15. Meer aus Scherben

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Dylan's Point of View:

"Das ist die Wohnung deiner Eltern. Ich glaube, ich sollte mal lieber anfangen zu packen", meinte Valerie kopfschüttelnd und wischte sich mit dem Handrücken die Tränen aus den Augen. Dann drehte sie sich um und verließ ohne ein weiteres Wort das Wohnzimmer.

Am liebsten wäre ich ihr hinterhergerannt. Hätte mich in die Tür gestellt. Hätte ihr gesagt, dass sie nicht gehen soll. Hätte ihr gesagt, dass wir schon so viel zusammen durchgestanden hatten. Hätte ihr gesagt, dass ich es ohne sie nicht aushalten würde.

Aber ich konnte nicht, ich durfte nicht. Valerie hatte gesagt, dass sie Zeit brauchte und die musste ich ihr geben, so schwer es mir auch fallen würde. Ich sollte eigentlich verdammt nochmal froh sein, dass sie nicht sofort mit mir Schluss gemacht hatte.

Denn das hätte ich verdient. Ich hätte verdient, dass sie mich anschrie, mich schlug, mich mit Sachen bewarf, aber nichts von dem hatte sie getan. Sie hatte mir einfach zu gehört, während ich erzählt hatte und war dabei immer blasser geworden, bis ihr irgendwann die Tränen gekommen waren. Ich hatte förmlich sehen können, wie ihr Herz vor meinen Augen zerbrochen war.

Noch nie hatte ich mich schlimmer gefühlt, als in diesem Moment. Ich hatte den Menschen, den ich um alles in der Welt schützen wollte, zerstört. Ja, ich hatte sie zerstört. Vielleicht hätte sie meinen Seitensprung ertragen können, vielleicht, aber dass ich ihr all die Jahre verschwiegen hatte, was auf der Party passiert war, war zu viel gewesen. Das hatte ihr das Herz gebrochen. Sie hatte mir vertraut und ich hatte sie belogen.

Warum hatte ich nur nichts gesagt, als es noch nicht zu spät war? Ich hätte ihr von dem Abend erzählen müssen, selbst als ich noch geglaubt hatte, dass nichts passiert wäre, dass ich einfach nur besoffen eingepennt wäre.

Aber jetzt war es zu spät, ich hatte alles zerstört, was ich beschützen wollte. Selbst wenn Valerie mir eines Tages verzeihen könnte, ich könnte mir nie selber verzeihen. Nie wieder würde ich in einen Spiegel gucken können, ohne dass mich eine Welle von Selbsthass überrollte.

Ich spürte bei diesem Gedanken einen bitteren Geschmack in meinem Mund aufkommen und mein Körper begann leicht zu zittern. So fühlte es sich also an, sich selbst so sehr zu hassen, dass man nie wieder Frieden mit sich schließen konnte.

Ich wollte schreien, ich wollte all den Schmerz herauslassen, ich wollte auf irgendetwas einschlagen, aber ich kontrollierte mich. Ich kontrollierte mich für Valerie, die im Nebenzimmer gerade ihre Sachen packte, um mich zu verlassen. Ob für immer oder nicht, konnte sie in diesem Moment wahrscheinlich selber noch nicht absehen, aber eines wusste ich - egal, wie lange sie wegbleiben würde, die Zeit würde die pure Hölle für mich werden.

Ein lautes Poltern aus dem Nebenzimmer riss mich aus meinen dunklen Gedanken und mit schnellen Schritten lief ich ins Schlafzimmer, nur um Valerie weinend am Boden sitzen zu sehen. Um sie herum lagen unzählige Klamotten, ihre Kulturtasche, Bücher, ihr Laptop und ein umgekippter Koffer. Sie sah so unglaublich verloren in all diesem Zeug aus, wie sie da saß und von Heulkrämpfen geschüttelt wurde.

Mein Herz wurde - wenn dies überhaupt noch möglich war - noch schwerer bei diesem Anblick. Es fühlte sich so an, als würde ein Messer qualvoll durch mein Herz fahren, ganz langsam, sodass der Schmerz immer intersiver wurde. Augenblicklich schlug es noch, aber irgendwann wäre es ausgeblutet und einfach nur noch tot und leblos. Dann gäbe es nur noch eines - unendliche Leere.

Am liebsten würde Valerie einfach in den Arm nehmen und ihre Tränen wegküssen, wie ich es sonst immer tat. Aber dieses Mal war anders, dieses Mal war ich der Grund für ihren Schmerz.

The American DreamWo Geschichten leben. Entdecke jetzt