109. Kapitel

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POV Luisa
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Unruhig wippend sitze ich auf dem Sofa - mein Handy in der Hand. Ich ertappe mich dabei, wie ich anfange an den Nägeln zu kauen. Ich lasse es schnell wieder sein.
Ich tippe die Nummer meiner Eltern ein, drücke auf den grünen Hörer.
Das Piepen macht mich nervös. Ich lege wieder auf.

„Luisa, du solltest deinen Eltern wirklich Bescheid geben", erinnert mich Frederik, als ich noch immer auf das Telefon starre.
Ich nicke, stehe auf und nehme meinen Mantel von der Garderobe.
„Wo gehst du hin?".
„Ich muss den Kopf frei kriegen", antworte ich und öffne die Wohnungstür.
„Warte!". Ich sehe aus dem Augenwinkel, wie Frederik vom Sofa aufspringt. „Ich komme mit".

Wir laufen nebeneinander, die Hände tief in die Jackentaschen gesteckt.
Der Schnee knirscht unter unseren Stiefeln.
Der Wind treibt uns den rieselnden Schnee in unsere Gesichter. Mein Gesicht ist schon jetzt total kalt.
Ich schüttle meinen Kopf, um die Schneeflocken aus meinen Haarspitzen zu bekommen.
Da sehe ich es aus dem Augenwinkel -
das Haus meiner Eltern.
Unbewusst, blind vor Schneeflocken haben meine Füße mich zu meinen Eltern gebracht.
Ich sehe auf. Frederik schaut mich gespannt an. Er scheint es schon früher bemerkt zu haben.
„Ich warte hier auf dich", sagt er, als ob er davon ausgehen würde, dass ich in wenigen Sekunden dieses Haus betreten wollen würde.
Ich gehorche ihm.
Gehe die wenigen Schritten bis zu Haustür. Der schmale Weg ist ordentlich geräumt. Der Schnee sammelt sich in kleinen Haufen neben dran.

Ich drücke die Klingel. Meine Finger tun weh von der Kälte. Ich stemme meine Beine in den Boden. Auf alles und nichts vorbereitet, was nun kommt.
Ich höre dumpfe Schritte im Haus, die auf das Klingeln im Inneren folgen.
Die Tür öffnet sich.
„Luisa?", die Überraschung ist meinem Vater förmlich ins Gesicht geschrieben.
„Hallo, Papa".
Er steht im Türrahmen und mustert mich von oben bis unten.
Unruhig verlagere ich mein Gewicht von einem auf das andere Bein.
„Darf ich kurz reinkommen?", frage ich, als mein Vater mich noch immer betrachtet, als würde eine Fremde vor ihm stehen.
Er scheint von alleine nicht darauf zu kommen, mich herein zu bitten.
Ich frage mich, ob es eine schlechte Entscheidung war, hierher zu kommen.
„Ja, natürlich", beeilt er sich zu sagen, als ob ihn jemand unsichtbares an den Schultern gerüttelt habe.
„Wo ist Mama?". Ich hänge Jacke und Schal an die Garderobe.
„Im Wohnzimmer. Wo sonst?".
Ich nicke und versuche den Unterton zu ignorieren. Nickend gehe ich durch den Flur ins Wohnzimmer.
„Hallo, Mama".
„Luisa?", sie schaut auf und setzt ihre Lesebrille ab.
„Ich wusste gar nicht, dass du kommst. Du hättest anrufen können".
„Ich wollte gar nicht lange stören", versuche ich mich wie ein ungebetener Gast zu entschuldigen. Mit einem Mal fühle ich mich fremd in diesem Haus, das ich so sehr geliebt habe. In dem ich mich mit Freundinnen stundenlang versteckt oder Puppen verarztet habe.
„Ich wollte, dass ihr wisst, dass ich nicht mehr in der Klinik bin".
„Wieso rufst du nicht an?". Die Frage scheint meine Mutter sehr zu beschäftigen. Ich verstehe nicht warum. Ich schlucke den Kloß in meinem Hals herunter, bevor ich weiterrede.
„Ich glaube wir müssen reden".
Meine Stimme soll sich stark und klar anhören, aber man hört die Unsicherheit darin.
„Worüber möchtest du reden, Luisa?".
Ich friere, obwohl der Kamin das Zimmer in lodernde Wärme taucht.
„Vielleicht über euren Besuch im Krankenhaus? Deinen emotionalen Ausbruch an meinem Bett, bei dem dich keiner mehr stoppen konnte. Verdammt Mama, ich bin deine Tochter!", ich höre die Verzweiflung in meiner Stimme und schäme mich sofort dafür.
„Luisa!", mahnt mich mein Vater zu Ruhe. Doch es ist zu spät.
Meine Mutter erhebt sich aus dem roten Ledersessel.
„Ich möchte mit dir jetzt nicht darüber sprechen".
„Ich aber! Ich möchte Antworten!".
Meine Mutter hebt abwehrend ihre rechte Hand. Sie läuft an mir vorbei in die Küche.
„Willst du, dass ich mich entschuldige?!", rufe ich ihr hinterher.
Als Antwort bekomme ich nur ein quälendes Schweigen.
„Gib es doch wenigstens zu!". Ich laufe ihr hinterher. Sie lässt Wasser in den Wasserkocher laufen.
„Dir geht es scheinbar wirklich besser. Du kannst schimpfen wie ein Rohrspatz". Sie stellt den Wasserkocher an.
„Darum geht es gar nicht! Euer Schweigen macht mich verrückt. Das führt zu nichts. Über was ihr nicht redet, existiert für euch nicht".
„Das ist ungerecht, Luisa".
Mein Vater steht im Türrahmen. Ich höre ihn laut atmen. Scheinbar weiß er nicht ganz, ob er eingreifen soll oder nicht.
„Nein, ist es nicht. Verdammt, ich bin von meinem Exfreund geschlagen wurden. So ist es, okay?! Diese Tatsache existiert leider auch immer noch, wenn man angestrengt versucht sie tot zu schweigen. Also bitteschön redet mit mir. Ich schaff das alleine nicht". Ich kann die Tränen nicht mehr zurückhalten. Sie laufen mir glühend heiß über das Gesicht.
„Geh!".
„Was?".
„Du sollst gehen! Ich kann deine Anschuldigungen nicht mehr ertragen!".
„Wir sollten uns alle unsere Fehler eingestehen, Mama. Alles andere ist feige".
Mein Vater fasst mich sanft an der Schulter. Ich soll gehen. Blind vor Tränen stolpere ich durch den Flur. Aus der Küche höre ich das unterdrückte Schluchzen meiner Mutter. Ich gehe.

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