124. Kapitel

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POV Luisa
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"Wir könnten das zusammen machen. Das Vergangene aufarbeiten. Orte besuchen, die wir seit Jahren nicht mehr gesehen haben. Reden".
"Ich möchte nicht irgendwohin fahren und ich möchte auch nicht reden!".
"Wir würden nicht irgendwohin fahren. Wir würden...".
"Das habe ich schon verstanden!".
Er schüttelt seufzend mit dem Kopf. "Du bist so stur".
"Stur hin oder her. Ich möchte jetzt gehen". Ich spüre, wie der Kloß in meinem Hals immer größer wird. Lukas nickt und kommt auf die Füße.

Wir schweigen die ganze Rückfahrt über. Seine Worte hallen immer wieder durch meinen Kopf. Rede mit mir, Luisa. Es ist so schwer für mich das Vergangene hinter mir zu lassen, wenn ich nur einen Teil davon kenne. Hatte ich meinen Eltern nicht den Vorwurf gemacht, nicht mit mir zu reden? Jetzt weigere ich mich selbst. Verdammt, Luisa. Was machst du? Wieso habe ich nie darüber nachgedacht, wie schwer es wohl für Lukas sein muss. Er hat seinen Bruder und die unbeschwerte Beziehung zu einer Freundin verloren.

"Hast du noch Zeit?", frage ich, als ich die Beifahrertür öffne. Lukas blickt mir erleichtert in die Augen.
"Ja", er lächelt.

"Magst du was trinken?".
"Ne, danke. Alles gut". Ich gehe raus auf den Balkon, wo Lukas schon auf einem der Stühle sitzt. Unter uns laufen Menschen aufgeregt in den Straßen hin und her. Für die meisten von ihnen bedeutet die Uhrzeit Feierabend. Wie viele von ihnen hetzen nach Hause zu ihren Familien? Wie viele von ihnen haben Angst nach Hause zu gehen, weil sie dort alleine sind? Wie viele von ihnen haben große Sorgen um ein erkranktes Familienmitglied? Wie vielen von ihnen sieht man das an? Wir sitzen schweigen auf dem Balkon, bis ich beginne zu erzählen:"Ich habe Alex wirklich geliebt und wir waren doch noch so jung, als wir uns kennengelernt haben. Ich war vielleicht auch etwas naiv. Er war meine erste große Liebe. Ich hatte keine Ahnung. Er war so lange liebevoll und aufmerksam. Ich habe nicht verstanden, wieso er sich irgendwann mir gegenüber anders verhalten hat. Erst wollte er nicht, dass ich mich mit meinen Freunden treffe. Ich habe gesagt, er sei einfach etwas zu eifersüchtig als normal, aber Eifersucht hat in der Beziehung auch immer etwas mit Liebe zu tun. Ich dachte, er hätte Angst mich zu verlieren. Ich habe deinen Bruder so sehr geliebt, dass ich meine Freunde außerhalb der Vorlesungen nicht mehr getroffen habe. Trotzdem war er nicht zufrieden. Kam er gestresst nach Hause, habe ich mich meistens zurück gezogen. Ich wusste, dass jedes kleine bisschen dazu führen konnte, dass er ausrastet. Irgendwann hat er mich nicht einmal mehr alleine zu meinen Eltern fahren lassen. Ich konnte das nicht mehr ertragen. Ich habe gesagt, dass ich das nicht möchte". Bilder zucken vor meinem inneren Auge.

"Ich fahre Morgen mal zu meinen Eltern", sage ich, damit Alex Bescheid weiß. Ich weiß, dass er sonst aggressiv werden würde, wenn ich ihm das verschweige und er es dann doch irgendwie mitbekommen würde.
"Ich komme mit!". Ich schüttle lachend mit dem Kopf, so überrascht bin ich. "Was lachst du so blöd?".
"Ich fahre nur zu meinen Eltern, Alex. Du brauchst nicht mitkommen".
"Ich komme aber mit".
"Wenn du es so nicht verstehst, dann eben anders. Ich fahre morgen alleine zu meinen Eltern!", ich bin selbst über mich überrascht. Alex schaut genauso verblüfft, doch ich sehe an seinem Gesichtsausdruck, dass ich mir Ärger eingefangen habe.
"Ich möchte vielleicht auch mal was alleine mit meinen Eltern besprechen", erkläre ich beschwichtigend.
"Hast du Geheimnisse vor mir?!". Ich schüttle schnell mit dem Kopf. "Natürlich nicht", sage ich mit erstickter Stimme. Alex presst mich gegen die Zimmerwand, hält meine Handgelenke fest.
"Bitte, Alex", bettle ich.
"Was hast du vor, Luisa?", fragt er durchdringlich. Seine blauen Augen durchbohren meine Haut förmlich. "Ich will doch wirklich nur zu meinen Eltern".
"Wenn du keine Geheimnisse hast, braucht es dich ja auch nicht stören, wenn ich mitkomme. Ich war ja auch schon lange nicht mehr bei ihnen. Lass mich doch bitte mit". Ich wundere mich über seinen schnellen Stimmungsumschwung und nicke einfach schnell. Er lässt mich los. Ich fliehe ins Badezimmer.

"Ich bin eigentlich nirgendswo mehr alleine gewesen. Ab einem gewissen Zeitpunkt glaube ich, hatte er Angst, dass ich jemandem davon erzähle. Er hatte wirklich Angst, dass ich gehe. Dass er ohne mich leben muss. Er war krank vor Eifersucht und Angst".

"Luisa", meine Mutter zieht die Luft scharf ein. Wir sitzen am Kaffeetisch. "Was hast du denn da gemacht?". Sie zieht meinen Pullover ein Stück nach oben. Ich blicke erschrocken auf das lilafarbene Hämatom. Ich spüre die glühend heißen Blicke von Alex in meiner Seite. "Sie ist sehr tollpatschig", sagt er, als sich meine Zunge nicht bewegt. "Ja, ich bin irgendwie doof gefallen". "Warst du damit beim Arzt?". "Ach Quatsch. Es tut gar nicht weh. Sieht schlimmer aus, als es ist".
"Da hattest du aber Glück".
Ja, Glück. Das hatte ich. "Möchte noch jemand Kuchen. Mein Vater hält die Kuchenschaufel erwartungsvoll in meine Richtung. Ich schüttle mit dem Kopf. "Entschuldigt mich bitte kurz". Ich gehe ins Bad und lasse kaltes Wasser über meine Hände laufen. Ich höre Schritte auf dem Flur. Schnell drehe ich das Wasser aus und drücke auf die Klospülung. Ich drehe den Schlüssel im Schloss um. Die Badezimmertür kommt mir beinah entgegen geflogen, so schnell öffnet Alex sie und steht wenige Sekunden später im wieder verschlossenen Badezimmer.
"Darf ich jetzt schon nicht mehr alleine auf Toilette?", frage ich genervt und überschreite damit seine Toleranzgrenze, die scheinbar jeden Tag kleiner wird.
"Wie redest du eigentlich mit mir?". Seine rauen Finger schlingen sich um meinen Hals und drücken mich gegen die Tür. Ich japse nach Luft. Panisch versuche ich meine Finger zwischen seine und meinen Hals zu scheiben, doch dadurch verstärkt sein Griff nur noch mehr. Ich winde mich unter seinem starken Griff.
Die Handtuchhalterung hinter mir kommt klirrend zu Fall.
"Wir fahren jetzt!". Seine Gestalt verschwimmt gänzlich hinter meinem Tränenschleier.
"Du nimmst deine Sachen und ich sage deinen Eltern Bescheid". Ich trotte Alex in den Flur hinter her und nehme meine Tasche in die Hand. Ich höre Alex im Wohnzimmer.
"Luisa geht es nicht gut. Ich denke es ist besser, wenn wir jetzt fahren".
"Ich weiß auch nicht. Vielleicht eine Magenverstimmung". Noch bevor meine Eltern im Flur stehen, werde ich aus der Tür geschoben. Ich stolpere die wenigen Stufen hinunter weiter zum Auto. Ich lege mich auf den Rücksitz. Bekomme keine Luft und weiß nicht, ob es ist, weil Alex mich gewürgt hat oder, weil er mich so einengt in meinen Freiheiten. Ich drücke mir meine Handtasche vor das Gesicht, damit mein Schluchzen nicht zu hören ist.

"Ab diesem Tag war ich nie wieder alleine bei meinen Eltern. Sie hatten Blut geleckt. Das hat auch Alex gemerkt".

Kann man lieben neu lernen? Fan Fiction Klinik am SüdringWo Geschichten leben. Entdecke jetzt