6. "Wetten, dass..."

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Ich hatte das Gefühl, dass Dylan sich die nächsten Tage noch stärker als sonst in seine Bücher und Lernzettel stürzte, wenn dies überhaupt noch möglich war. Jede freie Minute verbrachte er am Schreibtisch oder in der Universitäts-Bibliothek. Abends fiel er dann immer völlig erschöpft ins Bett, aber schlafen konnte er trotzdem nicht. Auch wenn er glaubte, dass es mir nicht auffiel, spürte ich, wie er sich nachts unruhig hin und her wälzte und sah morgens die dunklen Schatten unter seinen Augen.

Doch jedes Mal, wenn ich Dylan darauf ansprechen wollte, blockte er komplett an. Ich hatte Angst, dass er sich noch mehr zurückziehen würde, wenn ich ihn jetzt bedrängte, deshalb hakte ich nicht mehr nach und versuchte einfach, so gut für ihn da zu sein, wie es mir möglich war.

Während Dylan und ich uns sonst beim Kochen immer abgewechselt beziehungsweise auch oft zusammen gekocht hatten, bereitete ich seit einigen Wochen alleine das Essen zu. Manchmal versuchte Jase mich zu unterstützen, aber er war mehr Hindernis als Hilfe. Dieser Junge war sogar dazu fähig, Wasser anbrennen zu lassen.

So hatte sich mit der Zeit ein fester Rhythmus eingespielt, aber daran gewöhnt hatte ich mich noch lange nicht. Mir fehlte Dylans Nähe, denn auch wenn wir zusammen wohnten, schien er mir doch so unendlich fern zu sein. Ich würde nur zu gerne wissen, was sich gerade alles in seinem Kopf abspielte, er offenbar war er noch nicht dazu bereit, das mit mir zu teilen.

Da ich selber aber auch keine Lust hatte, mich den ganzen Tag zu langweilen und Trübsal zu blasen, hatte ich mich heute mit den Mädels verabredet. Lucy, Mia und ich wollten uns heute in der Innenstadt treffen, um die ersten Weihnachtsgeschenke zu besorgen.

Normalerweise war ich bei sowas immer total spät dran, letztes Jahr hatte ein Geschenk zum Beispiel erst an Heiligabend besorgt, aber dieses Jahr hatte ich mir vorgenommen, rechtzeitig anzufangen, damit ich nicht immer so in Stress geriet.

Ich warf einen kurzen Blick auf die Uhr, eigentlich hätte Dylan schon vor einer Stunde von der Uni zurück sein müssen, aber bisher war von ihm noch keine Spur zu sehen und er hatte sich auch nicht bei mir gemeldet. Vielleicht war er ja direkt nach der Vorlesung in die Bibliothek gegangen oder Ace hatte ihm dazu überreden können, mit ihm einen Kaffee zu trinken.

Ich stieß einen kurzen Seufzer aus, dann erhob ich mich vom Sofa und zog mir meine Winterstiefel und einen dicken Mantel an. Auch wenn heute erst der letzte November-Tag war, lagen die Temperatur bestimmt schon bei null Grad Celsius.

Dann machte ich mich auf den Weg nach draußen zu der Kreuzung, wo ich mich mit Mia traf. Es war echt praktisch, dass unsere Wohnungen nur zwei Straßen auseinander lagen.

Ich musste noch einen kurzen Augenblick warten, bis Mia um die Ecke bog. Sie hatte ganz rote Wangen, offensichtlich hatte sie sich beeilt.

"Tut mir leid, Ace wollte mich gar nicht gehen lassen", entschuldigte sie sich und umarmte mich zur Begrüßung.

"Alles gut, ich bin in der Zwischenzeit nur zu einem Eisklotz erfroren", antwortete ich ihr lachend und erwiderte die Umarmung. Gleichzeitig lösten ihre Worte auch ein leichtes Stechen in meiner Brust aus, es war schon länger her, dass ich mal zu einem Treffen zu spät gekommen war, weil Dylan und ich noch mit einander "beschäftigt" waren. Aber jetzt war nicht der Zeitpunkt, sich darüber Gedanken zu machen.

"Dann lass uns losgehen, bevor Lucy auch noch auf uns warten muss", meinte ich und wir schlugen den Weg zur nächsten U-Bahn-Station ein.

Nach einer zehnminütigen Fahrt, waren wir tatsächlich auch schon in der Innenstadt angekommen. Als wir aus dem Zug ausstiegen, drängten sich bereits tausende, mit Tüten bepackte Menschen auf dem Bahnsteig, nur um sich direkt in die Bahn zu quetschen. Andere Leute erst aussteigen lassen, kannten sie wohl nicht, hier kämpfte jeder für sich alleine.

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