97. Kapitel

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POV Luisa
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Ich schließe meine Wohnungstür auf. Mit jeder vergehenden Stunde lässt der wunderschöne Rausch der letzten Tage nach. Er verlässt schleichend meine Glieder. Was zurück bleibt, ist Leere. Unerträgliche Leere. Ich kann nichts dagegen tun, so sehr ich das Ganze auch nicht möchte. Ich versuche mich schmerzhaft an die letzten Wochen zu erinnern. An die schönen Festtage und den Jahreswechsel mit Frederik.
Die Zeit, in der es nur uns gab. Wir und das Gefühl, dass uns nichts erschüttern kann.

Leere. Meine Wohnung ist in eine unerträgliche Stille getaucht. Das Blut rauscht in meinen Ohren. Ich bekomme nur schwer Luft. Ächzend öffne ich die oberen Knöpfe meiner hellblauen Bluse. Schweißperlen bilden sich auf meiner Stirn. Ich stütze mich an der Wand.
Stolpere blind vor Tränen ins Badezimmer. Das kalte Wasser, das ich mir ins Gesicht spritze, erfrischt meine erhitzte Haut. Es fühlt sich so an, als ob sie für mein Inneres zu klein sei. Ich fühle mich eingeengt. Gefangen. Gefangen in meiner eigenen Haut. Mein Herz klopft aufgeregt gegen meine Brust. Mein Atem geht viel zu schnell.

Ich erinnere mich an die Sitzung vom Nachmittag. Sie werden es nicht vergessen können. Es wird sie ihr Leben lang begleiten.

Tränen der Verzweiflung und der Erschöpfung fließen über meine Wangen und hinterlassen ein brennendes Gefühl. Mein Spiegelbild ist ein Bild des Schreckens. Es verschwimmt hinter dem Tränenschleier. Der Kloß in meinem Hals wird mit jeder verstreichenden Sekunde unerträglicher. Ich kann meinen Anblick nicht mehr ertragen, meine verquollenen Augen erinnern mich an die Worte von Frau Bauer. Verzweiflung steigt meinen Rücken empor. Wie in Trance greifen meine Hände nach dem Spiegel und nehmen ihn von der Wand. Das Glas zerspringt, als der Spiegel auf die Fliesen trifft. Ein erstickter Schrei kommt aus meiner Kehle. Tränen tropfen von meinem Gesicht auf die Bluse und durchnässen den Stoff. Der Spiegel liegt zerbrochen vor meinen Füßen und mit ihm meine Kraft. Erschöpfung raubt mir meine letzte Kraft. Ich kann mich nicht mehr auf den Beinen halten, sinke in die Knie und falle zu Boden. Atemlos, schluchzend liege ich zitternd auf den kalten Fließen zwischen den Scherben. Noch immer spiegelt eine Scherbe mein Gesicht wieder. Fassungslos starre ich mich selbst an und kann nicht verstehen, wieso ich so lange daran geglaubt habe, dass ich meine Vergangenheit akzeptieren und damit leben könnte. Das ich mit Frederik eine Zukunft aufbauen könnte, ohne den Schmerz der Vergangenheit. Ich hole aus. Meine rechte Faust trifft. Die Scherbe zerspringt. Das Glas schneidet mir in den Unterarm. Blut läuft aus den feinen Schnitten und tropft auf die weißen Fließen. Rinnt langsam die Fugen entlang. Tränen mischen sich mit dem frischen Blut auf meinem Handgelenk. Ich schmecke den salzigen Geschmack meiner Tränen, rieche den eisigen Geruch des Blutes. Meine Glieder gehorchen mir nicht. Kraftlos liege ich auf den Fließen, meine Glieder überflüssig in ihrer Erscheinung. Wie sehr ich mir eine Zukunft mit Frederik gewünscht habe. Der Gedanke an ihn schmerzt. Ich sehe, wie das Blut aus der blassen Haut hervorquillt.

"Frederik", flüstere ich kraftlos. Jeder Herzschlag sticht in meiner Brust. Ich merke wie sich ein schwarzer Schleier über meinen von Tränen glasigen Blick legt und mir die Sicht stiehlt.

POV Frederik
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"Luisa", rufe ich fröhlich, als ich durch die Wohnungstür trete, "ich habe schon ein paar Helfer für den Umzug organisiert".
Ich streife mir den Mantel von den Schultern.
"Hörst du mich?". "Luisa?". Regungslos stehe ich im Flur und horche den Geräuschen in der Wohnung. Stille, die nur durch das Brummen des Kühlschranks durchbrochen wird.
"Luisa, wo bist du?". Ich schalte das Licht im Wohnzimmer an. Nichts. Im Schlafzimmer, nichts.
"Bist du im Bad?", ich klopfe an die Tür, doch ich höre nichts. Langsam öffne ich die angelehnte Tür. Das Zimmer ist in Dunkelheit gehüllt. Ich schalte die Deckenlampe an, das Zimmer wird in kaltes Licht getaucht. "Luisa", rufe ich erschrocken aus, als ich sie auf dem Boden erblicke. Ihr Körper liegt seltsam verdreht auf den weißen Fließen. Um sie herum liegen Scherben. Blut läuft aus einer Wunde an ihrem Handgelenk. "Luisa", ich knie mich neben ihren leblosen Körper und nehme ihr Gesicht in meine Hände.
"Hörst du mich?", sanft haue ich ihr gegen die Wangen, doch sie reagiert nicht. Ich ziehe mein Handy aus der Hosentasche und wähle den Notruf. "Frederik Seehauser. Ich brauche dringend einen RTW. Meine Verlobte...ich hab hier eine Verletzung an der Radialarterie. Sie müssen sich beeilen", ich lege auf, nachdem ich dem Mann am Telefon die Adresse verraten habe. Ich angle mir ein Handtuch aus dem Schrank und drücke es auf ihr noch immer blutendes Handgelenk.
"Was machst du nur für Sachen?", Tränen steigen mir in die Augen. Noch nie habe ich mich so hilflos gefühlt. Verzweifelt drücke ich den rauen Stoff gegen ihr zartes Handgelenk.
"Du darfst mich nicht alleine lassen. Hörst du? Ich brauche dich doch", schluchze ich.
"Luisa", rufe ich immer und immer wieder verzweifelt, als ob sie davon aufwachen würde.
"Was hast du getan?", mein Blick bleibt an ihrem blassen Gesicht hängen, die Augen friedlich geschlossen. Ihr rechter Arm hängt leblos an ihrer Seite herunter.
"Bitte, bleib bei mir", flüstere ich atemlos. Die Tränen ersticken meine Stimme. Von weit her höre ich das Martinshorn. Wenige Augenblicke später klingelt es an der Haustür. Ich drücke auf den Türsummer, öffne die Wohnungstür sperrangelweit und eile sofort wieder zu Luisa. Verzweiflung und nackte Angst strömen durch meinen Körper und lassen meine Nackenhaare aufstellen.
"Hallo?".
"Hier!", rufe ich so laut, ich kann unter den Tränen. Ich höre schwere Schritte im Flur.
"Frederik?". Ich hebe meinen Kopf und sehe meinen Kollegen Oliver im Türrahmen stehen.
"Ihr...ihr müsst ihr helfen", stottere ich.
"Komm mal da raus".
"Nein", ich schüttle vehement mit dem Kopf und halte mich verzweifelt an Luisas Hand fest, "ich muss bei ihr bleiben".
"Frederik, bitte", Oliver tritt in das Zimmer.
Sanft werde ich von Luisa weggezogen und aus dem Zimmer gelotst.

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