Prolog

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„Aua! Pass doch auf, wo du hinfällst!" schnauzte er mich an. Ich verdrehte die Augen. „Als ob ich gerne auf dich gefallen bin!", meinte ich zickig. Ich stand auf und rieb mir den Dreck von meiner Hose. 

Lange blieb ich jedoch nicht so angriffslustig. „Wo sind wir überhaupt?" fragte ich, während ich mich ängstlich umsah. Irgendwie war mir das Ganze hier nicht so ganz geheuer. Wir hatten uns im Wald verlaufen und waren durch ein Loch im Boden in eine Höhle gerutscht. Warum kam ich mir nur vor wie Alice im Wunderland? Nach einem Wunderland sah das Ganze nicht aus, mal ganz davon abgesehen, dass ich nichts sehen konnte, weil es stock dunkel war. 

Wie als hätte er meine Gedanken gelesen, holte Tom sein Handy aus seiner Hosentasche und beleuchtete mit seiner Handytaschenlampe die Höhle. Ich machte es ihm gleich. Mit unserem kalten Taschenlampenlicht, erhellten wir die nassen, dunkel, grauen Felswände. 

Aus den Tiefen der Steine hörte man ein leises, hallendes Platschen, wie als würden Wassertropfen auf Gestein fallen. An sich schien die Höhle ziemlich normal zu sein. Trotzdem lief mir ein eiskalter Schauer über den Rücken. 

„Tom?" sprach ich ihn nach einer Weile an. „Hmm?" „Wie kommen wir hier wieder raus?" fragte ich besorgt. „Ich weiß es nicht." meinte er schulterzuckend. Er war so hilfreich wie eh und je. Wieso hatte ich nur so viel von ihn erwartet? 

Ich bewegte meine Taschenlampe in die andere Richtung, um vielleicht einen Ausgang zu finden. „Siehst du das?" fragte er mich und ich drehte mich mit meinem Taschenlampenlicht wieder zu ihn. Neugierig sah ich in die Richtung, die er meinte, doch irgendetwas Besonderes entdeckte ich nicht. „Was soll ich denn sehen?" „Mach deine Taschenlampe aus!" Erst jetzt fiel mir auf, dass er sein Licht mit der Hand verdeckte. Verwundert machte ich ihm nach. 

Ein schwaches Licht kam aus dem hinteren Bereich der Höhle. Es war mitten in der Nacht, dieses Licht konnte definitiv kein Tageslicht sein. War da noch jemand anders? Wieder spürte ich diesen Schauer, der sich über meinen gesamten Rücken ausbreitete. Kurz schüttelte es mich. 

Ich rückte ein kleines Stückchen näher zu Tom. „Was ist das?" „Ich weiß nicht!" meinte er abwesend. Er schien gerade vollkommen vergessen zu haben, dass er mich eigentlich nicht mochte, was mir aber auch ganz recht war. Ich hatte viel zu große Angst, um mich mit ihm zu streiten. Langsam ging er auf das Licht zu. „Ich halte das für keine so gute Idee!" „Ach halt doch die Klappe, du Angsthase!" meinte er wieder aufmüpfig. Bevor ich ihn aufhalten konnte, war er um die Ecke verschwunden und ich alleine. Wie konnte er mich jetzt einfach so alleine lassen? 

„Tom!" rief ich mit zitternder Stimme. Keine Antwort. Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Ich spürte wie mich die Angst an den Kragen packte und mir die Kehle zuschnürte. Die Panik ließ meine Beine erzittern und meine Arme zu Wackelpudding werden. Ich musste nochmal nach ihn rufen, auch wenn ich mir etwas doof vorkam. „Tom!" krätze ich nun leicht hysterisch und heiser. Ich mochte diesen Möchtegern Mädchenschwarm zwar nicht, aber alleine wollte ich auch nicht sein. Immer noch keine Antwort. Ein weiterer eisiger Schauer lief mir über meinen Rücken und eine gewaltige Gänsehaut breitete sich über meinen gesamten Körper aus. 

Mit zitternden Beinen ging ich ebenfalls um die Ecke. Ich konnte einfach nicht mehr länger einfach nur da stehen und die Angst mich langsam auffressen lassen. Meine Hände waren leicht zu Fäusten geballt. Zwar wäre ich nicht bereit gewesen zu kämpfen, noch mich zu verteidigen, dennoch bereiteten mir meine halb starken Fäuste ein kleines bisschen Sicherheit. 

Als ich um die Ecke ging, hätte ich damit gerechnet, dass er verstümmelt an der Wand hing oder sonst etwas Ähnliches mit ihm passiert war, doch er stand da einfach nur und starrte das leuchtende Ding an. Wahrscheinlich war es nicht sonderlich schlau von mir zu ihm zu gehen, wenn ich erwartet hatte, dass er schon längst tot war. Wie naiv von mir zu glauben, dass er einfach umgebracht wurde, schließlich waren wir nur im Wald in eine Höhle gefallen und nicht gleich beim berüchtigtsten Massenmörder von ganz Deutschland vor der Tür. 

Diese Höhle machte mir einfach Angst. Wieso, wusste ich auch nicht. Tom schaute wie hypnotisiert das leuchtende Ding an, worauf ich es auch mal genauer betrachtete. Sofort war ich auch wie in einen Bann gezogen. Es waren mehrere Bücher. Sie lagen kreuz und quer aufeinander und nebeneinander und leuchteten. Ich traute mich nicht näher heranzugehen, mal ganz davon abgesehen, dass ich mich einfach nicht bewegen konnte. Sie hatten alle verschiedene Einbände in verschiedenen Farben. Die Bücher leuchteten für einen kurzen Moment heller, sodass es blendete, doch ich konnte immer noch nicht meinen Blick von ihnen abwenden. 

„Verteilt uns!" hörte ich es kurz zischen, doch es kam mir so vor, als würden die Stimmen nur in meinen Kopf existieren. Kurz danach erlosch das Licht von den Büchern und es wurde dunkel. 

Gruselige, stille, endlose Dunkelheit. Tom holte wieder sein Handy aus der Hosentasche und machte uns Licht an. „Hast du auch die Stimmen gehört?" fragte er mich verunsichert, als er seine Stimme wieder gefunden hatte. Ich nickte verängstigt. „Meinst du, die Stimmen kamen von den Büchern?" er leuchtete sie an. In jeder anderen Situation hätte ich ihn ausgelacht, Witze über ihn gemacht und ihn nicht für ernst genommen, doch in diesem Moment war mir nicht zum Lachen oder zum Witzemachen zu Mute. Tatsächlich glaubte ich auch, dass die Bücher mit uns geredet hatten. 

Langsam bildete sich erneut eine Gänsehaut über meinen gesamten Rücken und ich hätte schwören können, dass ein leichter, eisiger Windzug meinen Rücken streifte. „Wie können Bücher mit einem reden?" fragte ich ihn entsetzt. Seine Augen waren vor Angst ganz weit aufgerissen. „Ich weiß es nicht!" „Das ist unmöglich! So etwas ist nicht normal!" Für ein paar Minuten standen wir einfach nur vor den Büchern und starrten sie an. 

„Was sollen wir jetzt machen?" fragte ich Tom. „Die Bücher mitnehmen und irgendwie verteilen?" „Was meinten sie mit verteilen?" Er zuckte einfach nur mit den Schultern. Super! Er war so hilfreich wie immer! Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen, atmete einmal tief ein und aus, danach nahm ich die ersten Bücher in die Hand. 

Es waren genau sechs Bücher, die alle eine andere Farbe hatten. Ich nahm die Bücher in lila, blau und rot. Ich wusste nicht genau, wieso ich die Bücher mitnahm und nicht einfach zurückließ, schließlich fand ich sie einfach nur gruselig. Doch ich wusste, je länger ich in ihrer Nähe war, desto mehr wollte ich, dass ich das tat, was sie von mir verlangten, desto mehr zogen sie mich in ihren Bann. Sie ließen meine Angst verfliegen, doch nicht diese Kälte, die in meinen Knochen saß, seitdem wir die Höhle betreten hatten.

 Nachdem ich die drei Bücher im Arm hatte, hob auch Tom drei Bücher auf, die die Farben grün, braun und orange hatten. „Was nun? Wie kommen wir hier heraus?" Ich zuckte mit den Schultern und in dem Moment hörte ich aus der einen Ecke der Höhle leises Gemurmel, was ich allerdings nicht verstehen konnte. In der Ecke, aus der das leise Geräusch kam, fiel mir auf einmal auf, dass es dort einen Ausgang gab. Zielstrebig ging ich in die Richtung des leisen Flüsterns. Bei klaren Verstand, so war ich mir sicher, wäre ich nicht in diese Richtung gegangen, doch in diesen Moment fühlte ich mich von der schwindenden Angst leicht benebelt. 

Tatsächlich war da ein Ausgang, wo ich mir vorher sicher gewesen war, dass dort keiner war. Als wir wieder unter dem Sternenhimmel standen, setzten wir uns in Bewegung. 

„Was machen wir jetzt mit den Büchern?" Wir liefen zurück in die Richtung, in der wir die Stadt vermuteten. Ich zuckte mit den Schultern. „Wir können sie in Büchereien verteilen oder sonst wo, wo es nicht so auffällt, dass da ein Buch ist." Schlug ich vor, und tatsächlich kamen wir nach einer Weile wieder in der Stadt an einem dieser Regale vorbei, in die man Bücher reinstellen konnte, um sie dann mit anderen zu tauschen. Da stellte ich das erste Buch aus meinen Armen rein. Ab da an trennten sich die Wege von mir und Tom. 

Das blaue Buch bekam ich die Tage in einer spanischen Bücherei unter, da ich am nächsten Tag bei meiner Oma war, die in Spanien lebte. Nachdem unsere Ferien beendet waren, steckte ich heimlich das letzte, nämlich das Rote, in unsere Schulbibliothek, doch vorher schaute ich es mir noch einmal genauer an: Das ganze Buch war unbeschriftet und hatte ebenso keinen Titel. 

Was auch immer diese Bücher so mysteriös machten, ich wollte nichts mehr mit ihnen zu tun haben. Sie bereiteten mir einfach zu oft eine Gänsehaut über meinen Rücken.  

Das Spiel - EinführungsaufgabenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt