Innere Stärke

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Tief atmete ich durch, als ich die brennenden Blicke auf mir spürte. Na klar. Immerhin war es untypisch für mich, Olivia, erst zwei Minuten vor Beginn der ersten Stunde aufzutauchen. Verdammt, es war wirklich ein Teufelskreis!
Schon gongte es zum Schulbeginn, doch der Lehrer war noch nicht in Sicht.
Vanessa und Hannah, schienen dies ausnutzen zu wollen und bauten sich bedrohlich vor mir auf. Die anderen wurden still und schauten gespannt zu uns.
“Du benimmst dich in letzter Zeit echt verdammt merkwürdig, Olivia. Erst springst du aus dem Fenster und suchst nach Mitleid, dann das Mysterium mit Herrn Mortius, und jetzt tust du schon wieder so, als bräuchtest du unser aller Mitleid und heulst vor den Lehrern rum. Und lässt mich ganz schön blöd dastehen...“ zischte Vanessa mich feindselig an.
Ich schwieg nur und versuchte, ihrem Blick standzuhalten. Es war wirklich ein Teufelskreis.
“Entschuldige dich!“ Sagte mein Gegenüber jetzt lauter und feindseliger, und schubste mich.
Ich versuchte, mein Gleichgewicht zu halten und brachte immer noch kein einziges Wort hervor.
//Hilfe...// In meinem Kopf hörte ich das Wort immer wieder dröhnend laut wiederhallen.
Nein. Ich brauchte nicht immer Hilfe. Ich musste mich nicht immer von irgendeinem Helden retten lassen und mir damit nur noch mehr Feinde machen. Ich fasste also meinen Entschluss, hob den Blick und sah ihr feindselig in die Augen.
“Glaubst du wirklich, du könntest mich immer rumkommandieren? Du hättest solch eine Macht? Du kennst mich nicht! Du weißt nichts über mich und wirst das auch nie! Und weißt du was? Ich bemitleide dich. Ich bemitleide dich dafür, dass du anderen das Leben schwer machen musst, um dich gut zu fühlen! Glaubst du etwa, das wäre Stärke? Ich sage dir was Stärke ist! Stärke ist es, weiterzumachen, egal wie tief du gerade gesunken bist! Du tust mir wirklich leid, dass du so einen verdammt großen Minderwertigkeitskomplex hast!“, Ich schwieg kurz, als ich merkte, dass sie und alle anderen regelrecht den Atem angehalten hatten und mich perplex anstarrten, dann fuhr ich leiser fort, “Du weißt nichts über mein Leben und hast es nicht zu beurteilen. Eine Person die ich gut kenne hat einmal gesagt, wenn man ganz unten ist, geht es nur nach oben, dazu ist einem jedes Mittel recht. Und wenn da auch nur ein seidener Faden zum hochziehen ist, ich würde ihn ergreifen.“ Mit den Worten beendete ich meine kleine unvorhergesehene Rede.
Ich sah Vanessa selbstsicher in die Augen, Hannah war inzwischen einige Schritte zurückgetreten. Dann kam unser Lehrer um die Ecke gebogen und war ziemlich überrascht über diese Stille.
“Was ist denn hier los? So kenne ich euch Quatschtanten ja gar nicht.“ Er warf Vanessa, die immer noch direkt vor mir stand, prüfend an.
“Vanessa, hast du irgendwas zu sagen?“
Diese schüttelte den Kopf. “Ähm... nein...“ Sagte sie langsam und leise, warf mir noch einen unsicheren Blick zu und folgte dem Lehrer und den anderen in den Klassenraum.
Ich blieb noch einen kurzen Moment stehen und lächelte erleichtert.
Ich war also tatsächlich nicht bloß schwach. Ich hatte es allen anderen - Und mir selbst - Bewiesen.
Zufrieden folgte nun auch ich allen in den Klassenraum und setzte mich an meinen Platz.
Während der Stunde warfen mir die anderen immer wieder Blicke zu, sie schienen regelrecht erstaunt über mich. Oder meine Worte. Naja, sonst hatte ich ihnen gegenüber ja auch nur wenig zu sagen, und dann hatte ich plötzlich mit Worten um mich geworfen, als wäre das das normalste auf der Welt.
Zufrieden wie ich war, folgte ich aufmerksam dem Unterricht, der glücklicherweise auch ohne Unterbrechungen verlief.

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