26. Keine Geheimnisse mehr

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Am nächsten Morgen schreckte ich durch ein lautes Poltern hoch - das Rumpeln ging mir förmlich durch Mark und Bein und riss mich aus meinem Schlaf. Ich schlug die Augen auf und hob meinen Kopf etwas, um die Quelle des Geräuschs ausfindig zu machen, aber in Dylans und meinem Schlafzimmer war alles komplett still.

Dylan selber war noch am Schlafen. Er hatte seine Arme immer noch fest um mich geschlungen und ich spürte, wie sich seine Brust unter seinen Atemzügen langsam hob und senkte. Ein paar vorwitzige Haarsträhnen fielen ihm in die Stirn und seine Gesichtszüge waren ganz entspannt - so ruhig und friedlich hatte ich ihn schon lange nicht mehr gesehen.

Ein kleines Lächeln schlich sich auf meine Lippen. Es war schön, Dylan wieder so nahe zu sein. Auch wenn ich es versuchte hatte, in meiner Trauer und der Wut zu verdrängen, hatte ich meinen Freund unglaublich vermisst. Nichts konnte das Gefühl ersetzen, dass er mir gab, wenn er mir einen seiner schlechten Witze erzählte, mich küsste oder wenn ich in seinen Armen einschlafen konnte.

Auch wenn ich die Entscheidung, wieder nach Hause zurückzukehren, ziemlich spontan getroffen hatte, bereute ich sie keinesfalls. Dylan hatte mir gestern Nacht so viel Halt und Sicherheit gegeben, als ich immer noch komplett aufgelöst von den Erlebnissen des Tages gewesen war.

In seinen Armen hatte ich mich wenigstens etwas beschützt gefühlt, während vor meinem inneren Auge immer wieder die Bilder von der verlassenen Lagerhalle und Mike, der mir seine Pistole an den Kopf hielt, vorbeigezogen waren. Überraschenderweise hatte ich die Nacht trotzdem fast durchgeschlafen und war nur ein paar Mal aus dem Schlaf hochgeschreckt, jedoch ohne Dylan zu wecken.

Vielleicht hatten mich diese schrecklichen Ergebnisse doch gar nicht so sehr mitgenommen, wahrscheinlicher war aber, dass der Verarbeitungsprozess noch nicht richtig eingesetzt hatte. Wenn ich jetzt zum Beispiel so aus dem Fenster schaute, wo sich die Sonne gerade an einer Stelle ihren Weg durch die dichte, graue Wolkendecke bahnte, konnte ich es kaum wahrhaben, dass ich gestern beinahe umgebracht worden war und diesen Tag nie erlebt hätte.

Aber darüber wollte ich im Moment auch noch gar nicht nachdenken, Verdrängen schien mir aktuell die beste Methode zu sein, um mit diesem Thema klarzukommen. Die nächsten Tage würde ich mir dann einen Termin beim Psychologen besorgen und dann würde schon alles wieder gut werden.

In diesem Moment hörte ich nochmal ein lautes Poltern und schälte mich daraufhin vorsichtig aus Dylans Armen, um den Geräusch auf die Spur zu gehen.

Barfuß tapste ich in die Küche, wo sich mir komischer Anblick bot. Jase stand dort in Jogginghose und einem mit Rentieren gemusterten Weihnachtspulli in einem riesigen Chaos an Töpfen und Pfannen, die überall auf dem Boden verteilt lagen. Anscheinend waren sie ihm, aus dem noch offen stehenden Schrank gefallen und hatten das laute Poltern verursacht.

"Was soll das denn werden?", fragte ich lachend, während mein Blick über die Unordnung glitt.

"Ich wollte uns eigentlich was zum Frühstück machen, aber offensichtlich ist es für mich noch etwas zu früh am Tag, denn als ich mir die eine Pfanne aus dem Schrank ziehen wollte, sind diese ganzen anderen Töpfe und Pfannen irgendwie mit rausgekommen", antwortete Jase und rieb sich verlegen den Nacken. "Habe ich dich geweckt?"

"Ja, ist aber nicht schlimm", winkte ich ab. "Kann ich dir vielleicht behilflich sein?"

Jase nickte dankbar und so räumten wir zusammen die überflüssigen Töpfe und Pfannen in den Schrank zurück, braten Pancakes, kochten Kaffee und deckten den Tisch. Als wir gerade fertig waren, tauchte auch Dylan schlaftrunken im Türrahmen auf.

"Oh, das riecht aber schon gut", stellte er fest.

"Bedanke dich bei Valerie, wäre sie nicht von meinem Pfannen-Problem aufgewacht, hätten wir jetzt wahrscheinlich nur kleine Aschehäufchen anstelle von Pancakes zum Frühstück", erklärte Jase und schenkte mir ein breites Grinsen.

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