Lasse
„Meinst du, es ist genug Mische da? Irgendwie geht bei uns immer die Mische aus, wahrscheinlich, weil alle Schnaps und niemand Mische mitbringt. Aber eigentlich sollte es diesmal reichen. Aber ich könnte auch noch was mitbringen, ich geh eh nochmal einkaufen, Mary hat mich gerade gefragt, ob wir Brause da haben, und dann kann ich gleich noch Zeug für Caipis besorgen, die hat Magda sich gewünscht. Du pennst eh noch bisschen oder?" Und ohne eine Antwort abzuwarten, verlässt Anne mein Schlafzimmer auch schon wieder, in das sie gerade mit diesem Wortschwall gestürmt ist. Sie ist heute Morgen unglaublich früh und mit viel zu viel Elan aus dem Bett gesprungen, um alles vorzubereiten.
Mein Vater ist mit Freunden auf einer Bergtour mit Hüttenübernachtung, daher richten ausnahmsweise mal Anne und ich die diesjährige Silvesterparty aus. Wobei ich die Planung und Organisation ganz Anne überlassen habe, anders würde sie es auch gar nicht wollen, ich stelle nur das Haus und schleppe die Kästen und Kisten mit Getränken und Verpflegung. Verhungern oder verdursten wird hier heute keiner, dafür ist gesorgt.
Anne rennt gefühlt schon seit Tagen deswegen hektisch umher, sie freut sich riesig, dass auch Mary kommen wird, anstatt daheim mit ihren alten Freunden und ihrer Familie zu feiern. Ohnehin redet sie noch mehr von Mary, seit sie von ihrem Wochenendtrip zurück sind. Ich höre ihr meistens nur zu, aber mehr verlangt sie auch gar nicht.
Was sollte ich auch sagen.
Was sagt man, wenn die eigene Freundin verliebt ist?
Denn das ist sie, spätestens jetzt ist es nicht mehr abzustreiten. Nicht seit sie mit leuchtenden Augen aus Disneyland wieder kam, und mir vom schönsten Tag ihres Lebens berichtete.
Ich meine, ja klar ist Disneyland toll, aber trotzdem, es ist mehr als das. Wenn sie von Mary berichtet, spüre ich ganz deutlich, dass sie sie liebt. Ich sehe es in ihrem Strahlen, höre es in ihrer sanften Stimme und ihren liebevollen Worten.
Also was soll ich tun? Ich möchte es ansprechen, denke, dass ich ansprechen muss, aber traue mich nicht. Ich weiß einfach, dass sie es noch nicht weiß, dafür kenne ich sie gut genug. Ihr Unterbewusstsein lässt es vermutlich nicht zu, könnte es nie zu lassen. Annes Leben ist von ihren Eltern und ihr selbst durchgeplant und sie war immer mehr als zufrieden damit. Ob sie das alles über Bord werfen könnte, unsere geplante Hochzeit, die gemeinsamen Kinder, über die wir so oft schon geredet haben, um mit ihrer großen Liebe, einem anderen Mädchen, zusammen sein zu können? Ich fürchte fast nicht, und sie tut mir furchtbar leid deswegen.
Andererseits weiß ich immer noch nicht genau, was Mary für sie empfindet. Sie kann ich weniger gut lesen, ich sehe, wie sie Anne auf Händen trägt und wie die Prinzessin behandelt, die sie schon immer sein wollte, aber ich sehe auch, wie sie Tom anhimmelt. Mary sieht man ihre Emotionen an, sie kann sie gar nicht verbergen, glaube ich, aber es sind so viele, dass sie mich schon beim zuschauen verwirren, und ich bin wirklich froh, nicht in ihrem Kopf zu stecken.
Und dann ist da noch der Punkt, dass Anne ja meine Freundin ist. Und ich mir irgendwie nur darüber Gedanken mache, dass Mary ihre Gefühle nicht erwidern könnte, oder dass Anne sie sich nicht eingestehen kann. Das wir uns, falls meine Sorgen diesbezüglich unberechtigt sind, trennen werden, macht mir irgendwie nichts aus. Und das macht mir auch wieder Sorgen.
Ich habe mir vor kurzem eingestanden, dass Anne zwar die beste Freundin auf der Welt ist, aber offensichtlich nicht meine große Liebe. Sonst müsste es mir ja etwas ausmachen, dass sie in eine andere verliebt ist.
Ich habe ja schon früher gespürt, dass das zwischen mir und Anne zwar etwas wirklich schönes ist, aber eben keine Hollywoodromanze. Aber da dachte ich noch, es gäbe das einfach nicht.
Aber seit einer Weile denke ich, dass es sie doch gibt, die große Liebe. Und das Anne sie in Mary gefunden hat. Und wie in einem echten Hollywooddrama, reicht das einfache Finden nicht aus, es gibt auch noch scheinbar unüberwindbare Hürden, die sich einem Happy End für die beiden in den Weg stellen.
Und irgendwie habe ich das Gefühl, ich, der unromantische Lasse, muss die beiden zusammen bringen. Wie konnte es nur so weit kommen? Aber sie liegen mir halt am Herzen, alle beide, aber vor allem natürlich Anne, und ich will, dass sie glücklich wird. Und dafür braucht sie Mary, so viel ist klar.
Vielleicht sollte ich zuerst mit Mary sprechen. Sehen, was sie darüber denkt, ob es ihr klar ist, beziehungsweise ob sie auch schon darüber nachgedacht hat, und ob sie Annes Gefühle erwidert. Und was mit Tom ist. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Mary kein Problem damit hätte, lesbisch oder bisexuell zu sein. Die Frage bei ihr ist, ob sie es tatsächlich ist, und ob sie das überhaupt merken kann, bei ihrer Obsession, was Tom angeht.
Wobei sie ihn ja jetzt angeblich ein für alle Mal vergessen will. Hat sie zumindest Anne gesagt, ohne näher darauf einzugehen, und Anne hat sie einfach nur bestärkt in dieser vernünftigen Idee. Ist ja auch besser so, ich frage mich nur, was vorgefallen ist. Wenn Mary das nämlich ohne irgendeinen Anstoß gekonnt hätte, hätte sie ihn schon längst links liegen lassen, das hat sie oft genug selbst gesagt.
Eigentlich ist die einzig mögliche Erklärung dafür, dass sie es diesmal durchzuziehen scheint, dass er derjenige ist, der den Kontakt vollständig abgebrochen hat. Hoffentlich ist die Arme nicht zu fertig deswegen. Aber dann wird die Party heute eine gute Ablenkung.
Ich muss auf jeden Fall mit ihr reden, ganz klar. Aber was, wenn sie Anne davon erzählt? Das ist sogar ziemlich wahrscheinlich oder? Beste Freundinnen erzählen sich doch alles, soviel hab ich aus Büchern, Filmen und von Anne gelernt. Das könnte also auch verdammt schief gehen. Und Anne hätte dann das gute Recht, wirklich sauer auf mich zu sein, weil ich nicht zuerst sie darauf angesprochen habe. Dabei will ich ihr doch nur helfen.
Das Leben ist so kompliziert ey. Nein, Mädchen sind so kompliziert. Nicht das ich vorurteilsbelastet wäre, aber so ist es nun mal. Obwohl ich mich grad auch wie ein Mädchen verhalte, so, wie ich alles zerdenke. Anne färbt wohl auf mich ab, irgendwann musste es ja passieren.
Also gut, neuer Plan. Ich fülle beide Mädchen und mich einfach komplett ab und beobachte sie. Vielleicht regelt sich mit genug Alkohol im Blut alles von alleine, ohne großes Nachdenken. Und wenn nicht, habe ich immer noch die Chance darauf, mit einer der beiden oder sogar beiden ein ehrliches Gespräch zu führen, das der Alkohol danach wieder aus ihren Gedächtnissen tilgt. Ich muss sie einfach nur unter den Tisch trinken. Wenn das nicht mal ein solider, männlicher Plan ist.
Dann schlafe ich jetzt am besten nochmal ne Runde, damit ich heute Abend auch topfit bin.
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Und dann kamst du
RomanceAnnes Leben ist komplett vorherbestimmt. Und sie liebt es. genau wie ihr Germanistikstudium und ihren Freund Lasse, den gutaussehenden Informatiker. Mary ist neu in der Stadt, überfordert von ihrem Leben und furchtbar unglücklich verliebt. Am ersten...