40. Einen neuen Blickwinkel einnehmen

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Dylans Point of View:

Die nächsten Tage waren ein Kampf - physisch sowie psychisch. Mein Morgen begann damit, dass eine Krankenschwester mir beim Anziehen und Duschen half und mich dann in einem Rollstuhl zu dem behandelnden Physiotherapeut brachte. Der knetete dann eine Stunde an meinen Beinen herum und machte irgendwelche komischen Übungen am Boden mit mir, was er als Mobilisation bezeichnete. Dann wurde ich wieder abgeholt und auf mein Zimmer gebracht, bis die Zeit zum Essen war.

Das gleiche Spiel wiederholte sich am Nachmittag, nur dass da auch noch Gespräche mit einer Psychotherapeutin anstanden, die mittlerweile nur noch aufseuzte, wenn ich den Raum betrat oder eher berollte. Meine schlechte Laune und meine wenn überhaupt einsilbigen Antworten schienen ihr die letzten Nerven zu kosten, doch das war mir egal. Und meine Laune wurde ich immer schlechter, wenn das überhaupt noch möglich war.

Mit jedem Tag fiel es mir schwerer, die Zähne zusammenzubeißen und morgens das entwürdigende Prozedere über mich ergehen zu lassen. Ein Erwachsener, der sich nicht einmal alleine anziehen konnte und noch nicht mal alleine kacken konnte - das war doch lächerlich! Lächerlich und unglaublich erbärmlich. Und ich hasste es, mich so zu fühlen.

Es ging einfach nicht voran und das machte mich wahnsinnig! Ich hatte mir vorgestellt, dass ich direkt wieder mit Gehübungen starten würde, aber stattdessen musste ich am Boden herumwackeln, wie ein Fisch an Land. Der Therapeut versicherte mir zwar immer wieder, dass sich die Belastung bald steigern würde und ich schon auf einem sehr guten Weg war, doch das konnte ich einfach nicht glauben. Ich brauchte Beweise und nicht nur leere Worte!

Und deshalb kam es manchmal, dass ich mich, wenn ich alleine in meinem Zimmer war, aufrecht in meinem Bett hinsetzte und meine Beine auf den Boden stellte. Doch jedes Mal, wenn ich auch nur das geringste Gewicht auf sie verlagerte, gaben sie sofort nach, als würden sie aus Wackelpudding bestehen und ich sank frustiert zurück.

In solchen Momenten würde ich am liebsten in Tränen ausbrechen oder noch lieber auf etwas einschlagen, doch ich hatte Valerie versprochen, zu kämpfen. Und das würde ich, ich würde nicht so einfach aufgeben! Und egal, wie hart dieser Kampf werden würde, ich würde es schaffen!

Ich war gerade dabei, Löcher in die Decke zu starren - meine Lieblingsbeschäftigung neben Lernen, Lesen und Seriengucken - als sich die Zimmertür schwungvoll öffnete. Ein hochgewachsener, schlanker Junge mit schwarzen Haaren betrat den Raum und ein Lächeln, das ich schon so lange nicht mehr gesehen hatte, strahlte mir entgegen.

"Ey, Dylan! Was machst du bitte für Scheiße, wenn ich dich mal alleine lasse?", begrüßte mich Luke und grinste mir breit entgegen. Seine Stimme klang trotz der Umstände fröhlich und seine Augen blitzten.

Ich blinzelte einmal, um mich zu vergewissern, dass mein Freund wirklich gerade dort in der Zimmertür stand. Luke und ich hatten uns schon so lange nicht mehr gesehen, auch wenn er und Maddie nur zwei Stunden entfernt von uns in New York wohnten. Aber das Studium hielt uns alle so sehr auf Trab, dass wir uns nur noch viel zu selten sahen. Umso mehr freut ich mich deshalb jetzt, dass mein Kumpel plötzlich vor mir stand.

"Was verpisst du dich auch nach New York?! Du weißt doch, dass ich Drama magisch anziehe", beschwerte ich mich scherzhaft und schlug in Lukes geöffnete Hand ein.

"Setz dich. Ich würde dir jetzt gerne was zum Essen oder Trinken anbieten, aber ich bin leider gehbehindert und könnte dir deshalb nur diesen drei Tage alten, angebrochenen Schokoriegel geben", fügte ich hinzu und zeigte mit der Hand auf einen Stuhl neben dem Bett.

Luke lachte und schüttelte den Kopf. "Danke, aber ich werde dieses überaus großzügige Angebot leider ablehnen müssen, ich bin auf Diät", entgegnete er.

The American DreamWo Geschichten leben. Entdecke jetzt