Ablenkung

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Lasse

Puh, ich glaube, ich muss mich erstmal setzten. Ich befinde mich auf der Terasse von Jonas Eltern, eigentlich wollte ich mir nur ein neues Weißbier holen, aber an der frischen Lust spüre ich den Alkohol erst so richtig, und frage mich, ob Nachschub wohl die beste Idee ist. Stattdessen lasse ich mich auf einen der klapprig aussehenden Holzstühle sinken und bin erleichtert, als er mein Gewicht ohne Probleme trägt.

Es ist toll, unsere alten Freunde wiederzusehen und mit ihnen auf die vor uns liegenden Semesterferien anzustoßen. Anne war sehr erleichtert, als ich ihr sagte, dass ich mit Mike schon über unsere Trennung gesprochen und ihm jegliche Sorgen um uns und unseren Freundeskreis genommen hatte. Er gab es, wie verabredet, schon vor unserer Ankunft an die anderen weiter, und auch wenn sie uns am Anfang alle ein bisschen kritisch beäugten, waren bald alle überzeugt, dass sich nichts Grundlegendes geändert hat und unserem perfekten Wiedervereinigungstag stand nichts mehr im Weg.

Tatsächlich scheint er für Anne als Ablenkung perfekt zu sein, ich habe sie heute noch nicht einmal dabei ertappt, wie sie abschweift und in ihrer Gedankenwelt verschwindet.

Ich hätte nicht gedacht, dass es so gut funktioniert. Vor allem deshalb, weil ich selbst nicht vermeiden kann, über Mary nachzudenken.

Ich bin mir verdammt sicher, dass sie abgehauen ist, weil sie es nicht ertragen konnte, weiterhin das unglücklich verliebte dritte Rad am Wagen zu sein. Und das ist ja auch völlig verständlich. Bedenkt man ihre Vorgeschichte mit Tom, ist es sogar erstaunlich, dass sie es so lange mitgemacht hat, ohne durchzudrehen.

Aber dieses vermeintliche Wissen macht die Situation gerade so schwierig. Einerseits möchte ich sie einfach anrufen, ihr klipp und klar sagen, dass Anne und ich uns getrennt haben, weil Anne Gefühle für sie hat, und dann zusehen, wie die beiden glücklich zusammen in den Sonnenuntergang reiten, bildlich gesprochen natürlich. Soweit ich weiß ist keine der beiden eine Pferdenärrin, zum Glück, die Dinger sind etwas zu groß für meinen Geschmack. Wie kann man sich nur freiwillig auf so ein Monstrum mit eigenem Willen setzten? Und wieso denke ich darüber gerade nach?

Ich runzle die Stirn über mich selbst und konzentriere mich wieder auf meine aktuelleren Sorgen.

Ich könnte einfach Amor spielen, und vielleicht wäre das das Beste. Anderseits möchte ich mich nicht zu viel einmischen. Eigentlich sollten die beiden sich persönlich sagen, was sie fühlen. Am Ende bin ich sonst der Bösewicht, der ihrer Liebesgeschichte den spannendsten Teil vorweg genommen hat.

Also einfach abwarten. Aber dabei fürchte ich um beide, dass sie sich emotionale von einander distanzieren, weil sie denken, dass sie sonst nur verletzt werden.

Ich weiß nicht, was Anne jetzt vor hat, aber ich muss sie überzeugen, Mary so bald wie möglich zu sehen und ihr ihre Gefühle zu gestehen. Ich bin mir sicher, dass es gut gehen wird, also muss ich sie dazu überreden, auch wenn sie bestimmt Angst davor hat.

„Lasse?" Ich schrecke auf, wie lange sitze ich hier eigentlich schon und grüble? Anne steht vor mir, und sie ist ganz blass.

„Hey, was ist los?" Sofort stehe ich auf und lege meine Hände auf ihre Schultern, eigentlich nur, um Körperkontakt aufzubauen, aber im Endeffekt nutze ich sie eher als Stütze, da mir vom schnellen Aufstehen leicht schwindlig ist.

„Mary hat geschrieben..."

„Das ist doch gut, was denn?"

„Nur Gratulation zu den bestandenen Prüfungen."

„Das ist doch nett?"

„Ja, schon... aber so unpersönlich. Ich hatte gehofft... ach keine Ahnung was ich gehofft hatte."

„Schreib ihr, sie soll herkommen, um mit uns zu feiern."

„Was?"

„Sie soll auch herkommen, sie mag doch unsere Freunde auch, und es ist eine gute Gelegenheit, sie einzuladen."

„Sie will bestimmt nicht, sonst hätte sie doch gefragt, was ich mache oder so."

„Nun los, frag sie schon, was hast du denn zu verlieren."

„Sehr viel, ich würde nicht gut klar kommen, wenn sie ohne Begründung nein sagt. Frag du sie doch."

„Nein Anne, es muss von dir kommen. Wenn ich Recht habe mit meiner Theorie, muss sie von dir hören, dass du sie hier haben willst. Und natürlich kann es auch dann sein, dass sie nein sagt, weil sie denkt, über dich hinweg kommen zu müssen. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass sie dich genauso furchtbar vermisst wie du sie, und deswegen kommen wird."

„Du wärst überzeugender, wenn du alleine stehen könntest, das weißt du schon oder?" Aber sie sagt das mit einem zaghaften Lächeln, ich habe ihr Mut gemacht. Sehr gut, war doch gar nicht so schwer. Ich löse meine Hände von ihr und strecke sie zu den Seiten aus, als wäre ich ein Seiltänzer.

„Ich kann sehr wohl alleine stehen, also los jetzt, schreib ihr."

„Schreib wem?" Magda ist unbemerkt hinaus gekommen und steht jetzt am Bierkasten.

„Sie soll Mary schreiben, die ist daheim bei ihrer Familie, aber es wäre doch schön, wenn sie auch her kommt, um mit uns zu feiern."

„Ja klar, lad sie ein Anne, wir würden uns freuen." Ich frage mich, ob ich mir das wissende Lächeln einbilde, doch da kommt Magda plötzlich auf mich zu und schubst mich leicht. Ich stolpere unvorbereitet ein Stück nach hinten und sie lacht auf.

„Bist du etwa betrunken, Lasse Kliemann?"

„Bist du etwa nicht betrunken, Magdalena Sophia Eichwald?"

„Noch nicht so wie du glaube ich. Komm Anne, schreib Mary und dann gönnen wir uns Baileys, unser Hugo ist schon weg."

„Lieber andersrum, erst trinken, dann schreiben."

„Wie du magst. Dann geh schon mal rein und gieß uns was ein, ich komme gleich." Magda schiebt Anne sanft wieder ins Haus und diesmal bin ich mir sicher, betrunken oder nicht, ich habe an ihrer Stimme gehört, dass Magda etwas ahnt.

Trotzdem bin ich nicht darauf vorbereitet, als sie plötzlich vor mir steht und mich zurück auf den Stuhl drückt. In einer fließenden Bewegung schwingt sie sich auf den Tisch und lässt sich dort im Schneidersitz nieder, dabei grinst sie mich an, ohne den Blickkontakt zu brechen.

„Dann schieß mal los, wie ernst ist es?"

Und dann kamst duWo Geschichten leben. Entdecke jetzt