Sehnsucht nach Schokolade

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Mary

Der Rest der Woche vergeht schnell, ich blamiere mich nicht mehr, was wohl hauptsächlich daran liegt, dass Tom durch Abwesenheit glänzt. Das wiederum hat zur Folge, dass ich mit den Gedanken nur bei ihm bin.

Ich sitze in Deutsch neben Anne und in Mathe neben Lasse, aber wir wechseln nicht mehr als ein paar Sätze. Ich würde sie eigentlich gerne fragen, was sie am Wochenende vorhaben, aber andererseits hoffe ich darauf, dass Tom mich in seine WG einläd, und dann will ich nicht schon andere Pläne haben. Auch wenn es unwahrscheinlich ist. Wobei ich mich frage wieso, wir sind doch Freunde, und sie machen bestimmt irgendwas in der WG, und wieso kann er mich nicht einfach fragen, ob ich auch kommen möchte? Aber jetzt mache ich mich schon wieder unnötig verrückt, ich muss einfach abwarten. Ist nur leider nicht so meine Stärke. Aber ich will ihm auch nicht schreiben...

Vielleicht sollte ich einfach heimfahren. Das hat er davon, wenn er mich nicht rechtzeitig fragt, ob wir etwas machen. Nur, dass ich damit vermutlich ausschließlich mich selbst ärgere, und nicht ihn. Das ist doch alles bescheuert.

Im Endeffekt schreibe ich ihn an, und er meint, sie chillen einfach nur und schauen ne Serie. Ich bin nicht so verzweifelt, mich dazu selbst einzuladen, auch wenn ich es am liebsten tun würde. Ich überlege, ein Radtour zu machen, oder vielleicht einen See zu suchen, in dem man Baden kann. Es ist für September noch ziemlich warm.

Aber ich kann mich dann doch nicht aufraffen, gehe nur einkaufen, das war eh mal nötig, ich habe schon seit Tagen kein anständiges Essen mehr vorrätig.

Was nicht schlimm ist, ich hatte die meiste Zeit ohnehin keinen Hunger, aber nach Toms Antwort sehne ich mich plötzlich nach Schokolade.

Ich kaufe mir welche, viel zu viel, aber ich kaufe auch Obst, Gemüse und Reis, und zwinge mich, mir etwas Vernünftiges zu kochen, bevor ich die Schokolade öffne.

Bei Essen schaue ich einen kitschigen Liebesfilm an, und als der vorbei ist, lese ich etwas. Dann mache ich mein Workout, mit zwei extra Runden, wegen der Schokolade.

Ich habe mir fest vorgenommen, jetzt wo ich alleine wohne und einkaufe, endlich meine Traumfigur zu erreichen. Aber keine Ahnung ob das hinhaut, Selbstbeherrschung gehört leider nicht zu meinen Stärken.

Ich gammle noch ein bisschen auf Instagram und versuche dann zu schlafen. Ich kann kaum fassen, dass Freitagabend ist, und ich alleine im Bett liege, anstatt unterwegs zu sein.

Ich versuche mir vorzustellen, wie das Semester weitergeht. Was, wenn Tom wirklich keine Lust mehr auf mich hat? Wenn er mich vielleicht ein, zwei Mal im Semester auf eine WG-Party einlädt, und ansonsten links liegen lässt? Das ist nicht besonders unwahrscheinlich, fürchte ich. Bei dem Gedanken fühle ich mich plötzlich ganz leer. Worauf soll ich mich denn dann freuen?

Es klingt verrückt, aber die letzten Jahre meines Lebens habe ich immer entweder etwas mit Tom gemacht, oder mich auf unsere nächste Begegnung gefreut. Mir ist ab und zu mal aufgefallen, wie ungesund diese Abhängigkeit ist, etwa wenn er für eine Party abgesagt hat, und ich plötzlich überhaupt keine Lust mehr hatte, obwohl viele meiner anderen Freunde da waren.

Aber jegliche Versuche, mich von dieser Sucht nach ihm zu befreien, scheiterten kläglich. Und davon gab es einige, denn es gab immer wieder Momente, in denen er mich verletzte, und ich wünschte, ich könnte einfach den Kontakt abbrechen. Weil ich das Gefühl hatte, er könne mich nicht leiden, weil mir klar wurde, dass er meine Gefühle niemals erwidern würde und ich deswegen meine loswerden müsste, weil mir bewusst wurde, wie erbärmlich ich ihm hinterher laufe.

Aber eine Nachricht, ein netter Satz, ein Lächeln von ihm reichten, um alle guten Vorsätze in den Wind zu schlagen. Und da wir immer viel Kontakt hatten, durch Schule, Freunde und später Uni, kam das immer vor. Und dann war all der Schmerz vergessen und ich strahlte wieder, und ging beflügelt durch den Rest des Tages.

Das menschliche Gedächtnis tendiert dazu, sich die schönen Dinge einzuprägen, und die Schlechten zu vergessen. Im Nachhinein kann ich mir immer leicht sagen, ich hätte einfach nur übertrieben, und Abende, an denen wir heftig und nicht unbedingt freundlich diskutiert hatten, nur um uns am Ende unter viel Alkoholeinfluss freundlich zu verabschieden, werden zu tollen Erinnerungen. Weil eine Umarmung schön genug ist, um alles andere in Vergessenheit geraten zu lassen. Vor allem, wenn ich sie in meinen Gedanken wieder und wieder erlebe, wenn ich dann betrunken alleine im Bett liege.

Ich sage mir wohl zum eine millionsten Mal, dass ich ihn vergessen muss, dass ich eigene Freunde finden und ein selbstständiges Leben führen muss, in dem ich ohne ihn glücklich bin.

Um ihm zu zeigen, dass ich das kann. Wenn er sieht, wie selbstständig ich bin, und dass ich auch ohne ihn Spaß haben kann, wird er mich bestimmt vermissen und wieder mehr mit mir unternehmen wollen.

Ich stelle mich vor, wie er mich in der Uni sieht, während ich glücklich lachend zwischen Anne und Lasse stehe, und wie ihm auffällt, dass er mich schon lange nicht mehr so glücklich gesehen hat. Und dann möchte er wieder derjenige sein, der mich zum Lachen bringt. Über diesen schönen Gedanken schlafe ich schließlich ein.

Und dann kamst duWo Geschichten leben. Entdecke jetzt