung die welken Blumen und ließ neue, frische und bunte Wildblumen über dem gesamten Grab erblühen. Es sah wunderschön aus. Albus' Mum hätte sich bestimmt sehr darüber gefreut. Und bei diesem Gedanken lief eine Träne aus Albus' Auge und kullerte über seine Wange.

"Kendra Dumbledore", las Gellerts Stimme leise vor, was auf dem Grabstein stand. Er stand ein Stück schräg hinter Albus. "Deine Mum?"

Albus schniefte, nickte und wischte sich die Träne weg. Dann erhob er sich und sah auf das Grab herab. Er schluckte. "Verzeih, aber es ist noch nicht lang her", sagte er leise.

"Schon in Ordnung", sagte Gellert beruhigend. "Schöne Blumen."

"Es sind Wildblumen, die mochte sie am liebsten."

Gellert holte nun auch seinen Zauberstab heraus, trat neben Albus und richtete ihn auf Kendras Grab. Dann zauberte er eine kleine Sonnenblume inmitten der vielen Wildblumen. "Mochte sie die auch?", fragte er und sah Albus von der Seite her an.

Den Blick immer noch auf das Grab gerichtet, lächelte Albus und nickte stumm.

"Damit für sie die Sonne scheint", flüsterte Gellert und legte beruhigend seine Hand auf Albus' Schulter.

Diese Berührung löste ein allgemeines Kribbeln in Albus' Körper aus, das eigentlich gar nicht zu dieser recht traurigen Situation passte. Doch es beruhigte ihn. Es ließ ihn spüren, dass es auch noch gutes in der Welt gab. Dinge, die ihn glücklich machen konnten. Er hob den Kopf und sah erst auf Gellerts Hand, dann in dessen Gesicht.
"Danke", sagte er bloß, obwohl er gerade in diesem Moment so viel mehr spürte. "Wir... können jetzt auch gehen. Hast du gefunden, was du gesucht hast?"

"Ja, komm mal mit", sagte Gellert und ließ von Albus' Schulter ab. "Das heißt, wenn du in Ordnung bist?"

Albus nickte. "Ja, es geht schon. Wie ich schon sagte, Ablenkung wird das beste für mich sein." Und damit Gellert seinen Worten auch wirklich glaubte, fügte er noch ein Lächeln hinzu.

"Na gut", sagte Gellert, zog kurz an Albus' Hemdärmel, um anzudeuten, dass er ihm folgen sollte und ging dann voraus.

Einen Moment lang stand Albus da und sah dem goldblonden Zauberer hinterher. Er war so freundlich zu ihm, so verständnisvoll. Albus hatte das Gefühl, er könnte Gellert alles anvertrauen. Er hatte das Gefühl, er würde ihn schon seit Ewigkeiten kennen. Und er war glücklich, dass er mit ihm hier war, dass er nicht alleine war.

Erised (Grindeldore FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt