Kapitel 7

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Im Gebäude herrschte Aufregung. Selbst Sharon Carter war so verwirrt, dass sie mich mit erhobenen Händen gehen ließ. Ich eilte die Gänge entlang, in einer Hand meine Aktentasche und in der anderen meine Waffe. Als ich an der Damentoilette vorbei kam, verschwand ich schnell nach drinnen. Aus der Tasche zog ich andere Kleidung, eine elastische Hose und eine dünne Jacke mit Kapuze. Schnell band ich meine Haare noch hinten und zog mich um. Die Tasche und meine anderen Sachen ließ ich liegen, lediglich mein privates Handy und einen Autoschlüssel steckte ich in die Jackentasche, die Waffe schob ich gesichert in meinen hinteren Hosenbund, dann eilte ich nach draußen, die Kapuze ins Gesicht gezogen. Die Menschen um mich herum achteten gar nicht auf mich, der Stromausfall hatte genug Panik verursacht, dazu kam die Freilassung des ferngesteuerten Winter Soldiers. Als ich nach draußen trat, blinzelte ich, durch die Sonne geblendet, dann lief ich ein paar Straßen, bis ich zu einem, in einer Nebenstraße geparkten, Wagen kam, genau wie wir es ausgemacht hatten. Schnell schloss ich auf und fuhr los, zu dem Treffpunkt, den ich ebenfalls mit meinem Vater ausgemacht hatte. Als er dort noch nicht stand stieg ich aus und lehnte mich gegen das Auto, meine Umgebung im Blick und die Hand griffbereit an der Waffe. Für einen Moment machte ich mir Sorgen, dass etwas außer Kontrolle gelaufen war und er nicht aus dem Regierungsgebäude entkommen konnte, dann jedoch kam er um die Ecke gejagt, in ein kariertes Hemd und eine dunkle Jacke gekleidet, eine Ledertasche über der Schulter.
"Sadie", er zog mich in eine Umarmung und hielt mich für ein paar Sekunden. "Ich bin so froh, dass es dir gut geht."
"Das kann ich nur erwidern", lächelte ich und löste mich etwas. "Hat im Gefängnis alles geklappt?"
"Natürlich, die Worte haben funktioniert und den Psychologen bin ich los geworden", ich musste schwer schlucken.
"Lass uns bitte darüber nicht reden, damit komme ich noch immer nicht ganz klar", erklärte ich gefasst und öffnete die Fahrertür. "Und über die Geschichte mit dem UN-Gebäude werden wir auch nochmal sprechen, klar? Du hast mich nämlich belogen." Ich stieg ein und ließ den Motor an. Er eilte um den Wagen herum und stieg ebenfalls ein.

"Es tut mir leid, Kleines aber das ist, was ich dir erklärt habe. Manchmal verlangen große Taten auch Opfer", er sah mich ernst an. Da war ich nicht ganz seiner Meinung aber was brachte es uns, jetzt darüber zu streiten? Wir steckten jetzt zusammen in dieser Sache fest und es war nicht unbedingt förderlich um das zu beenden.
"Wie auch immer", ich verdrehte die Augen und konzentrierte mich auf die Straße. "Hast du die Flugtickets?"
"Natürlich, alles dabei", nickte er und lehnte sich etwas zurück. Der spannendste Teil war erstmal vorbei.

Die nächsten Stunden verbrachten wir im Flugzeug und fuhren durch den Tiefschnee um endlich bei der verborgenen Tür anzukommen. Ich hatte mir während der Fahrt eine dickere Hose, gefütterte Stiefel und eine dicke Jacke angezogen. Die Gegend war Gottverlassen, wenn hier etwas schief ging, dann würde uns niemand jemals finden. Erfrieren klang nun wirklich nach einem äußerst unattraktiven Tod.
"Wenn man so kurz vor seinem Ziel steht, dann wird man schon ein wenig nachdenklich", meinte ich, während mein Vater mit Hilfe des Buches die schweren Türen entriegelte.
"Du musst nur nachdenklich werden, wenn du es bereust jemanden von ihnen zu verraten", meinte er. Ich half ihm die schweren Türen weit genug zu öffnen, dass wir eintreten konnten.
"Ach Unsinn. Stark hat mir nur Ärger bereitet und ich bin von Natur aus ein Feind von Captain America, immerhin bin ich noch zu einem Viertel Deutsche", scherzte ich und trat nach innen. Er sollte nicht merken, dass mir mindestens eine Person einfiel, die ich nur ungern verriet. Es war ein wenig wärmer im Inneren aber auch nur, weil hier kein eisiger Wind ging und diesen Unterschied anzuerkennen war schon ziemlich wohlwollend. 
"Die, die du verrätst sind nicht nur Rogers und Stark", erklärte er und ich spürte seinen kritischen Blick auf meinem Rücken. Natürlich durchschaute er mich. Das hatte er schon immer getan. Er hatte Recht, zu Zweifeln. Auch, wenn ich es mir vor Sharon Carter nicht hatte anmerken lassen, so war mir der Verrat keineswegs leicht gefallen und auch jetzt hatte ich ein unfassbar schlechtes Gewissen. Ich war nur froh, dass ich später die Waffe nicht gegen sie erheben oder zumindest nicht abdrücken musste. "Es ist in Ordnung für einen Moment zu Zweifel aber du darfst dich nicht davon einnehmen lassen. Willst du dass Carl vergessen wird? Eine namenlose Leiche, wenn er Glück hat ein Name auf einer Gedenkwand, mehr nicht? Oder willst du seinem Tod eine Bedeutung verleihen? Die nieder strecken, die dieses Unglück über deine Familie gebracht haben?" Er legte mir seine Hände auf die Schultern. "Du hast dich schon einmal entschieden, Sadie und du kannst es wieder tun. Noch hast du bei keinem der begangenen Verbrechen geholfen. Du hast dich entschieden, nicht länger eine normale Studentin zu sein, du hast dich entschieden eine Rächerin zu werden, eine Spionin. Wie entscheidest du dich jetzt?" Mein Blick glitt über die Beton- oder Fliesenwände, mein Hirn arbeitete auf Hochtouren. Wenn ich jetzt aufhören würde, ich könnte nicht damit leben. Ich könnte mein Leben nicht einfach weiter führen.
"Du weißt, dass ich dich nicht im Stich lassen würde", entgegnete ich und löste mich aus seinem Griff. Mit Hilfe des Buches erkundeten wir den Bunker, bis wir in einen relativ großen, runden Raum kamen. Hier befanden sich nicht nur die fünf Röhren mit den kryogen eingefrorenen Soldaten, sondern auch eine Art Schacht nach oben.
"Ich werde hier alles einrichten", mein Vater reichte mir eine Waffen. "Du kümmerst dich um die Soldier." Für einen Moment musste ich schlucken, dann nahm ich die Waffe entgegen. Dieser ganze Ort verursachte bei mir eine Gänsehaut und das nicht nur, weil es hier furchtbar kalt war. Ich konnte mir nicht vorstellen, was sie hier für Experimente hier mit Menschen gemacht hatten, wie sehr die Menschen hier gelitten hatten, gefangen in ihrem eigenen Geist. "Sadie, komm schon. Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit." Seine Stimme ertönte über eine Anlage. Verwunderlich, dass die Technik hier noch immer funktionierte, das unterirdische Gebäude war immerhin bereits seit Jahren verlassen. Ich lief zu den Röhren uns musterte die Menschen darin. "Es ist nicht so schwer wie du denkst, Sadie. Drück einfach ab. Sie werden nichts merken." Ich nickte und entfernte mich einen Schritt von der Röhre. Langsam hob ich meine Waffe und nahm die Stirn ins Visier. Mein Vater hatte mir immer erzählt, ich wäre im Schießen ein Naturtalent. Schon als wir mit den Schießübungen angefangen hatten, hatte ich eine hohe Trefferquote. Zielen war ohnehin schon immer mein Ding gewesen, in der Schule wurde ich deswegen beim Basketball und beim Völkerball zuerst gewählt. Das waren aber auch die einzigen zwei Sportarten, bei welchen ich zuerst gewählt wurde. An sich war Sport für mich immer eine Qual gewesen und auch mein Vater hatte mich ganz schön drillen müssen, eh meine Nahkampffähigkeiten an das heran kamen, was er sich vorgestellt hatte. Nun ja, zu dem Winter Soldier oder Captain Rogers sollte ich trotzdem lieber Abstand halten. Ich schüttelte den Kopf und konzentrierte mich wieder auf mein Ziel, dann drückte ich ab. Die Kugel durch schlug das gelbe Glas und bahnte sich ihren Weg durch die Haut, durch den Knochen und direkt ins Gehirn. Ich senkte das Gewehr und atmete tief durch. "Siehst du, Kleines? Es ist nicht schwer." Ich blickte durch das kleine Fenster, hinter welchem mein Vater saß, dann nickte ich. "Jetzt die Nächsten." Ich lief von einem Behälter zum Nächsten und konzentrierte mich darauf, ihnen nicht in die Gesichter zu schauen. Anheben, anvisieren, abdrücken. Das Ganze vier mal. Das waren keine Menschen, versuchte ich mir einzureden, das waren Monster. Monster, die freiwillig zu dem geworden waren, was sie waren. Die bereit waren die Welt ohne Gewissen in Brand zu setzten, sollte man sie jemals aufwachen.
"Funktioniert das Video?", fragte ich und lief in den Raum, in dem mein Vater saß.
"Schau mal auf den Monitor", in dem Raum leuchtete ein alter Röhrenfernseher, der den Eingangsbereich zeigte und ein alter Computermonitor, welcher den kleinen Bildschirm steuerte, welcher später die Aufnahmen des 16. Dezember in dem kleinen Raum abspielen sollte. Ich ging wieder in den großen Raum und blickte auf den Bildschirm.
"Läuft", ich streckte einen Daumen nach oben. Er nickte hinter der Scheibe. Ich lief noch ein wenig herum und musterte den Raum, das alte, kalte Eisen, das all diese Zeiten überdauerte, dass all die Schreie und Geschehnisse in sich trug. Auch wenn der Ort ziemlich gruselig war und mir wirklich ein Gefühl der Beklemmung verlieh, hatte ich doch große Lust einfach ein wenig durch die Gänge zu spazieren. Ich hatte von Klein auf ein Interesse an den dreckigen Seiten der Geschichte, ich hatte mich immer für die Abgründe der Menschheit, ihre tiefsten Tiefpunkte interessiert. Welche Doktrin brauchte es um ein ganzes Volk dazu zu bringen, Mord und Vernichtung zuzustimmen? Wie konnten Menschen genug Dunkelheit entwickeln um andere Menschen zu quälen, an ihnen zu experimentieren? Hier kam viel Dunkelheit zusammen, so viel, dass man sie in der Luft spürte. Sie war noch kälter als die eisige Luft Sibiriens. Als wir den Bunker betreten hatten, waren wir an Zellen vorbei gekommen, auf deren Boden hatte ich Flecken gesehen. Vielleicht war es getrocknetes Blut oder irgendeine andere Flüssigkeit. So genau wollte ich es vielleicht auch nicht wissen.
"Sadie, hör auf zu träumen und komm her", hörte ich meinen Vater sagen. Ich seufzte und stellte fest, dass meine Hände zu schwitzen begannen. Ich spürte, dass der große Moment näher rückte.
"Ist schon etwas zu sehen?", fragte ich und blickte auf den Bildschirm der Überwachungskamera. Tatsächlich erkannte ich eine Bewegung, dann huschten zwei Männer herein.
"Es geht los, Kleines", lächelte er und nahm meine Hand. "Bald ist das alles hier vorbei."


Spy // "Avengers"-FanfictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt