Damals

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Mary

Als ich mein Workout beendet und mich geduscht habe, ist es schon 10 Uhr, ich weiß mal wieder gar nicht, was ich den ganzen Tag gemacht habe. Nichts Sinnvolles jedenfalls. Ich scrolle ziellos auf meinem Handy hin und her, zu rastlos, um mich auch nur auf eine App festzulegen.

Ich versuche, nicht an ihn zu denken, nicht an die vergangene Nacht zu denken, doch es ist zwecklos. Wieder sehe ich ihn vor mir, wie er mit diesem Mädchen redet, die Hand locker auf ihren Rücken liegend. Eine Berührung, nach der ich mich so sehr sehne, dass es wehtut. Und sie freut sich vermutlich nicht einmal. Klar, er kann charmant sein, und er ist intelligent und witzig, und jeder unterhält sich gerne mit ihm. Aber gut aussehen tut er nun wirklich nicht, nicht objektiv betrachtet auf jeden Fall. Aber gut, vielleicht ist nicht jeder so oberflächlich wie ich.

Trotzdem, ich glaube nicht, dass sie wirklich was von ihm wollte. Aber er hing den ganzen Abend an ihr, erzählte ihr irgendwelche tollen Sachen und beachtete mich gar nicht. Aber das kommt davon, wenn man sich selber auf eine WG-Party einlädt. Wobei er sicher sagen würde, er hätte mich schon auch noch eingeladen, wenn ich nicht zuerst geschrieben hätte. Ich wüsste gerne, ob das stimmt, aber ich halte nie lange genug durch, um es heraus zu finden, im Endeffekt bin immer ich diejenige, die schreibt. 

So ist es zumindest, seit er hierher gezogen ist. Früher war das anders. Als wir noch zur selben Uni gependelt sind, mindestens einmal die Woche denselben Zug genommen und dann geplant haben, wo wir am Wochenende saufen. Wir gingen immer zusammen auf Partys, überlegten uns, auf was wir Bock hatten, und überzeugten dann unseren gemeinsamen Freundeskreis. Seine Freundin war nur manchmal dabei, sie machte auch viel mit eigenen Freunden, aber selbst wenn sie dabei war, war mir ein Großteil seiner Aufmerksamkeit sicher, wir redeten betrunken immer viel miteinander, obwohl wir uns so oft sahen.

Damals hatte ich wirklich das Gefühl, wir seien gute Freunde. Beste Freunde. Die alles miteinander unternehmen, den anderen immer dabei haben wollen. Und das reichte mir, wirklich. 

Ja, manchmal wünschte ich mir, ich wäre diejenige, die er mit nach Hause nahm, aber viel mehr Grund gab er mir nie, eifersüchtig auf seine Freundin zu sein. Er behandelte sie ehrlich gesagt nicht besonders gut, war häufig genervt von ihr oder einfach abweisend. So war er zu mir nie, das war definitiv einer der Gründe, warum ich mir immer Hoffnungen machte. Hoffnungen, es könnte sich eines Tages etwas ändern. Aber ich war glücklich, einfach nur mit ihm befreundet zu sein und jedes Wochenende, wenn wir etwas getrunken hatten, seine Nähe genießen zu können. Denn da war ich es, der er die Hand beim Reden auf den Rücken legte. Ich war es, der er all seine Gedanken erklärte und ich war es, die auf seiner Schulter einschlief. Kein Wunder, dass ich mir Hoffnungen machte.

Jetzt ist alles so anders. Ich weiß wirklich nicht, ob wir noch Kontakt hätten, wenn ich ihn nicht dauernd suchen würde. Und selbst wenn wir dann auf derselben Party sind, redet er nicht viel mit mir. Aber so schlimm wie gestern war es noch nie. Und dann hat er mich auch noch nach Hause geschickt. „Mary, du siehst müde aus, vielleicht solltest du langsam heim." Die Worte tun auch jetzt noch weh, obwohl ich sie heute bestimmt schon hundertmal in meinem Kopf wiederholt habe.

Nur damit er dieses Mädchen in sein Bett einladen konnte. Ich wette, sie ist ohnehin nicht geblieben. Ich hoffe es. Oh bitte nicht. Mein Magen krampft sich zusammen und mir wird wieder übel. Nicht zum ersten Mal frage ich mich, ob dass der Kater ist, oder ob diese Übelkeit psychisch bedingt ist. Vielleicht hätte ich heute auch etwas essen sollen, aber mir war so gar nicht danach, außerdem habe ich nichts da.

Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie es war, als wir das letzte Mal besoffen etwas hatten. Drei Tage lang war mir noch übel, und ich weiß bis heute nicht, ob das an der Flasche Wodka lag, die ich getrunken hatte, oder aber an meinem schlechten Gewissen Klara gegenüber. Sie war nicht mehr mit Tom zusammen, sie hatten sich Monate davor getrennt, aber es lief immer noch etwas zwischen ihnen und ich wusste, dass sie noch Gefühle für ihn hatte. Sie wusste nur nicht, dass es mir genauso ging.

Auch wenn ich nicht verstehe, wie man das überhaupt übersehen kann. Ich bin nicht gerade gut darin, es zu verstecken, betrunken zumindest nicht. Völlig egal wie sehr ich dagegen ankämpfe, wenn er etwas lustiges sagt, muss ich lachen, wenn er etwas erzählt, hänge ich an seinen Lippen, wenn er mir nahe ist, muss ich ihn berühren. Mein ganzer Körper lehnt sich zu ihm, an ihn, als wäre er ein Magnet und ich ein hilfloses Stück Eisen.

Ich glaube, irgendwann hat einfach der ganze Freundeskreis akzeptiert, dass wir so sind, oder das ich so bin - ich kann wirklich nicht sagen, wie viel früher auch von ihm kam – ohne das mehr dahinter steckt.

Tom redete zwei geschlagene Monate nicht mehr mit mir, wohl um das mit Klara am laufen zu halten. Ich drehte am Rad, aber ich konnte es nicht ändern, nur hoffen, dass alles wieder normal würde, wie jedes Mal, und so war es dann auch. Klara ging nach Australien und verschwand damit endgültig aus unserem Freundeskreis, Tom lud uns alle zum Grillen ein, es wurde ein Saufgelage, bei dem ich auf seinem Schoß einschlief und danach war wieder alles normal. Keiner von uns sprach es an, auch das war normal.

Immer wenn ich mich in solchen Gedanken verliere, was viel zu oft passiert, denke ich mir, wie bescheuert das doch alles ist. Wie bescheuert wir sind. Oder ob es wirklich nur ich bin. Aber was denkt er sich bei der ganzen Sache?

Das ist wohl die große Frage hier. Was zur Hölle denkt er was das ist. 

Oder war. Irgendwie hab ich nicht das Gefühl, dass da noch viel ist, von seiner Seite her. Nicht mal Freundschaft. Und zumindest die war doch eindeutig mal vorhanden, von beiden Seiten. Genauso wie Anziehung, dass kann er nicht verleugnen. Wobei er vermutlich genau das tun würde... Nicht das ich mich jemals trauen würde, ihn wirklich darauf anzusprechen. Das würde auch nichts bringen, über so etwas redet er nicht.

Aber so wie das im Moment läuft, werde ich wahnsinnig. Aber auch dieser Gedanke ist nicht neu. 

Ich habe kurze Tagebucheinträge von vor etwa fünf Jahre, da dachte ich auch schon, ich würde irre werden, wenn sich das zwischen uns nicht bald in die eine oder andere Richtung klärt. 

Schon verrückt,und ziemlich traurig, dass ich mit 21 dieselben Probleme habe wie mit 16. Also exakt dieselben Probleme, mit dem selben Typen. Aber ich bin ja auch selber schuld, dass ich nicht von ihm loskomme...

Und dann kamst duWo Geschichten leben. Entdecke jetzt