22. Milchkaffee, Muffins und Morddrohungen

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Ein paar Tage später stand eines fest: Wir waren keinen Schritt weitergekommen in der Frage, um wen es sich bei meinem Stalker handelte. All mein anfänglicher Optimus, dass dem Schrecken jetzt ein Ende gesetzt werden würde, war verflogen.

Dass meine Freunde jetzt von meinem Problemen wussten, beruhigte mich zumindest ein bisschen, denn ich fühlte mich nicht mehr ganz so alleine und angreifbar. Natürlich verschwand die Angst nicht von einem Tag auf den anderen, aber zumindest zuckte ich nicht mehr bei jedem Geräusch direkt zusammen, was schon ein kleiner Fortschritt war. Das konnte auch daran liegen, dass ich seit dem letzten Drohbrief von vor etwas über einer Woche nichts mehr von meinem Stalker gehört hatte.

Wenn er mich wirklich auf Schritt und Tritt verfolgte, hatte er oder sie vielleicht mitgekriegt, dass ich jetzt nicht mehr alleine war, sondern Verbündete hatte.

Vor allem Dylan passte wie ein Schießhund auf mich auf, wenn auch meistens nur aus der Ferne. Wir saßen seit meinem Auszug nicht mehr gemeinsam in der Mensa, aber trotzdem spürte ich jedes Mal seinen brennenden Blick in meinem Rücken. Aber eins musste man Dylan lassen, er gab sich wirklich größte Mühe mir Abstand zu gewähren, auch wenn die aktuelle Situation es deutlich erschwerte.

So hatten wir uns darauf geeinigt, dass ich ihm jeden Abend schrieb, ob mir etwas besonderes aufgefallen war und ob ich mich beobachtet gefühlt hatte. Im Gegenzug dafür überließ er es unseren anderen Freunden, mich auf dem Campus und auf dem Weg zur U-Bahn zu begleiten.

So hatte sich die letzten Tage über alles eingependelt und auch als ich an diesem Tag mit Lucy nach der Uni noch in den Espresso Express ging, ahnte ich nichts Böses.

Wir setzten uns an einen der Fenstertische und bestellten jeweils einen Milchkaffee und einen Muffin. Draußen fegte kühler Wind die letzten heruntergefallenen Blätter durch die grauen Straßen, von Schnee war keine Spur zu sehen. Draußen wirkte alles so trist und kalt, sodass man sich umso mehr freute, drinnen im Warmen mit einer dampfenden Kaffeetasse zu sitzen.

Ich nippte unbedacht an meiner heißen Tasse und verbrannte mir auch sofort die Zunge. Vor Schmerz zischte ich laut auf, wofür Lucy mich herzhaft auslachte.

"Ich muss dir doch nicht wirklich sagen, dass dein Kaffee heiß ist", stieß sie zwischen ihren Lachkrämpfen hervor.

Ich schüttelte nur den Kopf, über das Mitgefühl meiner Freundin. "Kann man hier in Amerika nicht das Café dafür verklagen, dass sie mich nicht davor gewarnt haben", scherzte ich, was Lucy noch mehr zum Lachen brachte. Jetzt konnte auch ich mich nicht mehr halten und brach in Gelächter aus.

"Du kannst es ja versuchen", meinte sie dann, während ihr Lachtränen aus den Augen liefen.

Nachdem wir uns beide wieder etwas gefangen und beruhigt hatten, blickte mir Lucy fest in die Augen.

"Es ist so schön, dich mal wieder herzhaft lachen zu sehen", sagte sie dann.

Ich nickte leicht, denn es hatte sich ein großer Kloß in meinem Hals gebildet. Das Drama mit Dylan hatte mir einfach jegliche Freude und Kraft geraubt und so war mein Lächeln und Lachen immer seltener geworden. Nur Milan hatte mich durch seine flachen Witze auch an meinen besonders schlechten Tagen immer zum Schmunzeln bringen können. Es bedeutete mir einfach so unglaublich viel, dass mir meine Freunde immer zur Seite standen.

"Weißt du eigentlich schon, wie das mit Dylan weitergehen soll?", fragte Lucy weiter. 

Es war mir irgendwie schon bewusst gewesen, dass sie das Thema früher oder später darauf lenken würde, denn schließlich war der Gerichtstermin für den Vaterschaftstest bereits in einer Woche und ich musste mir langsam Mal Gedanken darüber machen, wie es weitergehen sollte.

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