Herzklopfen

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Mary

Tom meldet sich auch am Samstag nicht, und ich werde halb wahnsinnig. Aber ich schreibe ihn nicht nochmal an, ich reiße mich zusammen, mache bisschen was für die Uni, mein Workout, koche, lese und telefoniere mit meiner kleinen Schwester.

Sie erzählt etwas von einem neuen Typen, denn sie vor einer Woche auf einer Party kennen gelernt hat, und dass er schon wieder viel zu anhänglich ist. Ich weiß echt nicht, was das ist, mit meiner Schwester und Typen. Ausgerechnet sie, die überhaupt keinen Bock auf einen festen Freund hat, zieht in einer Welt voller Typen mit Bindungsangst irgendwie immer genau die an, die sie am liebsten sofort heiraten würden. Ein Beweis mehr, das wir alle Amors Mobbingopfer sind.

Am Sonntagnachmittag ist meine Geduld schließlich am Ende, und ich schreibe Tom. Er meint, dass bei ihnen vielleicht etwas geht, und dass er sich nochmal meldet. Ich werde total unruhig, tigere in meinem kleinen Wohnheimszimmer auf und ab.

Ich habe bin hin und hergerissen zwischen Vorfreude, der Angst, dass er absagt, Zweifeln darüber, ob er mir von sich aus geschrieben hätte, und Bedenken, dass er mich wieder kaum beachten wird. Die Zeit vergeht furchtbar langsam, und er schreibt einfach nichts. Ich bin die ganze Zeit am Handy, kann mich auf nichts konzentrieren.

Irgendwann hake ich nochmal nach, er meint, es ist noch niemand da, aber dass ich gerne schon kommen kann. Ich ärgere mich, dass ich nicht länger gewartet habe, freue mich aber gleichzeitig über die Nachricht.

Eine halbe Ewigkeit such ich nach dem richtigen Outfit, nur um dann doch wieder eins meiner zwei Lieblingsoberteile und eine enge Jeans anzuziehen. Ich schminke mich, öffne meinen Dutt und binde nur die vordersten Strähnen zu einem kleinen Zopf zusammen. Das habe ich mal bei Ariane Grande gesehen, und seitdem mache ich mir diese Frisur immer, wenn ich besonders gut aussehen will, die Haare kommen dann in ihrer vollen Länge zu Geltung, hängen aber nicht ins Gesicht. Und es sieht nicht so brav aus, wie wenn ich sie einfach mit Klammern nach hinten stecken würde.

Als ich schließlich in der WG ankomme, sind doch schon andere Leute da, und es wird Bierpong gespielt. Ich mache mir eine Wodkamische und schaue dann zu. Tom und sein bester Freund Max spielen gegen zwei Mädchen, die ich noch nicht kenne. Keiner von ihnen ist besonders gut und das Spiel dauert ewig.

In der zwischen Zeit kommen mehr Leute, und ich fange an, mich mit Sonja zu unterhalten, sie wohnt auch in der WG. Und hat keine Ahnung, wie sehr ich sie darum beneide, dass sie mit Tom zusammen wohnt. Aber sie hat mehr Interesse an Max, also ist sie mir sympathisch. Wobei das kein Wunder ist, Max sieht besser aus und ist auch nüchtern nett, im Gegensatz zu Tom, der oft ein echter Stoffel ist, wenn er nicht gerade trinkt oder neue Leute kennen lernt.

Im Laufe des Abends unterhalte ich mich mit vielen Gästen und WG-Bewohnern, am wenigsten mit Tom. Ich frage mich, wieso so viele Leute an einem Sonntag zum saufen kommen, aber die Antwort lautet wohl einfach, weil wir Studenten sind. Mir ist es schließlich auch völlig egal.

Je mehr Zeit vergeht, ohne das Tom mir wirklich Aufmerksamkeit schenkt, desto unglücklicher werde ich. Aber ich zeige es nicht, im Gegenteil, ich trinke mehr und schenke allen um mich herum mein breitestes Lächeln. Die Verzweiflung, die hinter diesem Lächeln steckt, scheint niemandem aufzufallen. Aber das ist auch kein Wunder, nüchtern ist hier schon lange keiner mehr.

Irgendwann verschwinden die meisten Gäste auch wieder, nur ich sitze wie angeklebt auf meinem Stuhl, schaue auf meine Handy, versuche irgendwie beschäftigt zu wirken. Ich will noch nicht gehen. Eigentlich möchte ich gar nicht gehen.

Ich lehne den Kopf an die Wand und schließe die Augen. Nicht weil ich müde bin. Eigentlich bin ich hell wach, aber wenn es aussieht, als wäre ich eingeschlafen, wundert sich niemand, warum ich noch hier bin. Und vielleicht fragt er mich ja, ob ich hier schlafen möchte...

Bei diesem Gedanken fängt mein Herz an, schneller zu schlagen. Ich hoffe, das sieht keiner, ich kann es zumindest durch meinen ganzen Körper spüren.

Tom lässt sich mit einem Wasserglas in der Hand mir gegenüber auf den Stuhl plumpsen, ich kann die Augen nicht geschlossen halten.

„Du kannst schon hier pennen, wenn du magst."

„Das wäre toll, ich bin echt fertig." Hört man mir meine Aufregung an?

„Trink noch bisschen Wasser, dann gehen wir ins Bett."

„Gute Idee." Mit zitternden Händen nehme ich mein Glas und fülle es mit Wasser. Während ich es trinke, putzt Tom sich die Zähne und verschwindet dann in seinem Zimmer. Ich folge ihm zögernd.

„Leihst du mir ein T-shirt?"

„Jo, nimm dir eins aus dem Schrank."

Als ich eins habe, schaltet er das Licht aus, und ich ziehe mich im Dunklen um. Dann setze ich mich vorsichtig aufs Bett und schlüpfe zu ihm unter die Decke, mit dem Rücken zu ihm. Er schiebt seinen Arm unter meinem Kopf durch und zieht mich an sich. Mein Herz klopft wie wild, und so wie er mich hält, muss er es spüren. Aber er sagt nichts, und wenig später höre ich an seinem Atem, dass er eingeschlafen ist.

Ich hingegen bin hellwach. Seine Hand ist unter mein T-shirt gerutscht, und nach oben gewandert. Ich weiß nicht, ob es Absicht ist, oder im Schlaf einfach automatisch passiert.

Mein Herz und meine Gedanken rasen um die Wette. Das hier ist es, das pure Glück. Genau das will ich doch. Aber es reicht mir nicht. Ich möchte mich zu ihm drehen, mich an seine nackte Brust schmiegen, aber das traue ich mich nicht. Und ich will, dass er wach ist, dass er mich streichelt, wie er es in der Vergangenheit manchmal getan hat. Dass er es auch will. Dass er mich will, mich als Person, und nicht nur, weil ich grad da bin und ein Bett brauche.

Ob er wohl morgen wieder komisch ist? Bestimmt, das ist er jedes Mal, wenn wir besoffen kuscheln. Als müsste er dann extra abweisend sein, um mir zu beweisen, dass es nichts bedeutet hat. Als wüsste ich das nicht. 

Nur weiß ich es wirklich nicht, oder? Zumindest will ich es nicht wissen. Ich hoffe immer wieder, dass es dieses eine Mal etwas bedeutet hat. Dass ihm aufgegangen ist, wie gern er mich hat. Dass sich etwas ändert zwischen uns.

Ich lasse den Abend Revue passieren. Er hat mich wirklich nicht beachtet, aber das ist egal, das hier macht alles wieder wett, das ist mehr wert als jedes Gespräch. Und ansonsten war es ja auch ganz nett eigentlich. Keine Ahnung, ich habe mehr darauf geachtet, was er tut, als auf meine eigenen Gespräche.

Wann er sich wohl wegdrehen wird? Wenn er morgens aufwacht, hört er normalerweise auf mit mir zu kuscheln. Dann dreht er sich auf die andere Seite, geht ans Handy und tut so, als wäre ich Luft. Das macht mich wahnsinnig, aber ich traue mich auch nicht, ihn darauf anzusprechen. Er würde ohnehin nur irgendeine pampige Antwort geben.

Aber noch ist es Nacht, und seine starken Arme sind um mich geschlungen. Ich kann in diesen Nächten nie schlafen, aber das möchte ich auch gar nicht, ich will hiervon keinen Moment verpassen.

Und dann kamst duWo Geschichten leben. Entdecke jetzt