Und dann kamst du

Lasse ist ratlos

Lasse

Anne: Hey, ich würde heute mal wieder gerne (zu dir) kommen, was hältst du davon? 😉

Ich starre jetzt schon viel zu lange auf meinen Handybildschirm mit dieser eindeutig zweideutigen Nachricht. Natürlich freue ich mich, wir hatten schon lange keinen Sex mehr, und unser Sex ist gut. Aber irgendwie hab ich auch Schiss, dass sie merkt, dass etwas anders ist. Wir hatten nämlich keinen Sex mehr, seit mir eindeutig klar geworden ist, dass ich Anne nicht auf diese Art und Weise liebe. Je länger ich darüber nachdenke, desto verwirrter bin ich, weil ich irgendwie echt nicht sagen kann, ob ich sie mal so geliebt habe, und das verloren gegangen ist, oder ob ich es mir nur eingebildet habe?

Dass sie mich sexuell nicht mehr so anzieht, spricht irgendwie dafür, dass ich sie früher schon auf diese romantische, leidenschaftliche Art geliebt habe. Aber dann ist die Frage, ob ich überhaupt richtig liege damit, dass wir eigentlich nicht mehr zusammen sein sollten. Denn es weiß ja jeder, dass die anfängliche Verliebtheit irgendwann verschwindet, und die tiefe Zuneigung, die ich noch für sie empfinde, ist vielleicht alles, was bleibt, und ein gutes Paar ausmacht, nach ein paar Jahren?

Ich bin einfach so verwirrt, ich habe keine Ahnung, was das richtige ist. Im einen Moment bin ich überzeugt davon, dass ich mich von Anne trennen und sie und Mary zusammen bringen sollte. Denn auch wenn mein Gespräch mit Mary an Silvester unterbrochen wurde, ich weiß noch alles, was sie gesagt hat, und ich habe sie seitdem noch intensiver beobachtet und ich bin mir inzwischen wirklich sehr sicher, dass sie Anne auch liebt.

Aber auf der anderen Seite wirken die beiden gerade so glücklich mit der jetzigen Situation, dass ich nicht derjenige sein will, der alles durcheinander bringt. Ich habe Anne noch nie so entspannt erlebt während einer Klausurenphase, und Mary scheint tatsächlich über Tom hinwegzukommen und sieht auch nicht mehr aus wie ein wandelndes Skelett.

Und nur aus Gewohnheit und weil grad alles passt mit Anne zusammen zu bleiben, wirkt zwar irgendwie dumm, aber dann auch wieder sehr vernünftig. Vielleicht geht es ja wirklich allen Paaren so, die länger als fünf Jahre zusammen sind, und es wäre komplett falsch, die Beziehung deswegen zu beenden.

Ich meine gut, ich hätte schon einen Grund, ich bin felsenfest davon überzeugt, dass sie in jemand anderen verliebt ist. Aber ich bin einfach so unsicher, ob sie sich das jemals eingestehen könnte.

Ich brauche dringend mal jemanden, mit dem ich darüber reden kann. Und nicht irgendjemand, sondern meine beste Freundin. Das ist das schlimmste daran, dass ich nicht mit Anne darüber reden kann, wenn es nicht um sie ginge, könnte sie mir garantiert dabei helfen. Ich habe einfach immer über alles mit ihr geredet, und deswegen auch nie zu jemand anderem ein solches Vertrauensverhältnis aufgebaut, dem ich mich jetzt anvertrauen könnte.

Und dann kommt noch dazu, dass es sich einfach furchtbar anfühlt, ihr so etwas wichtiges zu verschweigen. Ich glaube nicht, dass ich das noch lange durchhalte. Aber ich setzte so viel aufs Spiel, wenn ich es anspreche. Im schlimmsten Fall verursache ich ein riesen Drama und verliere am Ende Anne als Freundin und als beste Freundin. Und sie sich vielleicht auch noch gegenseitig. Das Risiko ist einfach zu hoch. Ich werde weiter schweigen müssen und hoffen, dass irgendwie alles gut wird.

Lasse: Klar gerne, ich freu mich!

***

"Es war wieder so lustig mit Mary gestern, also es war mehr Situationskomik, wahrscheinlich findest du es gar nicht witzig, wenn ich es dir jetzt erzähle, aber ehrlich, es war sooo witzig..." Anne bricht ab weil sie bei der Erinnerung zu sehr lachen muss und ich schaue sie einfach nur an, leicht verzweifelt, weil es heute wieder besonders schlimm ist. In jedem einzelnen Satz kommt Marys Name vor und ich muss fast selber Lachen, weil die Situation so absurd ist. Ich meine, meine Freundin ist laut eigenen Angaben hergekommen, um mal wieder mit mir zu schlafen, und jetzt kann sie einfach nicht anders, als die ganze Zeit über Mary zu reden und lacht Tränen beim Gedanken an irgendeine höchst wahrscheinlich echt nicht sooo lustige Situation.

Ich meine, wie kann man sich denn bitte so hart selbst belügen? Sie muss es doch selber merken. Oder hat sie das längst, und ich kenne sie einfach nicht mehr so gut wie früher? Vielleicht verheimlicht sie es mir einfach nur. Das kann ich mir zwar wirklich nicht vorstellen, aber andererseits, mache ich nicht genau dasselbe? Und sie hätte das bestimmt auch nicht von mir gedacht.

Und außerdem, so blind kann sie nicht sein, es ist ja eigentlich beleidigend, für wie dumm ich sie halte, wenn ich davon ausgehe, dass sie es noch nicht begriffen hat.

Und wir sind beste Freunde, dass waren wir schon immer, schon lange bevor wir zusammen waren, und beste Freunde reden über alles miteinander. Also werde ich es jetzt ansprechen.

"Anne?" Sie hat sich gerade wieder ein bekommen, und mein ernster Tonfall lässt sie sofort alarmiert aufblicken.

"Oh nein, Lasse, es tut mir so leid, da komme ich her und verspreche dir Sex und dann labere ich dich doch wieder nur voll. Aber jetzt halte ich die Klappe, und entschädige dich dafür, versprochen!"

"Nein, das mein", doch mein kläglicher Widerspruch verstummt, als sie sich gekonnt an mich schmiegt und ihre Lippen zärtlich, aber auch auffordernd auf meine drückt. Automatisch erwidere ich ihren Kuss und es fühlt sich schön an, keine Frage. Auch mein restlicher Körper reagiert wie gewohnt auf sie, und ich kann ihr Grinsen spüren, als sie sich mit ihrem Becken gegen meins presst. Mein Hirn ist plötzlich wie leer geblasen und ich streiche mit meiner rechten Hand über ihr Bein und schiebe ihr Kleid hoch, bis ich an ihrer nackten Hüfte bin. Ich streichle sanft über ihre nackte Haut und presse mich gleichzeitig noch enger an sie...